Region. Im Schwimmverband NRW sorgt man sich um die Anfänger. Eine Studie soll zeigen, dass keine größere Gefahr als von anderen Sportarten ausgeht.

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Auch der Schwimmsport befindet sich im Lockdown. Dass die Schwimmer ihren Teil zum Kampf gegen das Coronavirus beitragen, steht für Frank Rabe, Generalsekretär beim Schwimmverband NRW, außer Frage.

Mit einer Studie wollen die Schwimmer aber zeigen, dass von ihrem Sport keine größere Gefahr ausgeht, als von anderen Sportarten. Auch, damit sie bei der Wiederaufnahme des Sportbetriebs nicht vergessen werden. Denn schon das Jahr 2020 hat für große Probleme, vor allem bei der Schwimmausbildung gesorgt. Unter anderem darüber spricht Rabe im Interview mit Maximilian Lazar.

Hallo Herr Rabe, vorab die Frage: Wie schätzen Sie die aktuelle Coronalage ein? Wann rechnen Sie damit, dass wieder ein normaler Sportbetrieb möglich ist?

Frank Rabe: Wir hoffen, dass die aktuellen Maßnahmen irgendwann wirken und wir den Betrieb zumindest in kleinen Schritten wieder aufnehmen können. Dabei wollen wir natürlich keine Sonderstellung für das Schwimmen. Wir wollen aber auch nicht vergessen werden, wenn es wieder losgeht. Ich bin ein optimistischer Mensch und glaube, dass sich die Gesamtsituation positiv verändern wird. Allerdings muss ich auch klar sagen, dass die aktuellen Maßnahmen durchaus gerechtfertigt zu sein scheinen. Auch wenn wir gehofft hatten, dass der Mini-Lockdown im November ausreichen würde und wir schon im Dezember hätten loslegen können.

In einem Positionspapier hatten Sie deutlich gemacht, dass vom Schwimmen keine größere Gefahr ausgeht als von anderen Sportarten. Auf welcher Basis beruht diese Aussage?

Eine Studie des Leibnitz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig und des CSIR-National Physical Laboratory in Neu-Dehli hat sich damit beschäftigt, wie sich die Viren in feuchtklimatischen Raumbedingungen, wie sie in Hallenbädern vorherrschen, verhalten. Heraus kam, dass das Virus bei einer hohen Luftfeuchtigkeit schneller zu Boden fällt und nicht durch die Luft wirbelt. Insgesamt ist die Verteilung sogar geringer als in anderen Räumen. In Zusammenhang mit Chlorwasser, welches nach Aussage des Umweltbundesamt und vieler internationaler Studien das Coronavirus besonders leicht deaktiviert, geht in Hallenbädern keine größere Gefahr vom Virus aus.

Was hat Sie zu dieser Stellungnahme veranlasst?

Nach dem ersten Lockdown hatten wir immer wieder Kontakt mit Vereinen und Badbetreibern. Da haben wir dann von Bäderseite häufig gehört, dass in Hallenbädern ein höheres Infektionsrisiko bestünde und ein Trainings- und Ausbildungsbetrieb somit nicht zu rechtfertigen wäre. Nach jetzigem Stand der Wissenschaft ist das Gegenteil der Fall. Im Wasser ist die Gefahr dabei sogar noch geringer als außerhalb des Beckens.

Wie könnten Sie sich also eine Wiederaufnahme des Schwimm- und Trainingsbetriebes vorstellen?

Wichtig ist: Ich rede nicht von einem öffentlichen Badebetrieb sondern einem strukturierten Vereinsbetrieb. Sportler sind es gewöhnt, sich an Regeln zu halten. Der Trainer ist der Chef im Ring der vorgibt, wie man sich vor Ort zu verhalten hat. Der Verein gibt über sein Hygienekonzept klar vor, wer, wann im Bad ist und wie die Umkleiden aber auch die Schwimmbecken genutzt werden. All dies wurde schon in den vergangenen Monaten umfassend und gewissenhaft in allen Sportvereinen realisiert. Mir ist nicht bekannt, dass es dabei in einem Schwimmbad oder im (Amateur-)Vereinsbetrieb zu einem Infektionsherd gekommen ist. Das Risiko wäre so nicht ausgeschlossen, aber deutlich geringer als bei einem unstrukturierten Neustart. Dabei könnte ich mir auch inzidenzwertbasierende Stufenmodelle vorstellen. An einem Vorschlag dafür arbeiten wir gerade.

Wo lagen nach dem ersten Lockdown denn die größten Probleme?

