Duisburg. Als Jugendlicher kickte er für den Nachwuchs des MSV Duisburg – und wollte in der Arena spielen. Das gelang ihm. Nur eben anders.
Sebastian van Santen ist im Nachhinein selbst ein wenig erstaunt. „Vor einem Spiel kommen die Schiedsrichter oft zum Quarterback und zum Kicker und erklären einige Regeln“, berichtet der Kicker von Rhein Fire, dem Meister der European League of Football. „Oft“, sagt van Santen, „hört man da auch mal nicht ganz so genau hin.“ Vor dem Traditionsduell mit Frankfurt Galaxy am Sonntag in Offenbach hat van Santen aber zugehört. „Zum Glück“, wie er betont. Dieses Mal erklärte der Unparteiische, dass alle Schutzregeln für den Kicker bei einem Punt nicht mehr gültig sind, sobald der Ball den Boden berührt. Und dass der Ball dann frei spielbar ist.
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Und dann diese Szene im zweiten Viertel. Die Frankfurter Defensive hatte Rhein Fire in den vierten Versuch getrieben, noch viel zu weit von der Endzone und einem möglichen Field Goal entfernt. Van Santen betrat das Spielfeld, um den Ball mit einem so genannten Punt so weit wie möglich wegzuschießen, damit Frankfurt in einer schlechteren Feldposition den Ball bekommt. Doch der „Snap“, also der Wurf nach hinten, ging völlig schief, landete auf dem Boden. Und keiner reagierte. Außer Sebastian van Santen. „Schrecksekunde würde ich es nicht nennen“, sagt der 28-Jährige. „Aber ich war verblüfft.“ Er schnappte sich den Ball, musste gut 23 Yards bis zu einem neuen ersten Versuch überbrücken – und schaffte es! „Dass die Jungs diesen Spielzug später mit einem Touchdown veredelt haben, ist natürlich klasse“, sagt der Kicker, der plötzlich zum Ballträger wurde. Und in einem lange Zeit knappen Spiel war es ungeheuer wichtig.
Der unfreiwillige Trickspielzug
„Das ist es, was ich an Football so liebe. Alles scheint in eine Richtung zu laufen und plötzlich kann eine Situation, kann ein Spielzug alles verändern“, sagt van Santen. So ganz unvorbereitet war er allerdings nicht. „In der vergangenen Saison haben wir einige Trickspielzüge eingeübt, aber nie anwenden können“, sagt van Santen. Für diesen unfreiwilligen Trickspielzug hat es sich allerdings mehr als gelohnt. Und dass er den Ball auch tragen kann, davon war der gebürtige Düsseldorfer ohnehin überzeugt. „Ich verstehe mich mit allen Mannschaftsteilen sehr gut und habe das alles im Training auch mal ausprobiert“, berichtet der Kicker – der im Team als „kickeruntypisch“ gilt. „Weil ich mich nicht absondere. Mir ist der Teamspirit sehr wichtig.“
Dass er überhaupt Football spielt, ist auch so eine verrückte Geschichte. Denn an sich ist Sebastian van Santen Fußballer, hat für Viktoria Köln, Fortuna Düsseldorf II und die SG Wattenscheid 09 gespielt. „Mit 23 Jahren habe ich mich entschieden, auch meinen beruflichen Werdegang voranzutreiben.“ So wechselte er zum Oberligisten TSV Meerbusch. Dort in Meerbusch wiederum leitet er seit einiger Zeit ein Fitness- und Gesundheitszentrum. Dies besuchte einer der „Owner“, also Gesellschafter, von Rhein Fire. Und der brachte irgendwann Jim Tomsula, den Headcoach des ELF-Champions, mit. „Das passierte schon vor dem Einstieg von Rhein Fire in die ELF.“ Dort kamen van Santen und Tomsula ins Gespräch. Der ehemalige NFL-Coach fragte van Santen nach seinem sportlichen Werdegang, fand, dass jemand, der so athletisch sei, es doch mal mit Football probieren sollte.
Das scheiterte zunächst an der fehlenden Freigabe des TSV Meerbusch. Doch kaum hatte er ein Probetraining absolviert, wollte Tomsula ihn haben. Und so wechselte van Santen vom Fußball zum Football. „Und ich habe die Entscheidung keine Sekunde bereut.“ Die ersten zwei Spiele „hatten mehr mit Glück und Zufall zu tun“, gesteht van Santen frei heraus. „Ich bin es gewohnt, vor Zuschauern zu spielen. Aber vor Zuschauern etwas zu tun, was man noch nie gemacht hat, ist schon etwas anderes.“
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Doch van Santen wurde besser. Immer besser. Und vor der nun laufenden Saison lobte ihn Tomsula für seine bemerkenswerte Entwicklung. „Unser Coach ist ein bemerkenswert offener Mensch. Wenn er etwas nicht weiß, dann sagt er das auch. Das ist beim Kicking so. Er geht dann aber hin und holt Hilfe“, so van Santen. Also machten es Fire und Tomsula möglich, dass der frühere NFL-Kicker Giorgio Tavecchio ins Training kam und an van Santens Feinschliff arbeitete. Der Lohn: Beim Saisonauftakt in Aachen hatte er bei Extrapunkten und Field Goals nur einen Fehlversuch. In Offenbach lag seine Quote bei 100 Prozent – und dazu kam dieser missglückte Punt, der seinem Team einen neuen First Down einbrachte. Und ihm die Auszeichnung zum „Man of the Match“.
Interessant: Rhein Fire spielt bekanntlich in der Duisburger Schausinsland-Reisen-Arena. Und van Santen spielte in der U 16 für den MSV Duisburg. „Das war mitten in der Pubertät rückblickend nicht meine beste Zeit“, sagt er. „Aber wir waren damals auch Balljungen. Ich war schon immer ehrgeizig, aber auch realistisch. Von Bayern kann jeder träumen. Mein Ziel war es damals, für die erste Mannschaft des MSV in der großen Arena zu spielen. Schwer, aber erreichbar“, erinnert sich van Santen. „Als ich dann erstmals dort für Rhein Fire gespielt habe, dachte ich mir: Ich habe meinen Kindheitstraum erfüllt. Nur etwas anders.“
Er ist aber eben auch gebürtiger Düsseldorfer – und seine Familie besteht ausschließlich aus Fortuna-Fans. Fire spielt zwar auch künftig in Duisburg, wird aber 2025 ein Spiel in Düsseldorf austragen. „Wenn ich dort dann auch spielen darf, wäre auch der zweite Kindheitstraum erfüllt.“