Belo Horizonte. . Irgendwie hätte man sie anders erwartet. Den einen demütiger. Den anderen trauriger. Den nächsten tränenreicher. Aber was sollten sie machen? Für immer verschwinden? Durch Hinterausgänge flüchten? Die Länge eines Fußballspiels dauerte es, dann kam der Erste aus dem Versagertrupp.
Die schwere Eisentür von den Kabinen ging auf und Dani Alves, dieser enttarnte Rechtsverteidiger, der seinen Platz vor dem Desaster gegen Deutschland in der Startelf verspielt hatte, nahm die erste öffentliche Rechtfertigung vor. Der nächste war Hulk, dieses Kraftpaket auf Rechtsaußen, er trug einen dicken Brillanten im Ohr. Dann trottete Dante heran, der Verteidiger, der im 13. Länderspiel mit der Nummer 13 auf dem Rücken alles falsch gemacht hatte. Und auch Marcelo, dieser theatralische Verteidiger mit der Starkstromfrisur, holte wortreich aus, dabei bewegte er ständig seine Wasserflasche.
Die Demütigung der Demütigungen
Da waren sie also, die gefallenen Helden, mit deren Namen nun unauslöschlich das düsterste Kapitel der brasilianischen Fußball-Geschichte verbunden ist. „Vexame dos vexames“ – die Demütigung der Demütigungen machte bereits als Obertitel die Runde. Dafür am Pranger: Vielfach dekorierte Stars vom FC Barcelona, Real Madrid oder FC Bayern, üppig honorierte Profis in Russland oder Frankreich. Sie haben sich im entscheidendsten Moment der Karriere gebärdet wie eine Kirmestruppe. 1:7 gegen Deutschland. In einem WM-Halbfinale. Marcelo wusste daraufhin: „Das war der schlechteste Tag des brasilianischen Fußballs und der beste des deutschen.“ Immerhin.
Es kam Panik auf
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Trainer Luiz Felipe Scolari lud die Schuld umgehend auf seine starken Schultern: „Ich habe die taktische Linie gewählt. Ich bin der Verantwortliche, also fällt das Ergebnis auf mich zurück“, räumte der 65-Jährige ein. Der Fußballlehrer aus Passo Funde stufte die Abreibung für das fußballverrückte Land als „fürchterliche Katastrophe“ ein. Warum die hybride Stimmung auf den Rängen, die noch die Energieleistungen gegen Chile und Kolumbien in Achtel- und Viertelfinale ermöglicht hatte, plötzlich im Halbfinale gegen Deutschland zu heftigen Lähmungserscheinungen auf dem Rasen führte, konnte Scolari nicht richtig erklären. „Die Organisation ging mit dem ersten Gegentor verloren, es kam Panik auf.“ Und der Coach flehte: „Dem brasilianischen Volk möchte ich sagen: Bitte entschuldigt diese Niederlage!“
Scolari, der Weltmeistertrainer 2002, ist mit seiner Mission vom sechsten WM-Titel in unfassbarer Art und Weise gescheitert – sein Kontrakt endet mit dem Turnier. Scolari sagte: „Vielleicht wird es in die Geschichte eingehen, dass ich die schlimmste Niederlage aller Zeiten zu verantworten habe.“
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Gewiss sogar. Beim brasilianischen Sender „SporTV“ unterlegten sie die Keulenschläge noch in der Nacht mit düsterer Trauermusik – und blendeten dazu jeweils weinende Anhänger ein. Ihre Träume zerflossen schneller als jedes Wassereis in der prallen Sonne an der Copacabana. Und ergossen sich in ein Meer von Tränen. Doch wenn sie trocknen, täte der brasilianische Fußball gut daran, die Hintergründe zu erfragen. In der Talentförderung, in der Ausbildung, im Ligabetrieb.
Der übersteigerte Hype um den Volkshelden Neymar übertüncht, dass es an weiteren Hochbegabten fehlt. Die Nummer zehn, erläuterte Scolari, hätte übrigens auch nichts ausrichten können gegen die Übermacht. „Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es mit Neymar besser gelaufen wäre. Er ist ein Angreifer.“ Die elementaren Schwachstellen der brasilianischen Elf stellte die entfesselte deutsche Auswahl in Mittelfeld und Abwehr bloß.
Der letztlich überforderte Übervater „Felipão“ hat noch tapfer versichert, dass die Geschichte weitergehe, „die meisten werden weiterspielen, wir werden 13, 14 Spieler wieder bei der WM 2018 in Russland sehen. Mit dieser Niederlage endet nicht das Leben.“ Das mag ja alles stimmen. Aber dieses Leben ist für alle Beteiligten der brasilianischen Nationalmannschaft ab sofort ein anderes. Auch wenn es die Herren Alves, Hulk, Dante oder Marcelo noch nicht richtig realisiert haben. Einen Schritt weiter schien nur Thiago Silva, der nicht auf dem Feld gestanden hatte und noch viel länger in der Kabine geblieben war. Der gesperrte Kapitän berichtete mit geröteten Augen: „Der Schmerz ist so stark, dass ich nicht die Kraft habe zu weinen.“