Unsere größte Herausforderung bestand darin, alle Badebetreiber zu bewegen, von der Möglichkeit der Öffnung auch Gebrauch zu machen. Ich habe mit circa 30 verschiedenen Badbetreibern gesprochen. Manche wollten die Wasserfläche für die Vereine nicht freigeben, weil sie die Einnahmen durch den normalen, durch Begrenzung der Besucherzahlen ohnehin eingeschränkten Betrieb benötigt haben. Andere haben ein angeblich höheres Infektionsrisiko in Trainingsgruppen angeführt. Dieses Argument ist nun entkräftet.

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Viele Sportler kamen in den vergangenen Monaten bereits umgezogen zum Training, haben auf das Duschen vor Ort verzichtet. Das ist beim Schwimmen nur schwer möglich.

Natürlich können wir nicht erwarten, dass die Sportler in Badekleidung zum Schwimmen können. Sie ziehen sich in den Umkleiden um, legen ihre Taschen dann am Beckenrand ab und ziehen sich nach dem Training wieder um. An unserer Schwimmsportschule in Übach-Palenberg haben wir beispielsweise jede zweite Dusche gesperrt und auch in den Umkleiden die Bereiche, die genutzt werden dürfen genau gekennzeichnet. Es ist immer klar, wie viele und welche Sportler sich wann im Schwimmbad befinden.

Dabei reden wir jetzt über Wettkampfsportler. Gerade Schwimmvereine nehmen aber auch den Auftrag wahr, Kindern das Schwimmen beizubringen. Um welchen Bereich machen Sie sich mehr Sorgen?

Sorgen mache ich mir um beide Bereiche. Dadurch, dass der Sportbetrieb eingestellt ist, geht uns allen viel Lebensqualität verloren. Vielleicht liegt hier aber auch eine Chance für die zukünftige Stellung von Sport. Denn wir merken doch, welche gesellschaftliche Bedeutung der Sport neben seiner gesundheitsfördernden Wirkung hat. Ich hoffe nur, dass es schnell die Möglichkeit gibt, sich wieder zu bewegen. Der Bewegungsmüdigkeit kann durch Ergometertraining allein nicht entgegengewirkt werden. Für positive Effekte bedarf es einer gewissen Intensität im Trainingsmiteinander.

Nichtschwimmer-Kinder: Wie Corona das Problem verschärft


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  • Und die Schwimmausbildung?

    Schwimmen ist eine Fertigkeit, die wir nicht wie das Laufen zu Hause erlernen und die sogar Leben retten kann. Schon vor Corona waren Wartelisten von bis zu einem Jahr die Regel. In NRW nehmen unsere Vereine jedes Jahr rund 25.000 Seepferdchen und 10.000 Schwimmabzeichen in Bronze ab. Davon konnten in diesem Jahr rund 80 Prozent nicht ausgebildet werden. Und selbst 100 Prozent wären nicht ausreichend gewesen. Ich mache mir große Sorgen, dass viele Kinder auf der Strecke bleiben. Die Welle an Nichtschwimmern holt uns im kommenden Jahr ein. Deshalb ist mir sehr daran gelegen, dass Schwimmausbildung, sobald es möglich ist, wieder möglich wird.

    Worauf wird es dann ankommen?

    Schwimmunterricht in der Schule war in der gesamten Pandemiephase grundsätzlich zulässig. Wichtig wäre es, dass die Schulen diese Möglichkeit auch umfassend nutzen. Dies ist leider, wie auch der immer erlaubte allgemeine Sportunterricht, nicht immer geschehen. Ergänzend muss dies auch in unseren Vereinen und in den anderen schwimmausbildenden Organisationen wie Wasserwacht und DLRG wieder beginnen dürfen. Nach Zahlen des Landes verlassen rund 150.000 Kinder pro Jahr die Grundschulen. Die sollten alle Schwimmen können und das ist auch in normalen Zeiten nicht in dem Umfang gegeben, den wir uns wünschen.

    Leere Becken: Das Freizeitbad Heveney war beim ersten Lockdown von Mitte März bis Anfang Juli geschlossen. Jetzt ist es seit November wieder dicht. So wie alle anderen Schwimmbäder auch. Schwimmkurse können entsprechend ebenfalls nicht stattfinden.
    Leere Becken: Das Freizeitbad Heveney war beim ersten Lockdown von Mitte März bis Anfang Juli geschlossen. Jetzt ist es seit November wieder dicht. So wie alle anderen Schwimmbäder auch. Schwimmkurse können entsprechend ebenfalls nicht stattfinden. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

    Was sind – Corona einmal ausgenommen – die Ursachen für diesen großen Rückstand?

