Gelsenkirchen. Der EM-Spielort Gelsenkirchen wird von Engländern mit viel Spott überschüttet. Wie acht Gelsenkirchener Sport-Macher auf die harsche Kritik reagieren.

Die Eindrücke, die der englische Journalist Paul Brown und einige Fans der „Three Lions“ in sozialen Netzwerken über den EM-Spielort Gelsenkirchen verbreitet haben, sorgen für viel Diskussionsstoff. Brown bezeichnete Gelsenkirchen nach seiner Ankunft am Hauptbahnhof der Ruhrgebietsstadt als „absolutes Drecksloch.“ Über vier Millionen Mal wurde sein Video binnen eines Tages angeklickt. Ein anderer Fan der Engländer bezeichnete Gelsenkirchen als „langweiligste und leiseste Stadt“, in der er jemals gewesen sei. Was sagen Gelsenkirchener Sportler und Funktionäre zur harschen Kritik an ihrer Stadt? Die WAZ hat sich umgehört.

Matthias Gschmack, Vorsitzender des Buerschen HC, sieht Gelsenkirchen als „eine Stadt mit vielen Standortschwierigkeiten“ und stellt fest: „Ich weiß ja auch nicht, was er hier gesehen hat. Aber wir hier wissen, was wir für Probleme haben. Aber er sollte vielleicht auch mal nach Leeds gucken oder in andere ehemalige Industriestädte, in denen ein Umbruch stattgefunden hat. Da gibt es sicherlich auch das eine oder andere Shithole.“

Gerd Hemforth (links) wurde im November als „herausragende Persönlichkeit des Gelsenkirchener Sports“ von Oberbürgermeisterin Karin Welge geehrt.
Gerd Hemforth (links) wurde im November als „herausragende Persönlichkeit des Gelsenkirchener Sports“ von Oberbürgermeisterin Karin Welge geehrt. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Gerd Hemforth, langjähriger Volleyballtrainer des Frauen-Teams des TC Gelsenkirchen, ist gebürtig aus Gelsenkirchen. Er hat eine klare Meinung zu den negativen Äußerungen des englischen Medien-Mannes: „Ich finde es eine bodenlose Frechheit. Ein Reporter aus England postet etwas in sozialen Netzwerken, die Leute springen auf das Drecksloch Gelsenkirchen an. Das Negative bleibt immer haften. Ich habe bei der ganzen Sache vermisst, dass die Leute auch mal etwas Positives von sich geben. Man hätte doch mal schreiben können: Es war alles gut, es hat Spaß gemacht in Gelsenkirchen.“ Der frühere Leichtathlet Hemforth sieht in Gelsenkirchen aber durchaus kritisch, „dass eine vernünftige Altstadt, in der man auch mal etwas Trinken oder Essen kann, fehlt.“

Michael Zurhausen hat zuletzt bei der 30. City-Nacht von Gelsenkirchen der Radsportler ein Rekord-Rennen erlebt.
Michael Zurhausen hat zuletzt bei der 30. City-Nacht von Gelsenkirchen der Radsportler ein Rekord-Rennen erlebt. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Michael Zurhausen ist viel mit dem Hund raus im Stadtgebiet. „Ich war total geschockt, als ich davon hörte“, sagt der Organisator der Radsport-City-Nacht des RC Olympia Buer. „Wer so etwas erzählt, kennt Gelsenkirchen nicht.“ Schöne Ecken gebe es in der Stadt, „was uns fehlt, ist das Nachtleben.“ Dafür zählt Zurhausen das Schloss Horst, das Schloss Berge und das Haus Lüttinghof den Nordsternpark, die Trabrennbahn - und natürlich Schaffrath, wo seit 2014 die City-Nacht der Radrennfahrer stattfindet.

„Man muss die schönen Ecken kennen“, sagt Maxi Groepler, Vorstandsmitglied der Gelsenkirchen Devils.
„Man muss die schönen Ecken kennen“, sagt Maxi Groepler, Vorstandsmitglied der Gelsenkirchen Devils. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Maximilian Groepler, Vorstandsmitglied des American Football-Vereins Gelsenkirchen Devils, kann zumindest nachvollziehen, dass man als erstmals anreisender Gast in der „Stadt der 1000 Feuer“ zunächst einmal schlucken muss. „Wenn man am Hauptbahnhof ankommt, ist der erste Eindruck hart. Das ist hier nicht Westminster Abbey. Auch der zweite Eindruck von Gelsenkirchen ist hart. Der dritte Eindruck wird dann besser. Man muss halt die schönen Ecken unserer Stadt kennen. Die gibt es zweifellos. Ich bin auch schon in Städten gewesen, in denen man bei der Ankunft meint: Wo bin ich denn hier gelandet? Das ist also kein exklusives Gelsenkirchener Problem.“

