Mülheim. Der Turner Artur Sahakyaan kam aus Armenien nach Mülheim und wollte hoch hinaus. An den Ringen ist ihm das jetzt eindrucksvoll gelungen.

Ein Neubaugebiet in Heißen nordwestlich der Hingbergstraße: Die immergleichen weißen Häuser reihen sich aneinander, getrennt nur durch Gartenparzellen auf der einen und die üblichen roten Pflastersteine auf der anderen Seite. Nichts erinnert daran, dass hier noch bis vor neun Jahren der Turnerbund Heißen seine Fußballspiele ausgetragen hat.

Sport wird hier immer noch getrieben, wenngleich die Turnhalle am Mühlenfeld überhaupt nicht in das Bild der Siedlung passen mag. Graue Mauern, nur mit Oberlichtern als Fenster und die Wände mit Graffiti übersät. Hier soll ein Deutscher Meister trainieren?

Kunstturnvereinigung besteht seit 30 Jahren

Drinnen gibt es sämtliche Geräte, die zum Turnen gebraucht werden – eng zusammen auf wenigen hundert Quadratmetern. Die Temperatur ist noch vergleichsweise angenehm. Die Hitze dieses Juni-Donnerstags hat sich noch nicht durch die Mauern gefressen. „Aber warte mal ab, wenn das jetzt länger so bleibt, ändert sich das auch noch“, lacht Jozsef Kakuk.

Der gebürtige Ungar ist seit 30 Jahren Leiter des Stützpunktes in Heißen, an dem sich etliche Turnvereine aus Mülheim, Essen, Duisburg und Düsseldorf 1994 zur KTV Ruhr-West zusammengeschlossen haben.

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Artur Sahakyan trainiert hier schon sein halbes Leben. Mindestens fünfmal die Woche ist er am Mühlenfeld aktiv. Drei Stunden am Tag. Es scheint sich zu lohnen, denn seit Kurzem darf sich der 25-Jährige Deutscher Meister an den Ringen nennen.

Dass er es ausgerechnet in dieser Disziplin an die nationale Spitze geschafft hat, verdankt der Mülheimer eigentlich einer Verletzung. „Vor drei Jahren habe ich mir das Sprunggelenk gebrochen und konnte erstmal nur meinen Oberkörper benutzen“, berichtet Sahakyan. Also trainierte er viel an den Ringen und fand daran Gefallen. Als Allrounder ist aber nach wie vor auch am Seitpferd stark, in der Bundesliga turnt er zudem am Sprung.

Aus Armenien über Arnsberg an die deutsche Spitze

Aber der Reihe nach: Artur Sahakyan stammt aus Armenien und begann dort mit neun Jahren mit dem Turnen. „Eigentlich sehr spät“, wie er sagt. „Ich war als Kind immer schon sehr aktiv und ein Turntrainer hat mich dann draußen gesehen“, erklärt er seine Anfänge. Obwohl er auch Wettkämpfe als Schwimmer absolvierte, gefiel ihm die Vielseitigkeit des Turnens schon immer.

Seit Jahren ein eingespieltes Team: Artur Sahakyan und sein Trainer Jozsef Kakuk.
Seit Jahren ein eingespieltes Team: Artur Sahakyan und sein Trainer Jozsef Kakuk. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Sahakyan war zwölf Jahre alt, als die Familie nach Deutschland flüchtete. Er lebte zuerst in einem Lager in Arnsberg. Bei einem Wettkampf in Essen lernte er durch Zufall Wolfgang Schroth, den Vorsitzenden des Turnerbundes Altendorf kennen. Der wiederum machte ihn mit Jozsef Kakuk bekannt. „Sein Talent war sofort erkennbar“, sagt der Coach heute.

Deutscher Meister Artur Sahakyan: Bescheiden aber ehrgeizig

In der Halle am Mühlenfeld habe er sich gleich wohlgefühlt, auch weil unter den anderen Turnern auch einige russischsprachige dabei waren. „Er war immer sehr gut trainierbar“, sagt Kakuk, beschreibt seinen Schützling als bescheiden, aber ehrgeizig. „Beim Turnen muss man wirklich Dreck fressen, aber er war von Anfang an mehrere Tage pro Woche in der Halle“, lobt der Trainer.

