Belo Horizonte. . Der Abend in Belo Horizonte war die Steigerung von Spektakel. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft fegte Gastgeber Brasilien mit 7:1 aus dem eigenen Stadion und machte somit einen großen Schritt in Richtung Heldenstatus. Bundestrainer Löw will, dass der Erfolg im Gold des Weltmeisterpokals erstrahlt.
Joachim Löw hatte das Hemd gewechselt. Aus dunkelblau war hellblau geworden. Doch auch das neue Textil sah sehr schnell schon wieder sehr getragen aus. Da mochten die Klimaanlagen noch so ihre arktische Luft in den Raum blasen, da mochte sich der Bundestrainer noch so viel Mühe geben, äußerlich gelassen zu erscheinen: In ihm, das erzählte sein Hemd, arbeitete die Aufregung, das Glück, das Adrenalin dieses Fußballspiels unvermindert weiter.
Sieben Kunstwerke
Es war ein großer Abend, größer als das Stadion in Belo Horizonte oder irgendein anderes auf dieser Welt zu fassen im Stande wäre. Mit 7:1 hatte die deutsche Nationalmannschaft Gastgeber Brasilien bezwungen. Das wäre in einem Testspiel schon ungewöhnlich. Aber dies war das Halbfinale einer Weltmeisterschaft. Ein Ereignis für die Ewigkeit. Jeder im Stadion und weltweit an den Fernsehgeräten wusste das sofort.
Sieben Kunstwerke hatten die Deutschen zu einem großen Meisterwerk zusammengefügt. Raffiniert verschaffte sich Thomas Müller Raum für sein Tor, brachial traf Toni Kroos, so wundervoll wie kaum jemand zuvor bei dieser WM war Andre Schürrle erfolgreich. Und die restlichen vier Treffer durch Kroos, Khedira, Schürrle und Klose kombinierten Löws Mannen so schwerelos und zuckersüß herbei wie man es sonst nur bei einer bedeutungslosen Partie Strandfußball an der Copacabana sieht.
Die Mannschaft übertraf sich an diesem Abend selbst. Sie hatte 2010 im Achtel- beziehungsweise Viertelfinale gegen England (4:1) und Argentinien (4:0) spektakuläre Momente produziert. Bloemfontein und Kapstadt waren die Orte, die immer in Verbindung mit diesen wundersamen Ereignissen stehen werden. Aber das in Belo Horizonte, was war das? Das war die Steigerung von Spektakel.
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Noch auf dem Platz schauten sich die deutschen Spieler mit ungläubigem Grinsen an, als binnen sechs Minuten vier Tore gefallen waren. 5:0 nach 30 Minuten. Schweigen. Andächtiges, kopfschüttelndes Schweigen auf dem Rasen, auf den Tribünen. Weil jedes Wort eigentlich zu viel ist, um das Unbeschreibliche beschreiben zu wollen. „Ich habe nicht auf die Anzeigetafel geguckt, aber im Stillen gedacht: Bitte lass’ das nicht nur einen schönen Traum sein“, gab Innenverteidiger Mats Hummels die Gedanken wieder, die ihm durch den Kopf schwirrten, als das alles Gestalt annahm. Es war keine Fiktion, keine Dichtung, sondern skurrile Realität.
Kein Alkohol, kein Phantasieren
„So ein Ergebnis gab es noch nie“, setzte also später nach dem Spiel Bundestrainer Joachim Löw an und man hätte einen Moment lang vermuten können, dass er nun zu schwärmen beginne vom Spiel seiner Mannschaft, von diesem Abend. Doch er fuhr so kühl fort, wie seine Elf gespielt hatte. Man solle das Ergebnis „nicht zu hoch hängen“, sagte er lapidar. Nicht zu hoch hängen? Wie soll das gehen? Aber Löw hatte sich und seinen Spielern Nüchternheit auferlegt. Im konkreten wie im abstrakten. Kein Alkohol, kein Phantasieren. „Wir sind eine Runde weiter“, meinte Thomas Müller, „es bringt uns nichts, dass wir jetzt die Helden sind, denn noch sind wir keine Helden.“
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Der tatsächliche Heldenstatus wird erst am kommenden Sonntag in Rio de Janeiro vergeben. Dort findet das Finale dieser WM statt und Deutschland hat es auf großartige Weise erreicht. Löw weiß das. Aber er weiß eben auch, dass es nun gilt, binnen fünf Tagen ein zweites großes Kapitel Sport-Geschichte zu schreiben. Der Brasilien-Abend wird bleiben. Der 8. Juli wird sich ins kollektive Gedächtnis brennen und dort für immer bleiben. Das allein macht dieses Turnier schon zu einem Erfolg. Aber Löw will, dass er im Gold des Weltmeisterpokals erstrahlt.
Ausdauer und Beharrlichkeit
„Die Gefühle sind natürlich schön im Moment. Wir sind den tiefen Emotionen und der Leidenschaft der Brasilianer mit Ausdauer, Ruhe und Beharrlichkeit begegnet“, lobte der Bundestrainer und schien in dieser Rolle auch nach dem Schlusspfiff noch gefangen zu sein. Als müsse er sie gerade jetzt vorleben. Er saß da, schwitzte in sein frisches Hemd, und wirkte unendlich zielstrebig.