Mülheim. Lilly, Paulina und Lina spielen Flag Football bei den Mülheim Shamrocks. So gut, dass sie nun sogar auf Olympia 2028 hoffen können.

Noch einmal reibt sich Lilly Küter die Hände, pustet sie kurz an, um sie aufzuwärmen und macht sich dann bereit: „Ready, hep“, ruft die 17-Jährige durch den Mülheimer Abendhimmel und bekommt daraufhin den Ball zugeworfen. Was folgt ist Präzision: Mit dem rechten Arm holt sie aus und wirft mit Wucht. Punktgenau fliegt der Ball in die Arme ihres Mitspielers. Übung abgeschlossen. Durchgang beendet.

Wenige Minuten später, eine andere Übung: Diesmal stehen unter anderem Paulina Seidel und Lina Heiligenstadt im Fokus. Sie sprinten nach vorne, ehe sie Blickkontakt mit den Mitspielern suchen. Ein Haken und schon rennen sie in die andere Richtung, machen sich bereit zum Catch – fangen den Football, atmen einmal durch und stellen sich wieder hinten an.

Der blaue Kunstrasen auf der Anlage an der Mintarder Straße reflektiert das Flutlicht. Winterlich frisch ist es. Auf dem Feld trainieren rund 25 Männer und Frauen gemeinsam. Die Altersstufen: völlig durchmischt. An der Seite ihrer Trainingsklamotten sind Bänder befestigt. Es ist Flag Football-Training der 1. Mannschaft der Mülheim Shamrocks – und Küter, Seidel und Heiligenstadt sind als Jüngste mittendrin. Denn Flag-Football geht über Alters-, Geschlechter- oder Körpergrenzen hinaus. Jeder findet schon seinen Platz. Genau das ist es, was die drei Jugendlichen so sehr an ihrem Sport lieben.

Mülheimer Trio schaffte es über die Shamrocks in die deutsche Jugend-Nationalmannschaft

„Es ist eine Teamsportart. Ich liebe es, dass man sich gegenseitig so unterstützt. Und es ist ein sehr schneller Sport. Einfach geil“, beschreibt Paulina Seidel ihre Gefühle zum Flag Football und erhält zur Bestätigung von Küter und Heiligenstadt viel Kopfnicken. „Man bekommt hier immer Action“, sagt Heiligenstadt und Küter ergänzt: „Außerdem wird viel geworfen. Das mag ich, denn ich bin ja Quarterback.“

So funktioniert Flag Football

Flag Football ist mit dem American Football verwandt. Körperkontakt ist allerdings nicht erlaubt, wodurch auch auf große Schulterpolster und einen Helm verzichtet werden kann. Ein Team besteht aus fünf Mitgliedern, sowohl Männer als auch Frauen. Der Ball muss wie beim Football durch Pass- oder Laufspiel in die gegnerische Hälfte getragen werden. Dafür hat ein Team acht Versuche - vier, um bis zur Mittellinie zu kommen und dann noch einmal vier, um in die Endzone zu gelangen. Gelingt dies der angreifenden Mannschaft, hat sie einen Touchdown erzielt und bekommt hierfür sechs Punkte. Danach wechselt das Angriffsrecht. Die Spielerinnen und Spieler tragen einen Gürtel mit Flaggen. Wird die Flagge des Ballträgers oder der Ballträgerin abgerissen, wird das Spiel gestoppt und an dieser Stelle neu fortgesetzt. Der Versuch ist beendet.

In der Deutschen Flag Football Liga spielen 40 Teams, aufgeteilt in vier Divisionen. Die Mülheim Shamrocks spielen in der Division West gegen die Mainz Legionaries, die Duisburg Ducks und die Trier Biber. Schätzungen zufolge spielen knapp 6000 Menschen in Deutschland Flag Football.

Im Jahr 2028 wird Flag Football Teil der Olympischen Spiele in Los Angeles sein.

Seit rund fünf Jahren ist Küter, die zu jedem Training extra aus Essen anreist, schon dabei, später kamen auch die heute 16-jährigen Seidel und Heiligenstadt dazu. „Ich habe früher Turnen gemacht und wollte dann hier zum Cheerleading-Camp“, erinnert sich Heiligenstadt. Das Problem: Sie hatte sich im Tag vertan. Statt Cherleading fand Tackle-Football auf der Sportanlage statt. „Also habe ich bei der U13 ein paar Stunden mit- und dann irgendwie weitergemacht. Nun bin ich seit zwei Jahren dabei.“

Mülheim Shamrocks
Lina Heiligenstadt ist eine von drei Jugendnationalspielerinnen im Flag Football von den Mülheim Shamrocks. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Eine lange Zeit in diesem komplexen Sport ist dies noch nicht. Doch das Talent der drei fiel schnell auf: Mülheims Flag Football-Nationalspielerin Paulina Schwarz erkannte das Potenzial und schleppte das Trio Ende 2022 zu einem Probetraining der deutschen Junioren-Nationalmannschaft.

