Kiel/Essen. Der Handball-Rekordmeister THW Kiel hat sich mit dem 32:25-Sieg gegen die Rhein-Neckar Löwen zum 18. Mal den Titel gesichert – und peilt nun sogar das Triple an. Doch im Sommer verliert der Klub gleich vier Leistungsträger. Trainer Alfred Gislason will eine neue Erfolgsgeschichte schreiben.

Ein kleines Zückerchen hatte der gestrenge Alfred Gislason schon vorab verteilt: Der Trainer des deutschen Handball-Rekordmeisters THW Kiel hatte vor dem Spitzenspiel gegen die Rhein-Neckar Löwen für den Fall eines Sieges und des damit gesicherten Meistertitels bereits Nachsicht angekündigt: „Eventuell lasse ich dann am Mittwoch das Vormittagstraining ausfallen“, sagte Gislason. Das Problem beim Isländer: Man weiß nie so genau, wann er etwas im Scherz sagt – und wann er es ernst meint. Der 53-Jährige zumindest würde am heutigen Mittwoch einsam durch die Halle streifen. Seine Spieler werden noch den Rausch auskurieren, nach dem unglaublich souveränen 31:25 (15:7)- Triumph im Duell mit dem Tabellenzweiten, der den Kielern vorzeitig die 18. Meisterschaft sicherte.

„Na und“, könnte man fragen. Schließlich hat der Turnverein Hassee-Winterbek von 1904 sagenhafte 14 der letzten 20 Meistertitel verbucht, seit 2005 hat einzig der HSV Hamburg (2011) die dauerhafte Dominanz der Kieler einmal kurz unterbrechen können. Wenn im Fußball nun wortreich spanische Verhältnisse mit zwei beherrschenden Klubs befürchtet werden, so dürfte für die deutsche Handball-Bundesliga die These gelten: Der THW Kiel ist Real Madrid und FC Barcelona in einem. National ist der Klub von der Förde ohnehin unerreicht – und auch international erntete keiner Widerspruch, wenn er die Kieler zur besten Mannschaft der Welt kürt.

Meistertitel ist etwas Besonderes

Und doch ist dieser Meistertitel etwas Besonderes. Einerseits, weil der THW, der vergangene Saison die Liga-Konkurrenz ohne einen einzigen Verlustpunkt gedemütigt hatte, in dieser Spielzeit ab und an verwundbar war – vor allem aber, weil die Kieler im Sommer einen herben Aderlass erfahren werden. Das erfolgreichste Team der Handball-Neuzeit verliert mit Torwart Thierry Omeyer, Kreisläufer Marcus Ahlm und den Rückraumschützen Daniel Narcisse und Momir Ilic vier absolute Stützen. Das Ende einer Ära? „Das ist ein riesiger Verlust für uns – und eine neue Herausforderung“, sagte Trainer Alfred Gislason unlängst in einem Interview mit der „Welt“: „Solche Spieler kannst du gar nicht eins zu eins ersetzen.“

Aber dergleichen hatten die Experten auch geunkt, als Ausnahmekönner wie Stefan Lövgren oder Nikola Karabatic den Klub verließen. Die Einkaufspolitik des THW zumindest ist eher zurückhaltend angelegt. Mit dem 22-jährigen Tunesier Wael Jallouz und dem erst 21-jährigen dänischen Rückraumspieler Rasmus Lauge Schmidt vertraut der THW auf entwicklungsfähige Talente. Und ob der schwedische Torhüter Johan Sjöstrand den Verlust des überragenden Weltklasse-Keepers Thierry Omeyer annähernd kompensieren kann, bleibt abzuwarten.

„Wir werden nächste Saison eine ganze andere Liga erleben“, unkt der frühere Nationalspieler Stefan Kretzschmar. „Es wird viel, viel knapper.“ In den Worten schwingt auch reichlich Hoffnung mit. Zu einseitig, ja, zu langweilig, verliefen die letzten Jahre – und die beste Handball-Liga der Welt büßte zunehmend von ihrem Reiz ein.

Eine gut geölte Maschine

Trainer Alfred Gislason zumindest gibt sich gewohnt pragmatisch: „Es geht immer irgendwie weiter, aber niemand sollte erwarten, dass wir gleich wieder alle Gegner in Grund und Boden spielen.“ Aber natürlich wollen die Kieler 2014 wieder den Titel. Gislason droht gar schon an: „Wenn wir Geduld haben, können wir wieder eine große Mannschaft aufbauen und eine neue Ära einläuten.“ Der Isländer weiß: Diese Mannschaft, die er seit 2008 geformt hat, ist nicht nur eine gut geölte Maschine, sondern zudem ein gefräßiges Monster. Sie will mehr, immer mehr. „Das macht dieses Team so einzigartig“, sagt Gislason. Er meint das Kompliment ernst.

Nun sind die Kieler Meister, der DHB-Pokal steht längst in der Vitrine – und am 1./2. Juni will der THW beim Final-Four-Turnier in Köln den totalen Triumph schaffen: den Champions-League-Sieg, das erneute Triple. Es wäre die passende Krönung einer Ära.

Noch aber wird gearbeitet: Für den Donnerstag hat Alfred Gislason noch gestern Abend zwei Trainingseinheiten angekündigt.