Lübbecke. . Das Ergebnis könnte den Eindruck erwecken, es sei am Samstagabend in der Merkur-Arena ein knappes Spiel gewesen. Das täuscht. Souverän setzte sich der TBV Lemgo im Ostwestfalen-Derby vor 2951 Zuschauern durch, auch wenn dabei in Zahlen nur ein 25:23 (15:12)-Sieg beim TuS N-Lübbecke heraussprang.
Okay: Gennadij Chalepo hatte reichlich Personalsorgen. Daran wollte er die nun siebte Niederlage aus den vergangenen acht Spielen und wohl die Ankunft im Abstiegskampf allerdings nicht festmachen. „In der zweiten Halbzeit war kein Mut da“, warf der 43-jährige TuS-Trainer seinem Team vor und hatte auch nur ein Lob parat. „Die Fans waren gut. Danke“, sagte er. Die Fans des TuS N-Lübbecke hatten 60 Minuten lang eine Top-Leistung geboten, an die ihre Mannschaft nicht einmal annähernd herangekommen war.
Wenn es dem einem nach einer sportlichen Auseinandersetzung schlecht geht, fühlt sich der andere meistens deutlich besser. Und dank ihrer tollen Dezember-Bilanz von 8:2 Zählern sind die Lemgoer nun punktgleich mit ihrem Rivalen aus Ostwestfalen (14:22). „Es ist uns gelungen, als Team wieder ein bisschen Futter einzuspielen“, sagte Trainer Dirk Beuchler später auf der Pressekonferenz, nachdem seine Mannschaft zuvor lange auf dem Parkett der Merkur-Arena gefeiert hatte – mit glücklichen, mit strahlenden Gesichtern. Die TBV-Spieler hüpften, sie drehten sich im Kreis, und sie präsentierten sogar Pogo, zumindest als Light-Version, während die Lemgoer Fans aus ihrer Tribünen-Ecke in der Halle ihrer Mannschaft applaudierten.
Am anderen Ende der Diagonalen der Halle bedankten sich die Nettelstedter Spieler artig bei ihren Fans, nachdem sie eine doch enttäuschende Leistung abgeliefert hatten: ohne Arne Niemeyer (Fieber), ohne Risto Arnaudovski, der sich am Dienstag einen Mittelhandbruch zugezogen hat, aber auch ohne Daniel Svensson, der sich gegen die SG Flensburg-Handewitt an der Bank so sehr mit seinem auch am Samstag erschreckend schwachen Teamkollegen Pawel Niewrzawa gefetzt hatte, dass ihn Trainer Gennadij Chalepo suspendierte. Allerdings soll der 30-jährige Däne am Montag wieder ins Training einsteigen und wird wohl am Mittwoch in der Partie beim TSV Hannover-Burgdorf (17.30 Uhr) zum TuS-Kader gehören.
Beuchler: „Kompliment an die Mannschaft“
Von den vielen Ausfällen hatte vor der Partie auch Dirk Beuchler gehört – und war darüber zunächst gar nicht glücklich, weil er schließlich in dieser Saison auch zu einem renommierten Kranken-Seelsorger gereift ist. „Es besteht dann immer die Gefahr, dass andere über sich hinauswachsen“, erklärte der 41-jährige TBV-Coach. Deshalb sei er inzwischen auch resistent, wenn Meldungen von (neuen) TBV-Verletzungen kämen. In Lübbecke konnte er mit derselben Mannschaft starten, die beim sieglosen Schlusslicht TuSEM Essen mit 30:21 gewonnen hatte. Allerdings änderte er seine Start-Sieben und belohnte zwei Akteure für ihre überzeugende Leistung vom Mittwochabend: Torwart Nils Dresrüsse und Kreisläufer Hendrik Pekeler.
Was Dirk Beuchler dann sah, stimmte ihn zufrieden, sehr zufrieden sogar. „Kompliment an die Mannschaft, wir hatten von Anfang an eine gute Einstellung“, sagte Lemgos Trainer und hatte weder an der Defensiv- noch an der Offensiv-Leistung etwas auszusetzen. „Wir haben eine gute Deckung gespielt“, sagte er und führte das auch darauf zurück, dass er die Spieler im Mittelblock dieser 6:0-Formation mehr oder weniger beliebig austauschen konnte. Obwohl TuS-Kreisläufer Frank Løke sicherlich davon berichten kann, dass es beim TBV-Duo Sebastian Preiß/Timm Schneider etwas mehr weh tut. „Nils Dresrüsse hat wieder gut gehalten“, sagte Dirk Beuchler weiter und brauchte gar nicht zu betonen, dass sein 22-jähriger Keeper das Duell gegen das TuS-Paar Nikola Blažičko/Dario Quenstedt für sich entschieden hatte. „Im Angriff haben wir absolut konzentriert gespielt und immer die Ruhe bewahrt, und zu unserem Glück hat Lübbecke in der entscheidenden Phase zwei, drei technische Fehler gemacht.“
Chalepo: „Gerade zu Hause müssen wir mehr agieren“
Doch Gennadij Chalepo, der TuS-Coach, ärgerte sich über viel mehr als zwei, drei technische Fehler, obwohl er öffentlich längst nicht alles ansprach. Da die Entscheidung, Daniel Svensson zu suspendieren, vom Vorstand des Klubs getragen wird, ist es nicht nötig, explizit auf diese weitere Schwächung des ohnehin nicht sehr durchschlagskräftigen Rückraums hinzuweisen. Es hatte den Trainer Lübbeckes genervt, dass es seiner Mannschaft fast nie gelungen war, Akzente zu setzen. Obwohl das Tor zum 19:22, das Mattias Gustafsson nach einem Pass von Drago Vukovic – hinterm Rücken – erzielt hatte, allerhöchsten Unterhaltungswert hatte. Große Klasse! „Gerade zu Hause müssen wir mehr agieren, aber wir reagieren meistens nur“, sagte Gennadij Chalepo.