    Es liegt nicht daran, dass wir bzw. alle an der Schwimmausbildung beteiligten Instanzen nicht mehr machen wollen. Aber für eine qualifizierte Ausbildung benötigen wir neben entsprechendem Personal auch für die Schwimmausbildung geeignete Wasserflächen. Für den ersten Punkt hat das Land NRW den „Aktionsplan Schwimmen“ aufgelegt. Damit sollten Personen ausgebildet werden, die den Lehrern helfen, Schwimmunterricht in der Schule zu geben. Da gibt es tolle Ideen und das ist auch im Koalitionsvertrag verankert, aber durch die Pandemie ist alles ins Stocken geraten.

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    Was wollen Sie tun, um die „Welle an Nichtschwimmern“ zu verhindern?

    Wir können sie nicht verhindern, sondern müssen ihr begegnen. Dies bedeutet zunächst eine Situation herbeizuführen, die keine weiteren Rückstände entstehen lässt. Das beschriebene inzidenzbasierte Stufenmodell sollte auch bei kleinen Lockerungsschritten umsetzbar sein. Ich glaube nicht, dass wir den Rückstand von diesem Jahr im kommenden Jahr aufholen können. Aber wir müssen einen neuen Rückstau in 2021 so gering wie möglich halten.

    Wie können die Kommunen dabei helfen?

    Wir führen Gespräche, damit die Badzeiten für die Schwimmausbildung kostenfrei sind. Allerdings gibt es hier ein ähnliches Problem wie bei der Digitalisierung in Schulen. Das Problem ist die Bäderanzahl und die Infrastruktur der Bäder. Wir haben nicht so viele Bäder, die für den Schwimmunterricht geeignet sind, wie benötigt werden. Dabei ist die Wasserfläche einer Stadt nicht entscheidend. Sprudelbecken, Wellen- und Spaßbäder oder Bäder, in denen es eine Bar gibt, helfen uns nicht. Da ist es schwierig, Kindern das Schwimmen beizubringen.

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    Was schlagen Sie vor?

    Jede Schule hat Zugang zu einer Schulhalle. Warum hat nicht jede Grundschule Zugang zu einem Lehrschwimmbecken? Es reicht, wenn so ein Becken 16x10 Meter groß ist. Da sprechen wir nicht über zig Millionen Euro. Es geht ja nur darum, den Kindern das Schwimmen zu lernen.

    Noch einmal zurück zur aktuellen Pandemie. Wie stellt sich die Lage in den Vereinen dar?

    Mit digitalen Stammtischen haben wir versucht, den Kontakt zu halten. Die finanziellen Auswirkungen sind nach Rückmeldungen der Vereine aktuell noch nicht so gravierend, da die Einschränkungen einen Großteil der üblichen Kosten des Trainings- und Wettkampfbetriebes wegfallen ließ. Wir rechnen aber damit, dass sich viele Schwimmer Ende des Jahres abmelden – schlimmstenfalls zehn Prozent der rund 220.000 Mitglieder die unsere 580 Vereine in NRW haben. Noch gab es aber von noch keinem Verein eine Krisenmeldung nach dem Motto, „mir geht’s nicht gut“.

    Wie kann darauf reagiert werden?

    Das Land NRW hat ein Förderprogramm auf den Weg gebracht, der Topf ist noch nicht leer. Ich mache mir aber ehrlich gesagt mehr Sorgen um das Jahr 2022. Im kommenden Jahr werden Mitglieder fehlen, danach wird sich zeigen, ob sie länger wegbleiben oder zurückgekommen. Ich hoffe, dass sich viele nur abmelden, weil sie aktuell keine Chance sehen, den Sport zu betreiben. Die Frage wird sein, wie nachhaltig der Einfluss durch die Pandemie ist.

    Und abschließend die Frage: Wie steht es um die Leistungsschwimmer, knapp acht Monate vor den Olympischen Spielen in Tokio?

    Die Möglichkeit des Trainings in den Ländern war unterschiedlich, Kadermitgliedern in NRW war es immer möglich – und ist es aktuell auch immer noch – zu trainieren. Was natürlich fehlt sind die Wettkämpfe, denn Training allein macht nicht erfolgreich. Und da ich Zweckoptimist bin, gehe ich davon aus, dass diese Wettkämpfe im Frühling wieder stattfinden und wir alle auch Olympische Spiele in Tokio werden verfolgen können.

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