London. Patrick Hausding und Sascha Klein galten nach zwei eher enttäuschenden Tagen als Kandidaten für die erste deutsche Olympia-Medaille, verpassten diese aber letztlich deutlich. Auch den britischen Springern erging es nicht besser: Tom Daley war als eines der Gesichter der Spiele auserkoren, verfehlte aber mit seinem Partner ebenfalls das Podium.
Der verflixte vierte von sechs Synchron-Sprüngen. Patrick Hausding und Sascha Klein kommen aus dem Takt und klatschen ins Wasser. Die Tropfen spritzen, als wären zwei Kühlschränke aufgeschlagen. Der Medaillentraum des deutschen Duos vom Zehn-Meter-Turm ist zerplatzt. Tom Daley, Englands Liebling aus der Hafenstadt Plymouth, und sein Partner Peter Waterfield machen es nicht besser und verpatzen ebenfalls ihren vierten Sprung.
Brit-Pop verwandelt sich in Brit-Flop
Über 14.000 Zuschauer im ausverkauften Aquatics Centre von London verstummen. Es ist plötzlich so still, dass man glaubt, sogar die Temperatur fallen zu hören. Platz sieben für die deutschen Silbermedaillengewinner von Peking, nur Platz vier für die englischen Popstars des Wassers. Brit-Pop verwandelt sich in Sekunden in Brit-Flop.
Eine Viertelstunde nach ihrem Absturz stehen Daley und Waterfield noch immer in ihren weißen Trainingsjacken in der Halle und wissen nicht so recht, wohin sie gehen sollen. Die Siegerehrung ein paar Meter weiter findet ohne sie statt. Daley trägt rote Turnschuhe. Seine Mutter winkt ihm von der Tribüne zu. Der Tag ist irgendwie aus dem Ruder gelaufen.
Jüngster Weltmeister mit 15
Dabei hatte der 18-jährige Daley ganz England noch davon erzählt, wie er für seinen Vater Rob die Goldmedaille holen wollte. Mit 15 war er der jüngste Weltmeister im Turmspringen aller Zeiten. Sein Vater war sein Mentor. Doch der Dad, der ihn vor elf Jahren für 25 Pfund im Schwimmbad von Plymouth zu einem Schnupperkurs im Wasserspringen angemeldet hatte, war im vergangenen Jahr an einem Gehirntumor gestorben. „Er sitzt irgendwo und schwenkt den Union Jack, wenn ich springe“, hatte Tom Daley zuvor im Fernsehen gesagt.
Vielleicht war es tatsächlich so. Wer weiß das schon.
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Doch die Wirklichkeit kann manchmal brutal sein. Nach dem dritten Durchgang liegen Daley und Waterfield an diesem Nachmittag noch an erster Stelle vor den Chinesen. Die Zuschauer johlen und toben. Daley und Waterfield stehen unten vor den 38 Stufen zur Plattform. Konzentration. Sie suchen die Ruhe vor dem Turm. Alles sieht gut aus, und dann verlieren sie beim dreieinhalbfachen Rückwärts-Salto die Orientierung. Die Wertung wirft sie uneinholbar zurück. Am Ende wird es Platz vier mit 454,65 Punkten. China fliegt zu Gold (486,78), selbst die Mexikaner (Silber, 468,90) und die US-Amerikaner (Bronze, 463,47) ziehen an den Briten vorbei.
Fotos mit Kate Moss und Tee mit der Queen
Daley muss sich vorkommen wie eine Mamba, die vom Kaninchen verschluckt wird. Er ist doch schließlich seit einem Jahr das Gesicht der Spiele. Der Junge, der mit nacktem Oberkörper neben Super-Modell Kate Moss für die Vogue fotografiert wurde. Der Junge, den Queen zum Tee empfangen hat. Und nun lächelt das Gesicht nicht mehr.
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Doch Daley ist kein Ausnahmefall. Jede Nation hat dieses Gesicht für die Olympischen Spiele in der Heimat. Es ist personalisierte Werbung. In Sydney war es im Jahr 2000 Cathy Freeman, die damals noch dem Druck trotzen konnte und Gold über 400 Meter gewann. Danach wurde der Druck offensichtlich zu übermächtig. In Athen 2004 flüchtete das Gesicht der Spiele schon vor der Eröffnungsfeier auf einem Moped: Der Sprinter Kostas Kenteris wurde beim Versteckspiel mit den Dopingfahndern von der Polizei gejagt. 2008 in Peking verletzte sich Hürdensprinter Liu Xiang schon beim ersten Vorlauf-Start. Eine Nation zuckte zusammen. Man munkelte von einer taktischen Verletzung. Nun, in London, scheiterte Tom Daley am dritten Tag der Spiele.
Zweite Chance
Olympia ist für Tom Daley nach dem vierten Platz im Synchronspringen vom Turm noch nicht endgültig gelaufen. Der 18-jährige Engländer hat noch eine zweite Medaillen-Chance. Er tritt am 11. August, dem Samstag vor der Abschlussfeier, noch einmal an. Dann steht der Einzel-Wettbewerb vom 10-m-Turm auf dem Programm.
Die 1,6 Sekunden von der Plattform bis zur Wasseroberfläche können unberechenbar werden. Die Springer wissen das. „Ich bin sehr traurig, aber es kann eben alles passieren“, sagt Patrick Hausding, als er in den Katakomben der Arena steht und nach dem siebten Platz (446,07 Punkte) immer noch den Kopf schüttelt. Das Pech läuft ihm in London hinterher. Der 23-Jährige war vor ein paar Tagen im Olympischen Dorf umgeknickt. Er war auf den Rand des Bordsteins getreten, das Fußgelenk ist dick geschwollen. Solche Dinge passieren.
Verfrühte Einladung
Nur die Funktionäre und Sponsoren wollen die Unabwägbarkeiten des Springens nicht wahrhaben. Der Wettkampf im Aquatics Centre läuft noch, als per E-Mail bereits die Einladung zur Feier im Champions Club auf dem Kreuzfahrtschiff MS Deutschland kommt, das auf der Themse in London ankert: „Heute Abend erwarten wir nach einem hoffentlich erfolgreichen Wettkampf Patrick Hausding und Sascha Klein.“
Manchmal soll man tatsächlich den Tag nicht vor dem Abend loben.