Gelsenkirchen. Negativ-Spirale, Frust, Enttäuschung: Schalke 04 liegt am Boden. Trotzdem sieht René Paasch eine Chance, das Feuer wieder anzuzünden.
René Paasch arbeitet als Sportpsychologe mit Trainern, Clubs und Aktiven zusammen. Der 46-Jährige hat früher für Erle 08, Horst-Emscher und die Reserve von Schalke 04 gespielt. „Meine Trainingsleistungen waren nach Aussagen von Beobachtern immer gut, aber ich habe die Leistung nicht auf den Platz gebracht und mich dann entschieden, die Schuhe an den Nagel zu hängen“, bilanziert Paasch, der Schalke „nach wie vor im Herzen trägt.“ Im WAZ-Interview sagt Paasch, worauf es bei den kriselnden Schalkern jetzt ankommt.
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Herr Paasch, was geht in den Köpfen der Schalker Spieler vor, die seit 19 Spielen nicht mehr gewonnen haben?
René Paasch Da entwickelt sich ein dauerhaftes Gedanken-Karussell. Man macht sich extrem viele Sorgen und kommt ins Grübeln. Zum Beispiel, wenn es um eine mögliche Vertragsverlängerung geht. Der eigene Druck und der Druck, der von außen hereingetragen wird, sind extrem. Das Selbstvertrauen sinkt in so einer sportlichen Negativphase. Man macht als Spieler bestimmte Wege auf dem Platz nicht mehr. Sobald die Mannschaft einen Gegentreffer kassiert, bricht alles zusammen wie ein Kartenhaus. Die Selbstzweifel steigen.
Wie kann Schalke 04 aus diesem Teufelskreis ausbrechen?
Indem man sich im Training ganz viele kleine Erfolgserlebnisse holt und in dem der komplette Trainer-Staff viel lobt. Das ist jetzt besonders wichtig. Die Jungs wollen ja Fußball spielen und es möglichst gut machen, aber im Moment stecken sie in einer Spirale, die nur noch peinlich ist. Sowohl für sie selbst als auch für den Verein.
Schalke bestreitet heute um 14 Uhr ein Testspiel gegen den Zweitligisten SC Paderborn. Reicht da ein 1:0-Sieg als kleines Erfolgserlebnis, um die Weiche zu stellen?
Das ist zu klein gedacht. Wichtig ist, dass auf Schalke alle noch enger zusammenrücken und ganz viel kommunizieren. Es muss eine offene Gesprächskultur herrschen. Der Trainerstab muss die Gedanken und Sorgen der Spieler ernst nehmen. Wie denken die Jungs? Was geht in ihnen vor?
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Welchen Einfluss kann ein Sportpsychologe in so einer Lage nehmen? Und wo kann er ansetzen?
Ich bin unter anderem beim VfL Bochum und bei den Sportfreunden Lotte tätig. Da kriegst du als Sportpsychologe manchmal einfach die notwendige Zeit nicht. Aber genau auf diesen Faktor kommt es an: Du brauchst mit den Spielern genauso viel Zeit außerhalb des Platzes wie auf dem Platz. Wenn aber alle nach dem Training sofort weg sind, wird es mit der Umsetzung schwierig. Bei Schalke arbeitet ja mit Sascha Lense ein Sportpsychologe. In so einer Situation muss man in Prozessen denken und handeln. Klar ist: Aus einer Ente macht man keinen Porsche.
Was würden Sie jetzt tun?
Ich würde die Mannschaft am liebsten einpacken, mit ihr im Bus durch den Ruhrpott fahren und dann der Frage nachgehen: Was bedeutet überhaupt Schalke? Die ganz große Begeisterung zum Ruhrgebiet fehlt einfach in der Mannschaft. Ich vermisse ehrlich gesagt als ehemaliger Schalker bei den meisten Profis die Identität mit dem Verein.
Mit Ralf Fährmann, der die Knappenschmiede durchlaufen hat, und Ahmed Kutucu, dessen Vater Bergmann war, gibt es aber durchaus Malocher-Bezug im Kader.
Das stimmt, aber bei vielen anderen eben nicht. Wo ist das Verständnis für Schalke? Wie kann da überhaupt eine Identität entstehen? Es reicht nicht, irgendwelche Spieler zu kaufen, die dann im S04-Trikot auflaufen. Du brauchst Jungs, die brennen, die sich den Arsch aufreißen, die bereit sind, mit dem Verein einen langen und auch schwierigen Weg zu gehen. Die Fragen, die sich jetzt stellen, lauten: Ist Schalke ein Team? Und inwieweit setzt jeder seine Mentalität für den Klub ein?
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In diversen TV-Experten-Runden kam unter anderem der Vorschlag, dass Schalkes Profis sich mal ohne Trainer zusammensetzen und sich untereinander die Meinung geigen sollen. Was halten Sie davon?
Das mit dem Zusammensetzen ist nett, ja. Aber vorrangig kommt so eine Idee immer dann, wenn es nicht läuft. Auch dieses gegenseitige Austauschen ist ein Prozess, da fehlt mir aber ehrlich gesagt die Nachhaltigkeit. Und warum sollte das ohne Trainer ablaufen? Ich bin sicher, dass der neue Coach Manuel Baum richtig Bock auf Schalke hat und hier etwas reißen will. Sonst hätte er den Job im Juniorenbereich des DFB nicht aufgegeben.
Wo wir gerade beim Trainer sind: Hat Manuel Baum durch das 0:4 zum Debüt gegen RB Leipzig schon einen Kratzer im Lack?
Wir Psychologen sagen immer: Am Anfang liegt der Zauber. Das war bereits der Anfang. Zu verlieren, ist kein schönes Gefühl. Manuel Baum wird das Spiel aufarbeiten und sich bestimmt auch hinterfragen. Aber grundsätzlich sehe ich es nach allem, was ich bisher von ihm an Aussagen gehört habe, so: Er ist stolz, bei Schalke 04 zu sein. Ich wünsche mir, dass es bei Schalke wieder funktioniert.
Worin besteht denn die Chance der Königsblauen, doch wieder auf Kurs zu kommen?
Schalke hat einen großen Vorteil: Fast alle haben sie schon abgeschrieben. Schalke muss jetzt kleine Schritte machen. Der Glaube muss hochgehalten werden. Schalke kann die Vergangenheit nicht verändern, aber dafür die Gegenwart. Mit einem kleinen Strohhalm kann hier wieder ein großes Feuer entfacht werden. Sie müssen als Mannschaft rausgehen, 93 Minuten alles raushauen und einfach brennen. Die S04-Spieler dürfen sich in einem Punkt sicher sein: Egal, was bei Schalke auch kommt: Die Fans lieben ihren Verein.