Gelsenkirchen. Das Thema sexualisierte Gewalt ist oftmals noch ein Tabuthema – geht es nach Gelsensport, soll sich das in Zukunft ändern.

Der Gelsenkirchener Stadtsportbund hat sich den Kampf gegen sexualisierte Gewalt auf die Fahne geschrieben. Tanja Eigenrauch, Bereichsleiterin Projekte und Sportentwicklung bei Gelsensport:

„Bereits seit mehreren Jahren werden einige Maßnahmen bei uns selbst umgesetzt, wie beispielsweise das Einholen von erweiterten Führungszeugnissen oder die Durchführung von Übungsleiter-Fortbildungen, aber letztlich hat ein konkreter Vorfall im Jahr 2018 dazu geführt, dass das Thema hier bei uns in Gelsenkirchen noch mehr Fahrt aufgenommen hat.“

Gelsensport möchte das Thema sexualisierte Gewalt systematisch angehen

Mit einem Präsidiumsbeschluss bei Gelsensport wurde festgelegt, das Thema sexualisierte Gewalt im Sport intensiver und systematischer anzugehen. Eigenrauch: „Wir wollen eine Kultur der Achtsamkeit und des Hinsehens in den Vereinen schaffen und damit auch Handlungssicherheit für alle Akteure erreichen.“

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Dass dieses sensible Thema aktueller denn je ist, belegt der kürzlich bekannt gewordene Fall aus Baden-Württemberg. Ein Handball-Trainer des TSV Fellbach soll über Jahre hinweg sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 13 und 18 Jahren ausgeübt haben – und zwar in 567 Fällen.

Nicht immer handelt es sich um strafrechtlich relevantes Verhalten

Ulrike Schlegel, Gelsensport-Vizepräsidentin Gleichstellung und Kinderschutz, weiß, dass es oftmals schwierig ist, solche oder ähnliche Fälle aufzuklären und dagegen vorzugehen: „Nicht immer handelt es sich um strafrechtlich relevantes Verhalten, das verurteilt wird und sich daraus eine klare Handlungsgrundlage für Vereine ergibt, wie sich das Vereine wünschen würden. Hier ist Haltung gefragt: Was akzeptieren wir in unserem Verein? Sind sexistische Sprüche, anzügliche Bemerkungen oder gemeinsames Umkleiden und Duschen geduldet?“

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Schlegel zeigt auf: „Hier kann es sich um Grenzüberschreitungen aus Unwissenheit oder Ignoranz, oder aber um vorbereitendes Verhalten von Täterinnen oder Tätern handeln. Deshalb ist Aufklärung und Sensibilisierung aller Beteiligten, aber auch die Auseinandersetzung im Verein so wichtig.“

Sexualisierte Gewalt wird noch immer tabuisiert

Katharina Eresch von der Koordinierungsstelle im Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport, stellt fest: „Das Thema sexualisierte Gewalt wird immer noch tabuisiert. Nach dem Motto: Wenn man sich Dinge nicht vorstellen kann, dann passieren sie auch nicht.“ Die Fakten sehen allerdings anders aus.

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Bei einer bundesweiten Online-Befragung der Bergischen Universität Wuppertal und des Universitätsklinikums Ulm von 4367 Vereinsmitgliedern kam heraus, dass jede oder jeder Vierte „mindestens einmal sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen im Kontext des Vereinssports“ erlebt hat. Bei etwa 19 Prozent sei „mindestens einmal sexualisierte Belästigung oder Gewalt mit Körperkontakt“ vorgekommen.

Fünf Fälle sind in Gelsenkirchen seit 2018 bekannt geworden

Auch für Gelsenkirchen liegen Zahlen vor, auch wenn die Dunkelziffer, wie überall, sicherlich höher liegt. In der Zeitspanne von 2018 bis heute sind fünf Fälle von sexualisierter Gewalt aufgetreten. Bevor Gelsensport überhaupt tätig werden kann, müssen die betreffenden Fakten zunächst einmal an den Stadtsportbund herangetragen werden. Wie läuft so etwas ab?

„Das kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen, entweder kommt ein Verein direkt auf uns zu und bittet um Beratung oder Personen, die einen Verdacht oder Vermutungen haben. So kommen zum Beispiel Eltern auf uns zu“, schildert Tanja Eigenrauch und ergänzt: „Uns ist es ganz wichtig, dass Vereine und Betroffene wissen, dass sie eine Anlaufstelle bei uns haben, die ihnen Glauben schenkt und sie ernst nimmt. Aus vielen Bereichen wissen wir, dass Betroffene aus Angst oder Scham schweigen oder nicht wissen, an wen sie sich wenden können.“

Handlungsmöglichkeiten in den Vereinen sind begrenzt

Die Handlungsmöglichkeiten von Gelsensport bei Vorfällen in den Vereinen sind allerdings begrenzt. „Die Vereine sind eigenverantwortlich. Wir haben kein Durchgriffsrecht, können den Vereinen nicht vorschreiben, was sie tun sollen“, verdeutlicht Tanja Eigenrauch, „was wir machen können: Beraten, unterstützen, aufklären.“

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Sexualisierte Gewalt kann auch in vermeintlich harmloserer Form vorkommen – zum Beispiel durch anzügliche, abwertende Textnachrichten oder Sprüche. Eigenrauch: „Sexualisierte Gewalt fängt nicht erst mit Nötigung, Vergewaltigung oder Missbrauch an und beschränkt sich auch nicht auf Übergriffe mit Körperkontakt, sondern beginnt beispielsweise mit sexistischen Sprüchen, Witzen oder auch dem Senden von Bildnachrichten mit entsprechendem Inhalt, wie beispielsweise ‘Dickpics’. Reaktionen sind dann häufig: Das ist doch nicht ernst gemeint, nicht so schlimm oder dürfen wir jetzt gar keine Witze mehr machen? Letztlich geht es auch um ein respektvolles Miteinander und das Achten der Grenzen anderer.“

„Hinschauen, kümmern, nachfragen“

Katharina Eresch nennt einen Ansatz, mit dem sensiblen Thema umzugehen, ohne hunderttausende Übungsleiter und Übungsleiterinnen, die in Deutschland wichtige ehrenamtliche Arbeit leisten, unter Generalverdacht zu stellen.

„Hinschauen, kümmern, nachfragen – das ist genau die richtige Reihenfolge, wenn man den Eindruck hat, dass sich jemand seltsam verhält. Aber nicht jeder ist automatisch Täterin oder Täter“, so Eresch.