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„Wir sind wir wie eine kleine Familie“, sagt Sahakyan, der mehrmals pro Woche auch eine Kindergruppe von Achtjährigen trainiert. Dass sein eigener Coach ihn vom ersten bis zum heutigen Tag begleitet, weiß er zu schätzen: „Man lebt sich zusammen, man weiß wie der andere tickt. Darauf baut die Arbeit auf. Es wäre blöd, ständig den Trainer zu wechseln“. Jozsef Kakuk lacht kurz auf: „Dann würde es ja Fußball heißen.“

Mülheimer überzeugt beim Testwettkampf in Kienbaum

Teilnahmen an der Jugend-DM und Berufungen in den Landeskader waren erste Erfolge des heute 25-Jährigen. „Ich habe immer darauf hingearbeitet, der Beste in Deutschland zu sein“, sagt Sahakyan. Im letzten Jahr wurde er schon hauchdünn Zweiter bei den nationalen Titelkämpfen. „Und jetzt hat er sich abgeholt, was ihm zusteht“, sagt der stolze Trainer.

Der Deutsche Meister ist mittlerweile bei der KTV Ruhr-West auch als Kindertrainer engagiert.
Der Deutsche Meister ist mittlerweile bei der KTV Ruhr-West auch als Kindertrainer engagiert. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Zuvor hatten beide erfahren, dass auch Nicht-Mitglieder des Bundeskaders an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können. Sahakyan startete bei einem Testwettkampf in Kienbaum – und gewann. Dadurch bekam er die Chance, beim Weltcup in Antalya zu starten, wo er überraschend die Bronzemedaille gewann.

Olympia war schon in der Kindheit das große Ziel

Es in den deutschen Kader zu schaffen und international zu starten, steht nun klar im Fokus. „Mein Traum als Kind waren immer die Olympischen Spiele“, sagt der 25-Jährige.

Kann er dann weiter am Mühlenfeld trainieren. „Ich denke schon, aber wenn er gehen will, werden wir ihm keine Steine in den Weg legen“, sagt Kakuk. Der Trainer wird aber alle jederzeit an die Wurzeln seines Schützlings erinnern. „Oben wird abgesahnt aber die KTV hat Zehntausende reingesteckt an Trainerstunden, an Fahrten und so weiter.“

Welche Verbesserungen sich Sahakyan im Leistungszentrum wünscht

Der Turner selbst weiß aber, was er am heimischen Leistungszentrum hat. „Ich würde mir nur eine größere Bodenfläche wünschen und wir haben nur 19 Meter Anlauf für den Sprung, obwohl man eigentlich 22 Meter braucht“, erklärt Sahakyan.

Sein Trainer wünscht sich vor allem ein spezielles Kräftigungsgerät und Deckenringe, um noch schwierigere Abgänge trainieren zu können. Von einer Erweiterung der Turnhalle wagt er gar nicht mehr zu träumen. „Die Pläne habe ich seit zig Jahren fertig“, sagt er. Passiert sei nie etwas.

Mülheimer turnen wieder in der zweiten Bundesliga

Dennoch haben die heimischen Turner mittlerweile wieder die Möglichkeit, in der zweiten Bundesliga an den Start gehen. Unter dem Namen „Gym Team Metrople Ruhr“ hat sich die KTV mit dem Turnzentrum Bochum zusammengetan und überraschend alle Wettkämpfe der vergangenen Drittliga-Saison gewonnen. Auch in der Aufstiegsrunde war die Mannschaft erfolgreich.

Einer ist aber nicht dabei: Artur Sahakyan. Der Deutsche Meister turnt bereits in der ersten Liga für die Siegerländer Kunstturnvereinigung. Doch der Coach gibt die Hoffnung nicht auf. Jozsef Kakuk sagt: „Wir wollen ein paar Wettkämpfe gewinnen, uns in der zweiten Liga etablieren und dann warten wir mit offenen Armen auf Artur, dass er zu uns kommt.“