Wattenscheid. Terstegge war Zeugwart und Betreuer der SG Wattenscheid 09, jetzt leitet er die Geschäftsstelle. Warum er nie ging? Die Begründung ist einfach.
Eigentlich hat er ein eigenes Büro in der Geschäftsstelle im Lohrheidestadion. Da gäbe es sogar Möglichkeiten, sich zu setzen, es wäre ruhig, niemand würde stören. Und er dürfte sogar rauchen. Doch für das Gespräch setzt sich Holger Terstegge lieber auf den Rand der Schuhwaschanlage. Das ist echter, wenn auch nicht entspannt. Denn nur wenige Sekunden liegen zwischen den Momenten, in denen ihn jemand anspricht. Schließlich weiß der 51-Jährige Bescheid, er gehört bei der SG Wattenscheid 09 zum Inventar. Unverrückbar ist sein Platz beim Fußball-Oberligisten jedoch nicht.
Wattenscheid: Bei der SG 09 ist auch Papierkram eine Herzensangelegenheit
Seit einiger Zeit ist er - auch räumlich - aufgestiegen. Einst war er Zeugwart und Betreuer, zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem die Wäsche der Spielertrikots im Keller. Zwei Etagen darüber liegt sein neuer Arbeitsplatz. Terstegge ist nun Leiter der Geschäftsstelle. An diesem Samstagnachmittag sitzt er auf der harten Kante des Waschbeckens. Um ihn herum ist reges Treiben, ganz normal nach einem Fußballspiel.
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Klirrendes Anstoßen mit Bierflaschen, ein Ball tickt auf den Boden, Stollenschuhe klackern über die Steinplatten, Stimmengewirr. Dagegen wirkt sein täglich Brot etwas dröge. Abrechnungen, Akkreditierungen, Dauerkarten-Anträge, Schriftverkehr. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dem Job des Funktionärs um eine hoch emotionale Angelegenheit handelt. „Für Verein XY hätte ich das nie gemacht. Hier hängt die Pumpe dran“, sagt er bestimmt.
Terstegges Geschichte ist eine, wie sie viele Wattenscheider Fans erzählen könnten. Zu Bundesliga-Zeiten stand der Stadionbesuch im Zwei-Wochen-Rhythmus auf dem Plan, „seitdem bin ich irgendwie daran hängen geblieben“, sinniert er. Dafür legte er die Strecke zwischen seinem Wohnort Hattingen und dem Lohrheidestadion auch mal mit dem Rad zurück. Irgendwann wollte er näher dran sein, und so traf es sich gut, dass der Verein einen Betreuer suchte.
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Aufstiege, Abstiege – und das Aus im Herbst 2019
Der 51-Jährige machte alles mit. Abstiege, Aufstiege, das ständige Bangen um die sportliche und wirtschaftliche Zukunft. Und auch das vorläufige Aus im Oktober 2019.
„Wir waren in der Kabine, und da habe ich ein paar Jungs zum ersten Mal weinen gesehen“, erinnert er sich. In ihm sah es ähnlich düster aus, doch er riss sich zusammen. Zumindest kurz. Terstegge, der nach eigener Aussage keinen Tropfen Alkohol trinkt, gönnte sich nach der Entscheidung, die Mannschaft vom Spielbetrieb abzumelden, zwei Pils. „Ich war rappelvoll“, beschreibt er seinen Zustand danach.
Inzwischen läuft der Spielbetrieb wieder, obschon die Zeit seit Oktober 2019 zäh war. Monatelang war kaum jemand im Stadion zu sehen. Nur Terstegge war da.
Holger Terstegge hat der SG 09 nie den Rücken zugekehrt
„Das war mir zu langweilig, obwohl ich Ruhe sehr gern mag. Da habe ich sogar die Leute gefeiert, die sich verlaufen haben und nur ins Stadion kamen, um nach dem Weg zu fragen.“ Im Gegensatz zu ihnen hat sich Holger Terstegge bewusst für seinen festen Platz im Stadion des phasenweise arg krisengeschüttelten Ex-Bundesligisten entschieden. Es ist sein Herzensverein: „Bei ‘nem anderen Klub wär’ ich doch längst weg gewesen, so viel Ärger, wie hier war“, sagt er.
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Seine Stimme ähnelt der des viel zu früh verstorbenen Schauspielers Diether Krebs stark. Terstegge klingt abgeklärt bei dem, was er sagt. Auch, wenn es um ferne Gedanken geht. So, als gäbe es daran nichts, aber auch wirklich gar nichts zu rütteln: „Irgendwann liegt meine Asche auf dem Mittelpunkt.“