Duisburg. Wer war der Mann, der ein Jahr lang in Zebrastreifen auflief und dann die Duisburger Farben bei der EM-Endrunde vertrat?
Quizfrage: Wer war der letzte Fußballspieler, der bei einer Europameisterschaftsendrunde der Männer aufgelaufen ist, während er beim MSV Duisburg unter Vertrag stand? Ein Tipp: Es war nicht Bernard Dietz. Das wäre jetzt aber auch ein bisschen einfach gewesen. Noch ein Tipp: Die Mannschaft, für die er bei jenem Turnier auflief, existierte nur einen Sommer lang. Na?
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Hier kommt die Auflösung – und es kann durchaus sein, dass der Name des bewussten Spielers bei den jüngeren Fans überhaupt nichts klingeln lässt, während sich ältere eher vage erinnern. Als er damals von 1991 bis 1992 das Trikot der Zebras trug, war er bekannt als Wladimir Ljuty, international wurde er in der englischen Schreibweise als Vladimir Liutyi bezeichnet, heutzutage wird allgemein die ukrainische Variante Wolodymyr Ljutyj verwendet. 36 Ligaspiele bestritt er für die damals gerade wieder in die 1. Bundesliga zurückgekehrten Zebras, wobei dem Stürmer sechs Tore gelangen. Damit war er nach dem 13-mal erfolgreichen Michael Tönnies zweitbester Schütze des MSV, doch das reichte nicht, um den sofortigen Wiederabstieg zu verhindern.
Nach einem Jahr war dann auch schon wieder Schluss für Ljuty in Duisburg. Nachdem er vom FC Schalke 04 gekommen war, zog es ihn zurück nach Westfalen, wo er beim VfL Bochum weiter in der obersten Klasse kickte. Zwischendrin stand aber noch die Europameisterschaft in Schweden auf dem Plan – und da war der damals 30-Jährige als Spieler des MSV im Kader einer im wahrsten Sinne des Wortes einmaligen Mannschaft verzeichnet. Die Qualifikation hatte noch die Auswahl der Sowjetunion geschafft, doch die war im Dezember 1991 aufgelöst worden. An ihre Stelle traten 15 neue Einzelstaaten, von denen sich die meisten in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, kurz GUS, zusammenfanden, die, wie ihr Name schon sagt, kein souveränes Land darstellte, sondern ein eher lockeres Wirtschafts- und Sicherheitsbündnis, das auch bis heute noch existiert, aber keine große Bedeutung mehr hat.
In der Startelf gegen Deutschland
Der Platz der sowjetischen Auswahl fiel dann auch nicht an eine einzelne Nation wie beispielsweise Russland, sondern wurde von der GUS eingenommen. Trainer Anatoli Byschowez nominierte ein letztes Mal einen Kader, der aus Russen, Ukrainern, Belarussen und Georgiern bestand, und berief in diesen auch Wladimir Ljuty. Der hatte bis dahin erst fünf Länderspiele bestritten, davon immerhin auch eines für die Sowjetunion zwei Jahre zuvor bei der WM in Italien. Tatsächlich stand Ljuty dann sogar beim Auftaktmatch in der Startelf – und das war etwas Besonderes für ihn, denn es ging ausgerechnet gegen das Land, in dem er gerade heimisch wurde: Deutschland. Allerdings waren das Spiel und letztlich auch das Turnier nach 45 Minuten für ihn beendet: Trainer Byschowez wechselte ihn gegen Viktor Onopko aus. Nach dem 1:1 gegen die DFB-Auswahl und dem 0:0 gegen die Niederlande war sogar das Halbfinale in Reichweite, doch ein blamables 0:3 gegen Schottland beendete alle Träume und auch die Existenz der GUS-Mannschaft.
Wladimir Ljutys Karriere verfiel danach in einen Sinkflug. In Bochum war nach drei Spielen ohne Tor Schluss; nach einer Kurzstation in der Türkei bei Bursaspor tingelte er wieder durch Deutschland, landete in Oberhausen, Unterhaching, Salmrohr, Wittlich, Bad Honnef und Junkersdorf. Anschließend schlug er eine Trainerkarriere ein, die noch bunter verlief. Neben Stationen in Russland, Moldau und Georgien waren in Deutschland Bonn, Brühl, Bergisch Gladbach oder Oldenburg angesagt. Danach wurde er in Rostock heimisch, arbeitete bei Hansa als U-19-Coach und leitete für ein paar Tage nach der Trennung von Pavel Dotchev gar das Training der ersten Mannschaft.
