Schanghai. Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel sieht sich nach seinem umstrittenen Sieg in Malaysia nicht als „bösen Buben“. Das Überholmanöver entgegen der Stallorder hält er für gerechtfertigt. Denn Teamkollege Mark Webber habe seine Hilfe nicht verdient. Eine Entschuldigung gab es nur beim Rennstall.
Guter Bulle, böser Bulle. Vor drei Wochen in Malaysia waren die Rollen eindeutig verteilt. Der eigenmächtige Sieger Sebastian Vettel geschmäht, der gegen jede Teamorder überholte Mark Webber mit einem Sympathiebonus ausgestattet. Vor dem Großen Preis von China am Sonntag (9 Uhr/RTL, Sky und in unserem Ticker) hätte das Rollenspiel so weitergehen können. Aber Vettel macht da nicht mit, er sucht wieder die Offensive. Und polarisiert damit noch stärker.
In zwei Sätzen drückt er aus, dass er das Gesetz aller Formel-1-Champions verinnerlicht hat, nur sich selbst und seinem Rennstall eine Rechtfertigung schuldig zu sein. Satz eins: „Ich wollte mich nicht über das Team stellen, das tut mir leid – aber ich entschuldige mich nicht fürs Gewinnen.“ Satz zwei: „Ganz ehrlich: Ich glaube nach all dem, wie sich Mark in den letzten Jahren verhalten hat, nicht, dass er den Sieg verdient gehabt hätte.“ Aus dem Handschlag hinter den Kulissen, von dem berichtet wird, ist ein verbaler Handkantenschlag geworden. Ein offenes Gegeneinander, mit noch nicht abschätzbaren Folgen für den Titelkampf.
Der mühsame Kitt, der nach außen hin über den längst tiefen Riss beim Champion-Team hinwegtäuschen sollte, er bröckelte, als im überfüllten Teampavillon am Shanghai International Circuit das Tribunal vor den Kameras eröffnet wurde. In der offiziellen Pressekonferenz zuvor hatte Webber jedes Wort abgewogen. Dass Red-Bull-Berater Helmut Marko angeblich auf Druck des Team-Tycoons Dietrich Mateschitz jegliche Stallorder für die Zukunft aufgehoben hat, rang dem Australier nur ein „Das macht das Leben leichter“ ab. Konfrontiert mit Vettels vorab in einem Sponsor-Video publizierter Bemerkung, sich nicht für den Sieg zu entschuldigen, zogen sich die Mundwinkel hinunter: „So denkt er eben – und so hat er sich auch verhalten.“
„Mark hat mir nie geholfen“
Deutlicher hat Vettel die Rivalität noch nie kommuniziert. Schon der Überholvorgang in Sepang zeigte, dass sich da etwas aufgestaut haben muss. Von der Angriffslust des Heppenheimers zeugte schon sein Eröffnungssatz: „Ich sehe mich nicht als der böse Bube.“
Danach wurde viel darüber palavert, ob er die inzwischen berühmte Teamorder-Formel „Multi 21“ gehört habe oder nicht, bevor er überholte. Es war von mangelnder Akustik, von Verwirrung, von fehlender Wiederholung die Rede. „Das kann man mir glauben oder nicht“, sagt Sebastian Vettel. Sagen wir so: Die wesentliche Frage ist nicht die, ob er die Anweisung gehört hat – sondern ob er sie überhaupt verstehen wollte.
Dagegen spricht jene Klarheit, mit der er seinen Gerechtigkeitssinn begründet. „Um ganz ehrlich zu sein, hat mir Mark nie geholfen, als ich seine Hilfe gebraucht hätte“, sagt Vettel, und spielt damit auf das letzte WM-Finale an, als die beiden gleich am Anfang kollidierten. Auf Nachfrage bestätigt er: „Hätte ich den Funkspruch verstanden, hätte ich darüber nachgedacht, die Positionen zu halten. Aber ich hätte wohl wieder so gehandelt. Indirekt könnte man sagen, dass ich es ihm heimgezahlt habe.“
Vertrauensvoll ist anders
All das wäre sogar nachzuvollziehen, wenn er nicht zugleich so sehr auf einem Kommunikationsfehler beharren würde. Vielleicht hätte er doch gern die heile Welt zurück. Das Wort „Stallkrieg“ verbittet er sich, er glaube nicht, dass sich nun ein Spalt im Team auftue. Doch, doch, er respektiere Webber – als Rennfahrer: Persönlich sei das aber anders: „Vertrauensvoll würde ich unser Verhältnis nicht nennen.“
Auch interessant
Für Vettel ist in dieser Glaubwürdigkeits-WM entscheidend, dass das Team weiter hinter ihm steht. Weshalb er allen Charme in die Rechtfertigung legt: „Ich bin nur einer von vielen in diesem Team. Und ich habe mich nach dem Rennen schlecht gefühlt als Teammitglied, meine Absicht war nicht, meinen Rennstall zu hintergehen.“
Eigens deshalb ist es noch einmal zu einer Entschuldigungstour in der Rennfabrik in Milton Keynes gekommen. „Ehrlich gesagt, haben die Leute dort nicht verstanden, für was ich mich entschuldige“, sagt Vettel. Und da kam es dann wieder, dieses süffisante Lächeln. Bis vor kurzem noch hätte man es „lausbubenhaft“ genannt.