Und zur EM-Aufmachung in Gelsenkirchen sagt der langjährige Devils-Linebacker: „Der Hauptbahnhof ist nur wenig geschmückt, da hätte man sicherlich mehr machen können. Wenn man über die Berliner Brücke fährt, kommt schon mehr Euro-Feeling auf.“

Leichte Sarkasmus-Prise: SSV Buers Vorsitzender Marcel Denneborg.
Leichte Sarkasmus-Prise: SSV Buers Vorsitzender Marcel Denneborg. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Marcel Denneborg, Vorsitzender der SSV Buer, sagt mit einer britischen Sarkasmus-Prise: „Vermutlich ist dieser Fan an einer der Sportanlagen in Gelsenkirchen ausgestiegen. Wer eine Sportanlage in dieser Stadt betritt, muss ja hoffen, dass er sich nicht die Füße bricht.“ Die Stadt Gelsenkirchen, so Denneborg, nehme gerne vom Fußball, gebe aber zu wenig für die Sportanlagen zurück: „Auf die Drainage für den Rasenplatz an der Löchterheide warten wir seit sieben Jahren.“ Grundsätzlich sei es im Ruhrgebiet und in Gelsenkirchen schön, sagt Denneborg, fügt aber noch eine kleine britische Extra-Note hinzu: „Nur nicht auf Sportanlagen und Nebenstraßen.“

Deutliche Worte: Klaus Lindner, Präsident von Gelsensport.
Deutliche Worte: Klaus Lindner, Präsident von Gelsensport. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Diesen ersten Gedanken hatte Klaus Lindner, Gelsensport-Präsident: „Der ist bestimmt am Südstadion ausgestiegen.“ Einen anderen habe er in einem Gespräch schon in der Woche vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft gehabt: „Man hätte für das ganze Geld auch Gelsendienste beauftragen können, in der ganzen Stadt das Unkraut zu entfernen.“ Und: „Die Einbindung der Vereine ist mir zu kurz gekommen, sie wären mit Herzblut dabei gewesen.“ So hätten auf verschiedenen Sportanlagen kleinere Public Viewings stattfinden können, oder dort hätten Fans campen können. Aber zu diesen Themen, so Lindner, habe es gar keine Gespräche gegeben.

Marcel Söntgen, Gelsenkirchener Rennfahrer des Motorsport-Teams Project Motorsport333, stellt fest: „Gelsenkirchen direkt nach der Ankunft am Hauptbahnhof zu beurteilen, ist aus meiner Sicht ein Armutszeugnis. Wenn sich jemand ein richtiges Urteil über die Stadt erlauben will, dann sollte er für eine komplette Woche hierbleiben und sich alles ansehen.“

„Ein Armutszeugnis!“ Marcel Söntgen nimmt nach der heftigen Kritik an seiner Heimatstadt Gelsenkirchen kein Blatt vor den Mund.
„Ein Armutszeugnis!“ Marcel Söntgen nimmt nach der heftigen Kritik an seiner Heimatstadt Gelsenkirchen kein Blatt vor den Mund. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Söntgens Frau Jessica kommt aus dem Westerwald und musste sich auch erst auf den Ruhrpott einlassen. „Sie hat Gelsenkirchen nach mehreren Jahren mittlerweile tief in ihr Herz geschlossen“, sagt Marcel Söntgen, der in Gelsenkirchen „enorm viele Grünflächen, den Zoo, die Veltins-Arena“ heraushebt. Seiner Meinung nach ist „die Konkurrenzfähigkeit des Stadions nach wie vor gegeben.“ Söntgen zeigt auf: „Sonst würde man hier nicht Top-Acts wie Taylor Swift oder AC/DC hinbekommen. Gelsenkirchen ist eine Stadt mit Bergbau-Tradition und durch Schalke 04 auch mit sportlicher Geschichte. Man muss ganz klar sagen: Auch in Hamburg oder München gibt es schäbige Ecken. Das gilt nicht nur für unsere Region.“

„Gelsenkirchen hat eine der schönsten Arenen in Deutschland“: Bulmkes Basketball-Trainer Stefan Szafranski.
„Gelsenkirchen hat eine der schönsten Arenen in Deutschland“: Bulmkes Basketball-Trainer Stefan Szafranski. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Stefan Szafranski, Spieler-Trainer und Vorstandsmitglied der Basketballer der CSG Bulmke, ist mit „Leib und Seele“ Gelsenkirchener. Die negativen Eindrücke des englischen Journalisten und einiger englischer Fans kann er so nicht ganz nachvollziehen. „Wir haben schon schöne Ecken in Gelsenkirchen“, erläutert Szafranski, „aber man muss auch sagen, dass sich englische Fans vor einem EM-Spiel wohl kaum die Zoom-Erlebniswelt ansehen.“ Was das Stadion angeht, findet der frühere S04-Dauerkarteninhaber, „dass Gelsenkirchen eine der schönsten Arenen in Deutschland“ hat.