Das Spiel war noch gar nicht alt, da zeichnete sich sein Ausgang irgendwie schon ab. Lemgos Gunnar Dietrich traf aus dem linken Rückraum, er traf aus dem rechten Rückraum, er traf aus der Mitte – und er trumpfte auch noch als Tor-Vorbereiter auf, so dass sich der TBV nach seiner 6:5-Führung erstmals auf vier Treffer absetzte. Florian Kehrmann traf mit einem Klasse-Dreher von der Rechtsaußen-Position, Rolf Hermann aus dem rechten Rückraum und wieder Florian Kehrmann – nach einem der vielen, vielen unnötigen TuS-Fehler – vom Kreis. Und was machten die Gastgeber? Sie stressten ihren Trainer. Doch was Gennadij Chalepo auch versuchte, er suchte bis zum Schluss vergeblich nach einer Lösung für die Rückraum-Mitte-Position. Spielaufbau fand beim TuS N-Lübbecke nicht statt.
Florian Kehrmann und Drago Vukovic teilen sich ein Lemgoer Handtuch
Als sich Florian Kehrmann in der 23. Minute zum vierten Mal in die Torschützenliste eintrug, nachdem er Nikola Blažičko den Ball souverän am Kopf vorbeigezogen hatte (12:8), musste sich Lemgo Physiotherapeut Bennet Risch gleich um zwei Spieler kümmern und mit dem Handtuch versorgen. Erst wischte sich der Torschütze den Schweiß aus dem Gesicht, dann Drago Vukovic, der für den TBV eigentlich die einzige richtige Gefahr aus dem Rückraum dargestellt hatte.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit war nicht zu übersehen, dass sich der TuS N-Lübbecke etwas vorgenommen hatte, dass er vielleicht seinen Fans auch etwas zurückgeben wollte. Die Gastgeber wirkten nun agiler und auch aggressiver – aber dabei irgendwie ungeschickt. So zog der TBV Lemgo zum Beispiel, ohne großen Aufwand betreiben zu müssen, von 18:15 auf 21:15 davon, nachdem zweimal Rolf Hermann und Jens Bechtloff per Gegenstoß getroffen hatten (41.). „Wir haben gut gekämpft, aber leider wieder verloren“, sagte TuS-Trainer Gennadij Chalepo. „Wir haben sehr gut gekämpft“, hätte er nie und nimmer sagen dürfen.
Dresrüsse fängt den Ball nach dem Wurf von Svensson
Zwischenzeitlich ließen die Lemgoer ihren Vorsprung zwar auf drei und am Ende sogar auf zwei Treffer schmelzen, in Gefahr gerieten sie aber nie – auch nicht, als es der TuS N-Lübbecke mit einer 4:2-Deckung – offensiv gegen Martin Strobel und Rolf Hermann – oder sogar 3:3-Deckung versuchte. Endgültig gelaufen war die Partie, als sich Lübbeckes Mattias Gustafsson gegen Gunnar Dietrich sehr ungeschickt anstellte und den Schiedsrichtern Holger Fleisch/Jürgen Rieber überhaupt keine andere Möglichkeit ließ, als eine Zwei-Minuten-Strafe auszusprechen, und Nils Dresrüsse den Ball beim nächsten Lübbecker Angriff fing, nachdem Kristian Svensson geworfen hatte.
Und weil sich TBV-Trainer Dirk Beuchler am Samstagabend an alter Wirkungsstätte – von 1995 bis 2001 hatte er für den TuS gespielt – so wohl fühlte, stellte er eines noch einmal klar heraus. „Wir haben ein sehr intaktes Mannschaftsverhältnis“, sagte der ehemalige Kreisläufer und hofft, dass „die Lipper zahlreich erscheinen, nachdem sie fünf Tage auf der Couch gesessen haben werden“. Nämlich am Mittwochabend (26. Dezember) zum letzten Spiel 2012. Dann erwartet der TBV Lemgo um 20.15 Uhr in der Lipperlandhalle Frisch Auf Göppingen. Nach dem freien Sonntag, den auch die Spieler Nettelstedts haben, wird am Heiligvormittag und am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages trainiert.
TuS N-Lübbecke – TBV Lemgo 23:25 (12:15)
TuS N-Lübbecke: Blažičko (1.-37.), Quenstedt (37.-60.) – Gustafsson (1), Løke (4), Vukovic (5), Wilke, K. Svensson (5), Tluczynski (5/1), Gartmann (n. e.), Niewrzawa, Schöngarth (2), Remer (1).
TBV Lemgo: Dresrüsse (1.-32., 33.-60.), Lichtlein (32.-33.) – Preiß (2), Bechtloff (3), Kehrmann (5), Strobel (4), Hermann (3), Pekeler (2), Schneider (1), Dietrich (5), Haenen, Ritterbach (n. e.).