Tokio. Noch einmal wollte Deutschlands bester Säbelfechter Max Hartung alles geben. Sein Traum blieb in Tokio unerfüllt. Es flossen Tränen.
Die Medaille ist futsch. Jetzt geht es um einen glanzvollen Abschied. Die Säbel klirren, die Schuhe quietschen, die Männer auf der Planche und daneben brüllen, dass ihre Stimmbänder nur so zittern. Max Hartung ficht am Mittwochabend das letzte Duell seiner Karriere.
Es geht um Mannschafts-Bronze des olympischen Turniers von Tokio. Der Gegner aus Ungarn liegt mit 14 Treffern in Front. Hartung gegenüber steht Aaron Szilagyi, der frisch gekürte Einzel-Olympiasieger, der Olympiasieger von 2012, 2016 und 2021. Die Vorzeichen könnten besser sein für den Deutschen.
Aufholjagd von Max Hartung am Ende unbelohnt
Doch dann setzt der 31-Jährige einen Treffer nach dem anderen. Gleich sechs in Folge. Der Olympiasieger strauchelt. Der Rest der Dormagener Fecht-Gang, Matyas Sabo, Benedikt Weber und Richard Hübers, staunt nicht schlecht. Am Ende gelingen Hartung 14 Treffer, bis Szilagyi die für Ungarns Bronzemedaille noch nötigen fünf endlich zusammengekratzt hat. „Ich hatte ihn, ich hatte ihn wirklich, zwei, drei Fehler weniger, dann hätte es geklappt“, sagt Hartung anschließend. Er ist noch voller Energie, aufgekratzt von der Größe des Moments.
Es hört ja nicht nur Hartung auf. Auch Weber und Hübers machen Schluss. In Dormagen endet eine Ära. Nur Szabo, der Sohn von Bundestrainer Vilmos Szabo, macht weiter. Er war im Halbfinale gegen Korea der beste Mann im Team, hielt die Deutschen lange im Rennen – und zog sich im letzten Duell bei einem gewagten Ausfallschritt in den Spagat eine Muskelverletzung zu. Er musste durch Hübers ersetzt werden und konnte nach der 42:45-Niederlage gegen die Koreaner, die später gegen Italien Gold gewannen, auch beim schwierigen Bronze-Gefecht gegen die Ungarn nicht mehr helfen.
Hartung geht ohne seinen Traum: eine olympische Medaille
Im Einzel war keiner der deutschen Säbelfechter über das Achtelfinale hinausgekommen. Hartung hat in seiner Karriere drei WM- und zehn EM-Medaillen gesammelt, 2014 wurde er Mannschaftsweltmeister und zwischen 2015 und 2019 vier Mal Europameister im Einzel und im Team. Die olympische Medaille war sein großes Ziel zum Abschluss seiner Laufbahn. Doch es sollte nicht sein. Weber und Hübers kommen vor den deutschen Journalisten die Tränen, Szabo steht geknickt daneben.
Und Hartung ergreift das Wort: „Das war der letzte Kampf von uns gemeinsam, deshalb ist das gerade alles ein bisschen emotional, ich habe eben auch schon Tränen vergossen“, sagt er: „Aber wir können stolz sein nach dem harten Jahr. Wir haben in der Weltspitze gekämpft. Es hat nochmal richtig Spaß gemacht. Das ist kein Grund, sich klein zu machen.“
Hartung war treibende Kraft hinter der Sportler-Emanzipation
Max Hartung ist an diesem letzten großen Abend seiner Sportkarriere ganz und gar in seinem Element. Mit Spektakel auf der Planche. Und klaren Worten daneben. Das hat ihn immer ausgezeichnet. Zunächst als Athletensprecher des Deutschen Fechterbundes und schließlich als Vorsitzender der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und als Gründungspräsident von Athleten Deutschland. Er war die treibende Kraft hinter aller Emanzipation der deutschen Spitzensportler in den letzten Jahren. Neben seinem Studium der Politik, Soziologie und Wirtschaft war ihm die Einrichtung einer unabhängigen Athletenvertretung immer das wichtigste Anliegen.
Warum? „Es gab keine Alternative für mich“, sagt Hartung: „Wenn ich sehe, dass viele Sachen schieflaufen, dass Sportler weit weg sind von den Entscheidungen, die sie betreffen, dann kann ich das nicht einfach hinnehmen.“
Dormagener Gang hat es nochmal krachen lassen
Nach den Spielen von Tokio übernimmt Hartung für zunächst fünf Jahre den Geschäftsführerposten bei der Sportstiftung NRW in Köln. „Ich hoffe, dass die Kids, mit denen ich künftig zusammenarbeite, auch so tolle Momente erleben können. Wenn ich dabei helfen kann, dass sie so eine Gemeinschaft erfahren können wie ich heute, dann ist das doch der beste Job, den man sich wünschen kann nach der Karriere.“
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Begonnen hatte der Abend für die Deutschen sehr vielversprechend. Im Viertelfinale gegen Russland zeigten sie große Fecht-Kunst und siegten erstaunlich deutlich mit 45:28. Dabei hatten die Deutschen beim letzten Weltcup noch gegen die Russen verloren. „Wir sind gut reingekommen, wir haben uns gegenseitig hochgepuscht, das war so richtig ein Flow. Wir haben einfach durchgezogen, denen keine Luft zum Atmen gelassen, das war wirklich ein tolles Match, da hat alles zusammengepasst“, erzählt Hartung. Die Dormagener Gang schaffte, was sie sich vorgenommen hatte: „Es noch mal richtig krachen lassen.“
Welcher Art seine Verletzung ist, kann Szabo am Ende des Abends noch nicht so genau sagen. Aber das sei auch egal: „Jetzt geht es in den Urlaub. Und danach bereite ich mich auf die neue Saison vor. Allein.“ Ihm ist anzusehen, wie ungewohnt dieses Wort in seinen Ohren klingt. Das Dormagener Säbel-Dreamteam ist abgetreten. Mit großem Krach und ein paar leisen Tränen.