Ruhrgebiet. Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter aus Herne schlägt Alarm: Respekt nimmt ab, Aggressivität zu. Thorsten Kinhöfer schlägt harte Strafen vor.

„Schiedsrichter verdienen Respekt. Wenn wir darauf keine Antwort finden, wird es schwierig, den Spielbetrieb in allen Bereichen aufrechtzuhalten. Es werden sich dann schlicht keine Schiedsrichter mehr finden.“ So wird DFB-Vizepräsident Peter Freymuth auf dem Portal „IG Schiedsrichter“ zitiert. Diesen Respekt fordert auch Thorsten Kinhöfer ein. Wir sprachen mit dem ehemaligen Herner FIFA-Schiedsrichter über die zunehmende Gewalt gegenüber Unparteiischen, aber auch über seine Einschätzung der Vorfälle in der Kreisliga-Partie zwischen RW Türkspor und FC Castrop-Rauxel am vergangenen Sonntag.

Spielabbrüche in Duisburg, Essen, Mülheim, Witten, Gladbeck, Velbert und zuletzt auch in Herne. Die Gewalt gegen Schiedsrichter nimmt nach Angaben des DFB immer mehr zu. Wo liegen die Ursachen?

Für mich ganz klar im fehlenden Respekt dem Unparteiischen gegenüber. Der ist im Gegensatz zu meiner Zeit im Amateurfußball drastisch gesunken, parallel dazu steigt die Aggressivität der Spieler. Keine Frage, dies ist ein gesellschaftliches Problem. Im Fußball wird es auf dem Platz ausgelebt und immer zu Lasten der Schiedsrichter.

Jetzt pfeifen im Amateurfußball ja auch Amateure …

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Es sind Frauen und Männer, die einem Hobby nachgehen. Jeder Fußballfan muss unendlich dankbar sein, dass Schiedsrichter sich bei Regen, Schnee und Kälte für einen Obolus, der nicht Rede wert ist, auf den Platz stellen. Und dann werden sie nicht nur beleidigt, beschimpft und bedroht, sondern auch geschlagen. Das ist für mich nullkommanull zu tolerieren.

Zur Person: Thorsten Kinhöfer

T horsten Kinhöfer, am 27. Juni 1968 in Wanne-Eickel geboren, ist verheiratet und wohnt in Herne. Der ausgebildete Industriekaufmann ist zurzeit Geschäftsführer der Container Terminal Herne GmbH (CTH) am Westhafen.

Seine Karriere als DFB-Schiedsrichter begann 1994, im Mai 2015 leitete er seine letzte Bundesliga-Partie. Insgesamt hat er fast 400 Spiele im deutschen Profi-Fußball gepfiffen, darunter 2010 das DFB-Pokalfinale in Berlin zwischen Bayern München und Werder Bremen. Dazu kommen als FIFA-Schiedsrichter fünf A-Länderspiele sowie 45 internationale Spiele.

Kinhöfer ist dem Fußball weiter eng verbunden, unter anderem als Kolumnist der Bild am Sonntag.

Wären drastische Strafen eine Lösung?

Ja, jeder Angriff auf einen Schiedsrichter muss eine mehrjährige Sperre des Spielers nach sich ziehen. Hier darf es keine Nachsicht bei der Straffindung geben. Null Toleranz gegenüber Gewalt, vor allem gegen Schiedsrichter.

Im Herner Fall wird einem Schiedsrichter Vorsatz vorgeworfen.

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Das ist doch eine Phrase. Damit wird von dem eigentlichen Problem abgelenkt, dass Spieler, Trainer und Funktionäre die Entscheidungen des Schiedsrichters einfach nicht akzeptieren wollen. Jeder will gewinnen, klar. Und so sollte es im Sport auch sein. Aber Regeln müssen beachtet werden, Entscheidungen eines Schiedsrichters akzeptiert und vor allem respektiert werden. Alles andere kann man nicht tolerieren.

Zudem wird in einer Stellungnahme des Vereins von „eindeutiger Schiebung“ gesprochen.

Das ist für mich ein ganz starkes Stück. Damit wird dem Schiedsrichter bewusst Manipulation unterstellt und die Opfer-Täter-Rolle komplett verdreht.

Zudem fallen auch immer wieder Sätze wie „die wollen nicht, dass wir aufsteigen“. Können Sie das nachvollziehen?

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Solche Aussagen sind doch lächerlich. Wir reden über Kreisliga-Fußball. Wen interessiert es außerhalb des jeweiligen Fußballkreises, also für mich in Bochum, Gelsenkirchen oder Essen, ob eine Mannschaft aus Herne aus der Kreisliga aufsteigt oder nicht? Niemanden! Den eigenen fehlenden Respekt, die vorhandene Aggressivität, das „nicht verlieren können“ dann auf die eigene Herkunft zu schieben, Mitleid zu erwarten – tut mir leid, dass ist einfach nur schlecht und entbehrt jeglicher Grundlage.

Es soll auch zu politischen Gesten auf dem Feld gekommen sein. Haben Sie das in Ihrer aktiven Zeit auch erlebt?

Nein, weder in einem Länderspiel der Türkei, das ich gepfiffen habe, noch im Europapokal mit türkischen Mannschaften.

In Horsthausen soll der Linienrichter nach Angaben von Rot-Weiß Türkspor etwas Kurdisches gesagt haben.

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Das ist doch völlig egal, ob der Schiedsrichter-Assistent Kurde, Deutscher, Pole oder Portugiese ist. Wir leben in Deutschland, in einem weltoffenen, multikulturellen Land. Und unsere Gastfreundschaft sollte jeder genießen, egal welcher Nationalität. Wenn ein Schiedsrichter auf dem Sportplatz wegen einer vermeintlichen Fehlentscheidung oder seiner Herkunft angegangen wird, ist das durch nichts zu entschuldigen, und die Strafe dafür kann nicht hoch genug sein.

Im Saarland sind im September alle Amateurspiele bis hin zu den Junioren ausgefallen, da nach einem Übergriff auf einen Schiedsrichter der Verbandsschiedsrichterausschuss zum Boykott aufgerufen hatte. Was halten Sie davon?

Das ist für mich absolut nachvollziehbar, denn es fallen doch immer die gleichen „Experten“ auf. Schiedsrichter benötigen Schutz und Rückendeckung durch einen Verband.

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Sie waren Schiedsrichter seit ganz jungen Jahren. Können Sie heute einem jungen Menschen empfehlen, Ihnen nachzueifern?

Schiedsrichter zu sein ist eine tolle Sache. Ich habe auf dem Platz ganz viel gelernt, was auch mein Leben geprägt hat: sich durchzusetzen, Entscheidungen zu treffen, einen Standpunkt zu vertreten. Das ist ein hervorragender Lernprozess für jeden jungen Menschen. Aber der Schutz des Schiedsrichters muss gewährleistet sein, der Respekt muss vorhanden sein. Gerade in den unteren Spielklassen verfolge ich eine Entwicklung mit großer Sorge, denn dort wird ein Schiedsrichter offenbar als Freiwild gesehen. Daher würde ich, wenn ich Vater eines 16-Jährigen wäre, ihm heute davon abraten, Schiedsrichter zu werden, weil seine Sicherheit, gerade im Amateurbereich, nicht gewährleistet ist.

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