Minden. . Der THW Kiel muss sich eine Dreiviertelstunde quälen, zieht dann aber noch souverän ins Final Four des DHB-Pokals ein. „Das Ergebnis spiegelt nicht unbedingt den Spielverlauf wider“, sagt THW-Trainer Alfred Gislason nach dem 30:22-Sieg in der Kampa-Halle beim TSV GWD Minden.
Liebend gerne hätte Ulf Schefvert diese beiden Sätze auch gesprochen: „Ich bin nicht mit allem zufrieden, was wir heute gespielt haben. Aber ich bin natürlich zufrieden, dass wir das Final Four erreicht haben.“ Das sagte Alfred Gislason, der Trainer des Champions-League-Siegers und Deutschen Meisters THW Kiel, nach dem 30:22 (14:11) im Viertelfinale des DHB-Pokals beim TSV GWD Minden. Dessen Coach, Ulf Schefvert eben, ärgerte sich sogar ein bisschen. „Wir haben 45, 48 Minuten ganz gut gespielt und sehr gut gekämpft“, sagte der 55-jährige Schwede. „Manchmal spielen wir aber ein bisschen zu naiv.“
Damit meinte Ulf Schefvert wohl zwei Dinge. Zum einen die mangelhafte Chancenauswertung, zum anderen die mangelhafte Disziplin, aber zu dieser später mehr. „Uns haben die einfachen Tore gefehlt“, sagte der GWD-Coach, während Linksaußen Aljoscha Schmidt, dem nicht ein Treffer gelungen war, am Sport1-Mikrofon erklärte: „In manchen Phasen wollten wir zu viel, in anderen zu wenig. Wir hatten uns eine klare Strategie vorgegeben, die haben wir auch über 45 Minuten umgesetzt. Aber klar: Der THW hat große individuelle Stärke, macht dann einfache Tore. Wir dagegen haben zu wenig Tore gemacht, 22 ist für uns zu wenig. Sicher waren auch individuelle Fehler entscheidend: Fehlpässe, die falschen Würfe genommen. Und dann steht da im Tor ja auch noch ein Weltklasse-Mann.“
Mindens Linksaußen Aljoscha Schmidt: „Zur Pause haben wir an uns geglaubt“
Obwohl: Für den Fall, dass der Franzose Thierry Omeyer am Mittwochabend in der Kampa-Halle eine Weltklasse-Leistung gezeigt haben sollte, kann Mindens schwedischer Keeper Anders Persson, der unter anderem zwei Siebenmeter-Bälle parierte (Niclas Ekberg und Filip Jicha) sowie einen vorbeiguckte (Gudjon Valur Sigurdsson) diese Auszeichnung auch für sich beanspruchen.
Ein Teil dieser Strategie des TSV GWD Minden war eine sehr, sehr aggressive Deckung. Deshalb gab es auch von der ersten bis zur letzten Minute fast ausnahmslos einen Doppel-Wechsel: Dalibor Doder und Nenad Bilbija – der Slowene feierte seinen 29. Geburtstag auf dem Handball-Feld sehr durchwachsen – wurden von Defensiv-Aufgaben befreit. In der Abwehr agierten die Mindener dann meistens mit drei Kreisläufern: Nils Torbrügge, Oliver Tesch und Vignir Svavarsson. „Damit haben wir natürlich keine Grundlage für schnelle Konter gehabt“, sagte Ulf Schefvert. Und der Blick auf die ersten 30 Minuten gibt dem GWD-Coach insofern Recht, als nur ein Gegenstoß-Treffer in der Statistik auftaucht: das 2:2 in der neunten Minute durch Aleksandar Svitlica.
Aaron Ziercke schimpft Aleksandar Svitlica aus: „Setz dich hin, und sei ruhig jetzt“
Apropos Statistik: Fürs Ziehen der Striche war beim THW Kiel ein deutscher Nationalspieler verantwortlich, ein WM-Starter, nämlich Patrick Wiencek. Weil Daniel Narcisse – der Franzose ist zum Welthandballer des Jahres 2012 gewählt worden und erhielt vor dem Anpfiff auch von Mindens Kapitän Evars Klesniks ein Präsent – nach seiner Grippe wieder fit war, blieb für den Kreisläufer nur der 15. Platz im THW-Kader: verurteilt zum Zuschauen – und eben zum Ziehen der Striche. Unmittelbar vor der Pause durfte Patrick Wiencek dann bei Thierry Omeyer einen gehaltenen Siebenmeter-Ball notieren. Aljoscha Schmidt hatte für den TSV GWD Minden die Chance ausgelassen, nur mit zwei Toren Rückstand in die Kabine zu gehen.
