Essen. Essener Cheftrainer ist bereit für die Herkules-Aufgabe in der 1. Bundesliga. Er freut sich darauf, obwohl es schwer wird, die Klasse zu halten.

Der Sprung ins kalte Wasser ist für die meisten Menschen nicht wirklich angenehm, aber ein erster Sprung in die 1. Handball-Bundesliga dürfte noch mehr am Nervenkostüm reißen und für einen hohen Adrenalinspiegel sorgen. Trotzdem freut sich Jamal Naji auf die 1. Liga. Als neuer Trainer des Aufsteigers Tusem Essen steht er vor der bislang größten Herausforderung seiner recht jungen Karriere, sowohl sportlich als auch psychologisch.

Naji ist in seiner neuen Heimat bereits angekommen, hat seine Wohnung auf der Margarethenhöhe bezogen und sich ein erstes Bild von der Stadt Essen gemacht. „Ich bin sehr positiv überrascht“, staunt der 34-Jährige, „denn ich hätte nicht gedacht, dass es hier so grün ist. Als Dorfkind finde ich das schon mal sehr schön. Und die Margarethenhöhe ist auch eine tolle Ecke.“

Auch Jamal Naji freut sich schon auf die Saison in der 1. Bundesliga.
Auch Jamal Naji freut sich schon auf die Saison in der 1. Bundesliga. © Michael Gohl

Dorfkind mit marokkanischen Wurzeln

Viel Grün ist das „Dorfkind“ mit marokkanischen Wurzeln natürlich aus seiner Geburtsstadt Bad Honnef gewohnt, in der er erst recht spät zum Handball gefunden hat. „Ich habe erst mit 14 Jahren angefangen, fand Handball dann aber spannender und interessanter als Fußball“, schmunzelt Jamal Naji, der dann später eine Einladung zur Junioren-Nationalmannschaft erhalten sollte und selbst als Rückraumspieler in der 3. Liga zum Einsatz kam.

Von seinem Heimatverein, der HSG Siebengebirge/Thomasberg, ging es über die Nachwuchsakademie des VfL Gummersbach zum TSV Bayer Dormagen, wo er zuletzt Jugendkoordinator war und die A-Junioren in der Bundesliga trainierte. Handball ist aber nicht der einzige Sport, den Jamal Naji aufmerksam verfolgt. Vor allem die amerikanischen Sportarten haben es dem studierten Politikwissenschaftler angetan: „Dort kann ich mir viel für den Handball abgucken. Die Amerikaner sind viel fortschrittlicher und genauer, was die sogenannten ‚Advanced Stats‘ angeht, also die Statistik-Analysen. Da sind wir im Handball noch relativ weiter hinterher. Das wird aber noch eine ziemlich wichtige Rolle einnehmen, da bin ich mir sicher.“

Trainingseinheit mit Assindia Cardinals geplant

Basketball, aber auch Football seien solche Sportarten, von denen man lernen könne. Aus diesem Grund plant der Tusem-Trainer mit seiner Mannschaft während der Saison-Vorbereitung sogar eine gemeinsame Einheit mit dem Essener Football-Team, den Assindia Cardinals.

Sportlich betrachtet wird die kommende Spielzeit in der oft zitierten „stärksten Liga der Welt“ für alle Beteiligten eine Herkules-Aufgabe, die schier unlösbar scheint. Als Aufsteiger hat man es ohnehin nicht leicht, das zeigt die Erfahrung. Von 26 Aufsteigern in den vergangenen zehn Jahren konnten nur sechs die Klasse halten. Zudem werden in der kommenden Saison vier Mannschaften absteigen. Der Tusem besitzt das jüngste Team und den kleinsten Etat der Liga. Wie soll da der Klassenerhalt gelingen? „Man muss kein großer Handball-Prophet sein, um zu erkennen, dass es brutal schwer für uns wird“, räumt Jamal Naji ein, „aber wir gehen nicht in die Liga und sagen, dass wir nur einen Punkt holen wollen.“

Trainer Jamal Naji und Assistent Michael Hegemann (l.) mit den Neuzugängen (von links) Arne Fuchs, Dimitri Ignatow, Tolga Durmaz, Eloy Morante Maldonado, Lukas Diedrich und Lukas Becher.
Trainer Jamal Naji und Assistent Michael Hegemann (l.) mit den Neuzugängen (von links) Arne Fuchs, Dimitri Ignatow, Tolga Durmaz, Eloy Morante Maldonado, Lukas Diedrich und Lukas Becher. © Michael Gohl

Sportpsychologie wird ein elementares Thema

Und es gibt Faktoren, die den Essenern vielleicht Hoffnung machen könnten. „Ich habe bis jetzt auch noch keine Ahnung, wie sehr die Corona-Krise an anderen Vereinen nagt, möglicherweise werden sie auch ein wenig schwächer sein. Und wenn wir nur im Ansatz eine Chance haben können, dann versuchen wir sie zu ergreifen“, versichert Naji.

Es trifft sich gut, dass der neue Trainer eine Affinität zur Sportpsychologie entwickelt hat. Denn es dürfte klar sein, dass der Tusem Durststrecken in der kommenden Saison haben wird. Dann wäre ein stabiles Gefüge von Nutzen und mentale Stärke unerlässlich.

Schon als Spieler die Perspektive gewechselt

„Ich habe damals schon als Spieler immer wieder die Perspektive gewechselt, mich auch mal in den Trainer hineinversetzt. Ich denke, dass das damals geholfen hat, aber auch heute lese ich sehr viel über dieses Thema und glaube, dass die Psychologie fast schon die elementarste Aufgabe in der neuen Saison sein wird“, ahnt Naji.

Die Vorfreude beim ihm und seiner Mannschaft auf die neue Aufgabe in Liga eins werde aber durch die zweifellos schwierige Ausgangslage keineswegs gedämpft – im Gegenteil. Die Tusem-Fans werden es gerne hören.