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Die Zeit von Wladimir Ljuty beim MSV war eine vergleichsweise kurze, die von Bernard Dietz bekanntlich eine wesentlich längere. 1980 erlebte er sein persönliches Highlight und sicher das von vielen MSV-Fans, als er mit der Kapitänsbinde am Oberarm den Europameisterschaftspokal nach dem deutschen 2:1-Triumph gegen Belgien in den Himmel vom Rom streckte. Es war sein drittes Spiel bei diesem Turnier, nachdem er zuvor schon beim 1:0 gegen die Tschechoslowakei und beim 3:2 gegen die Niederlande auf dem Platz gestanden hatte. Beim sportlich bedeutungslosen 0:0 gegen Griechenland wurde er von Bundestrainer Jupp Derwall geschont. Im Endspiel standen die Deutschen da schon, weil bei dieser Endrunde einmalig kein Halbfinale gespielt wurde, sondern die Gruppensieger gleich ins Finale einzogen.
Vier Jahre zuvor war das Turnier noch nach dem ursprünglichen Modus abgelaufen. Auf die Qualifikation folgte ein Viertelfinale mit Hin- und Rückspiel, danach dann eine Mini-Endrunde, die man heute „Final Four“ nennen würde. In Belgrad siegte das deutsche Team, da noch unter Helmut Schön, mit 4:2 nach Verlängerung gegen Gastgeber Jugoslawien und verlor anschließend das Finale im Elfmeterschießen gegen die Tschechoslowakei. Für Bernard Dietz war das die erste große Bewährungsprobe auf internationalem Parkett; er bestand sie mit vollen 240 Einsatzminuten bravourös. Vereinskollege Ronnie Worm blieb hingegen außen vor: In beiden Spielen drückte er nur die Bank. Dieses sportliche Schicksal teilte er mit einem weiteren Zebra: Michael Bella hatte das 1972 erlebt. Der spätere MSV-Rekordspieler gehörte zum deutschen Aufgebot, das in Belgien den ersten EM-Titel holte, schaute aber in Halbfinale und Finale jeweils nur zu.
Und das war‘s dann? Ja, mehr oder weniger. Bei einem Blick in die Kaderlisten findet sich freilich die eine oder andere Anekdote mit MSV-Hintergrund. So wäre eigentlich Stig Töfting der bis heute letzte MSV-Akteur bei einer EM geworden, doch der kampfstarke Däne, unter anderem Mitglied der Pokalfinal-Truppe von 1998, bat im Frühjahr 2000 mitten in einer sportlich extrem prekären Situation aus angeblich familiären Gründen um seine Freigabe, um in seine Heimat zurückkehren zu können. So stand er bei der Euro in den Niederlanden und Belgien als Spieler von Aarhus GF im dänischen Aufgebot und stand dreimal auf dem Platz, ehe er sich dann auf einmal wieder dem Hamburger SV anschloss. Der MSV, gerade in die 2. Bundesliga abgestiegen, schaute ablösetechnisch in die Röhre.
Ein Kuriosum gab‘s dann noch 2008 im Kader der Österreicher, die das Kontinentalturnier gemeinsam mit Nachbar Schweiz ausrichteten. Mit Ivica Vastic und Jürgen Säumel waren zwei Spieler gemeinsam am Start, deren Engagements beim MSV Duisburg 17 Jahre auseinanderliegen. Vastic hatte 1994 in Zebrastreifen gekickt, Säumel sollte es erst 2011 tun. Spuren haben beide nicht hinterlassen: Vastic blieb in zehn Spielen ohne Tor, Säumel in sieben.
Während bei der nun beginnenden Europameisterschaft mit Mark Flekken, Klaus Gjasula und Lasha Dvali immerhin gleich drei Spieler am Start sind, die schon mal für den MSV aufliefen, war es beim letzten Endrundenturnier im Jahr 2021 tatsächlich kein einziger. 2016 hingegen mischten immerhin zwei mit Zebra-Vergangenheit mit: der Kroate Gordon Schildenfeld und der Türke Olcay Sahan. Wer erinnert sich noch an die beiden?
Drei MSV-Trainer bei der EM 1984
Runde Jubiläen sind eine schöne Sache, an das jetzt genau 40 Jahre zurückliegende Endrundenturnier in Frankreich erinnert sich in Deutschland allerdings kaum jemand gern. Nach einem Sieg, einem Remis und einer Niederlage sowie überschaubaren Leistungen kam in der Vorrunde das Aus, das kurz darauf dann auch Bundestrainer Jupp Derwall ereilte. Ein kleines Kuriosum: Im DFB-Kader standen damals gleich drei Spieler, die später den Trainerjob beim MSV Duisburg übernehmen sollten. Pierre Littbarski, Norbert Meier und Rudi Bommer konnten das deutsche Scheitern allesamt nicht verhindern. Ebenfalls dabei, aber in allen drei Spielen nur Zuschauer: der heutige Sportliche Leiter von Oberliga-Absteiger Hamborn 07, Hans-Günter Bruns.