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Dennoch. „Zur Pause haben wir an uns geglaubt, wir lagen nur drei Tore zurück und haben in dieser Saison vor unserem Publikum schon tolle Spiele gezeigt“, sagte der 28-jährige Linksaußen später. Und die Mindener blieben gegen die 6:0-Deckung des THW – in der 25. Minute hatte Alfred Gislason seine 3:2:1-Formation aufgelöst, um dann in der 44. zu einer solchen zurückzukehren – auch dran. Ehe in der 49. Minute gleich mehrere Dinge passierten, die letztendlich wohl richtungweisend waren. Weil bei den Mindenern niemand die Siebenmeter-Entscheidung der schwachen Schiedsrichter Nils Blümel/Jörg Loppaschewski für die Kieler verstanden hatte, obwohl die Unparteiischen in diesem Fall alles richtig gemacht hatten, gab es eine länger anhaltende Motzerei.
Ulf Schefvert: „Wir bekommen im Angriff zweimal zwei Minuten. Das geht nicht“
Zunächst warf Gudjon Valur Sigurdsson vor 2300 Zuschauern am GWD-Kasten vorbei, so dass es beim Mindener 19:22-Rückstand blieb. Aber Aleksandar Svitlica und Nenad Bilbija meckerten so lange weiter, bis sie eine Zwei-Minuten-Strafe erhielten. Gar nicht zu beruhigen war Aleksandar Svitlica, bis Aaron Ziercke die Lautstäkre erhöhte und ein Machtwort sprach. „Setz dich hin, und sei ruhig jetzt“, fauchte Mindens Co-Trainer den Montenegriner an.
„Wir bekommen im Angriff zweimal zwei Minuten. Das geht nicht“, sagte Trainer Ulf Schefvert. „Das hat uns zu viel Kraft gekostet: in der Abwehr und im Angriff.“ Obwohl den Kielern erst kurz nach Ablauf dieser Doppel-Strafe für die Gastgeber dank einer tollen und kräftigen Einzelaktion von Daniel Narcisse das 23:19 gelang. In der Folge aber setzte sich der Favorit dann entscheidend ab, zumal sich die Fehlerzahl der Mindener nun noch mehr erhöhte. Und so konnte Andreas Palicka, der in der 57. Minute für Thierry Omeyer zwischen die Kieler Pfosten gerückt war, mit einer 80-Prozent-Quote gehaltener Bälle (vier von fünf, unter anderem einen Siebenmeter von Aleksandar Svitlica) aus dem Spiel gehen.
Obwohl der THW am Ende mit sieben Treffern die Nase vorn hatte und dem HSV Hamburg, der SG Flensburg-Handewitt und MT Melsungen ins Final Four folgte, war THW-Trainer Alfred Gislason wahrlich nicht in Jubelstimnung. „Das Ergebnis spiegelt nicht unbedingt den Spielverlauf wider“, sagte er. „Es war viel enger, und wir haben uns erst am Ende so richtig absetzen können.“ Gefreut hat sich der 53-Jährige dennoch. Und worüber? „Dass einige, die gestern im Training einen müden Eindruck gemacht haben, heute gut gespielt haben.“ Daniel Narcisse zum Beispiel, der Welthandballer des Jahres 2012.
TSV GWD Minden – THW Kiel 22:30 (11:14)
TSV GWD Minden: Persson, Vortmann (n. e.) – Fuchs (n. e.), Steinert, Südmeier (n. e.), Torbrügge, Tesch (1), Svavarsson (2), Schmidt, Svitlica (7/3), Freitag, Doder (4), Klesniks (4), Bilbija (4).
THW Kiel: Omeyer (1.-57.), Palicka (57.-60.) – Toft Hansen (2), Sigurdsson (4), Sprenger (1), Ahlm (3), Ekberg (1/1), Zeitz (1), Palmarsson (3), Narcisse (4), Ilic (2), Klein, Jicha (7/1), Vujin (2).