Santo Andre. Elf Freunde müsst ihr sein - der Satz gehört zum Standard-Phrasenschatz im deutschen Fußball. Ausgerechnet die Generation Sommermärchen scheint nun bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien zu beweisen, wie wichtig der Mannschaftsgeist auch heute ist - allen voran Per Mertesacker.

Die Entscheidung dürfte selbst Joachim Löw schwer gefallen sein. Per Mertesacker gehörte in all den Jahren zu seinen treuesten und loyalsten Mitarbeitern. Aber der Bundestrainer hatte sich vor dem Viertelfinalspiel gegen Frankreich gegen ihn entschieden. Die schnellen Gegner machten Löw Sorgen, denn der lange Per ist eben nicht der Schnellste. „Ich habe mit ihm geredet“, gab Löw nach dem Spiel preis und war voll des Lobes: „Er hat super reagiert und gesagt: ,Trainer, ich weiß, wie ich der Mannschaft helfen muss und helfen kann.' Das hat er gemacht in der Kabine."

Wer Mertesacker während des Spiels beobachtete, konnte sehen, dass das nicht bloß Lippenbekenntnisse waren. Immer wieder sprang er auf, um sich jubelbereit zu machen oder den dürstenden Kollegen Getränke anzureichen. Per Mertesacker spielt für den FC Arsenal, er hat mehr als 100 Länderspiele absolviert und kann bislang auf eine sehr beachtliche Karriere zurückblicken. Er hätte diese Dinge einem von den Jungspunden überlassen können, den Durms, Ginters, Draxlers. Aber Mertesacker hat wie scheinbar alle im Kader verstanden, dass das ganz große Dinge eben nur zu drehen ist, wenn alles passt.

Die Generation Sommermärchen hat den Teamgeist verinnerlicht

Mertesacker weiß das seit der EM 2012. Die Konstante in der deutschen Abwehr war nach längerer Verletzungspause zum Reservisten degradiert worden. „Das war eine neue Erfahrung“, sagte er vor ein paar Tagen, „natürlich will man spielen. Ich habe kurz gebraucht, um zu merken, dass man aber nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist. Jeder muss sich zurücknehmen, um den Teamgeist nicht zu gefährden.“ Damals sorgten auch atmosphärische Störungen zwischen Münchnern und Dortmunder für einen Riss im Team. Nun scheinen alle begriffen zu haben, dass es nur gemeinsam gehen kann.

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Besonders die Generation Sommermärchen hat diesen Gedanken verinnerlicht. Mertesacker, Miroslav Klose, Lukas Podolski, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sind seit 2006 zusammen erfolgreich. Der Sieg bei einem der großen Turniere fehlt ihnen noch in ihren beeindruckenden Karrieren. Bis auf Lahm mussten sie alle schon auf der Bank sitzen in Brasilien. Doch sie scherzen, statt sich auf die Mundwinkel zu treten. Das ist Podolskis Paradedisziplin. Sie reden mit den Kollegen und sprechen ihnen Mut zu. Das tun Klose, Schweinsteiger und Mertesacker. Sie alle wissen: Wenn es jetzt nicht klappt, wird die einst als golden gepriesene Generation niemals mehr die bedeutendsten Titel mitnehmen.

Für den Spieler Mertesacker könnte die WM beendet sein

„Ich war schon überrascht, dass ich nicht gespielt habe. Ich habe bisher alle vier Spiele gemacht“, sagte Mertesacker ehrlich, attestierte Löw ein „glücklicheres Händchen“ und schien fast verzückt von den neuen Einblicken in das Innenleben der deutschen Interessengemeinschaft: „Die Mannschaft lebt. Was ich heute auf der Bank erlebt habe, war sensationell, das möchte ich auch nicht missen. Ich habe den Teamgeist aus einer anderen Perspektive erlebt.“ Für den Spieler Mertesacker könnte die WM seit Freitag weitestgehend beendet sein. Gerade jetzt, da die Partien anstehen, die für immer im Gedächtnis bleiben werden.

Für den Wasserträger und Aufmunterer Mertesacker hat sie vermutlich gerade erst begonnen. Ein schweres Los, dem er mit größtmöglicher Ehrenhaftigkeit begegnet. „Man muss jede Rolle ernsthaft annehmen. Anders haben wir keine Chance“, sagt Mertesacker: „Wenn es woran gehapert hatte, dann daran, dass man nicht gönnen kann. Wir haben bei Weltmeisterschaften die letzten beiden Halbfinals verloren. Das wollen wir nicht wiederholen.“ Der Teamgeist könnte ein entscheidender Schlüssel dazu sein.