Die Mülheimerinnen überzeugten und fuhren bereits ein Jahr später zur Europameisterschaft ins italienische Grosseto – Heiligenstadt und Küter als Jahrgang 2007 mit der deutschen U17-Nationalmannschaft der Mädchen, Seidel mit der gemischten U15. Für eine Medaille reichte es zwar nicht, die Erfahrung war aber umso wertvoller.

Mülheimer Flag Football Nationalspielerinnen erlebten bereits zwei Europameisterschaften mit

Als sie das erste Mal die deutsche Nationalhymne als Spielerin auf dem Feld hörten, war dies schon „sehr geil“, wie es Paulina Seidel unumwunden ausdrückt. Es fühle sich „wirklich cool an, sein Land zu vertreten.“ Zumal es blöde Sprüche nun wirklich so gut wie nie gebe. „Und wenn doch, dann nur von den Jungs. Aber die sind nicht wirklich ernst gemeint. Pubertät oder so“, sagt Seidel. Alle Freundinnen seien hingegen total unterstützend – „supportiv“, wie es die 17-Jährige ausdrückt. „Die finden es auch krass, dass wir auf so einem Niveau spielen.“

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Paulina Seidel betreibt neben American Football und Flag Football auch noch Leichtathletik in Krefeld. Sie ist bis zu fünf Mal in der Woche auf dem Sportplatz. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Denn ein Jahr nach Italien stand stand schon die nächste Reise an. Diesmal ging es nach Belgrad, wieder zur Europameisterschaft, diesmal für alle drei in einem Team. Durch die Erlebnisse im Vorjahr war es 2024 aber ganz anders. „In der Nationalmannschaft zu spielen, macht mega viel Spaß“, sagt Seidel. „Wir sind wie eine Familie. Wir kannten es nun schon ein bisschen, fühlten uns sicherer und hatten ein anderes Selbstbewusstsein. Und wir kannten auch schon die anderen Teams. Da gab es Freundschaften, Bekanntschaften“, sagt Lina Heiligenstadt und schiebt schmunzelnd hinterher: „und auch sowas wie Feindschaften.“

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Lilly Küter ist Quarterback bei der Flag Football-Mannschaft der Mülheim Shamrocks. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Und es war ein anderes Gruppengefühl. Der Support untereinander im Team Deutschland war toll. Wir sind morgens 40 Minuten mit dem Bus zum Spielort gefahren, haben dann dort auch die Spiele der anderen Teams geschaut und sind abends 40 Minuten zurückgefahren“, erinnert sich Küter. Weil organisatorisch nicht alles perfekt vorbereitet war, kümmerten sich die Eltern und Betreuer um die Verpflegung. „Es war sehr, sehr heiß. Da waren keine Bäume, kein Schatten. Unsere Eltern haben uns dann Powerade und Wasser gekauft“, so Seidel. „Und Bananen“, wirft Küter lachend ein.

Nach einem komplizierten Start ins Turnier steigerte sich das deutsche Team nach und nach und blieb auf dem Platzierungsweg ungeschlagen, sodass es zu Rang fünf reichte. Der nächste Schritt wäre zumindest für Küter und Heiligenstadt nun die Frauen-Nationalmannschaft, Anfang des nächsten Jahres steht ein Probetraining an, – und möglicherweise 2028 die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Los Angeles. Doch das ist noch weit entfernt, zumal die drei Mülheimerinnen es realistisch einschätzen können.

Mülheim Shamrocks
Bis zu fünf Mal die Woche trainieren die drei Mülheimerinnen Seidel, Heiligenstadt und Küter: drei Mal Flag Football, zwei Mal Tackle-Football, bei dem sie auch ein Teil der ersten Erwachsenen-Mannschaft der Shamrocks sind, und dazu dann noch Fitness- oder wie in Seidels Fall Leichtathletiktraining. Hinzu kommt dann auch noch die Schule. „Das ist schon nicht immer einfach, alles unter einem Hut zu bekommen“, geben sie zu, zumal auch bald Vorabitur-Klausuren anstehen. Aber bisher klappt das alles irgendwie. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Zunächst einmal geht es darum, sich einen Platz im Perspektivkader zu ergattern. „Es ist super schwer, direkt bei den Erwachsenen mitzuspielen“, weiß Seidel. Und Heiligenstadt ergänzt: „Ich werde ja jetzt erst 17. Wenn ich dann das ganze nächste Jahr mit 17 mit 28-Jährigen trainiere, ist es herausfordernd. Aber dann weiß man auch, auf welchem Stand man ist. Und gleichzeitig ist es auch cool. Es wird hart und man muss sich behaupten.“

Eine Sache, die das Mülheimer Trio bisher noch nie abgeschreckt hat. Sonst wäre es nicht da, wo es jetzt schon ist.

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