Santo Andre. 19 Bundesligaspiele hat Erik Durm erst absolviert - und durfte doch mitfahren zur Weltmeisterschaft in Brasilien. Zwischenzeitlich galt der BVB-Linksverteidiger gar als Startelf-Kandidat, doch Bundestrainer Joachim Löw entschied anders. Dennoch betont Durm: “Für mich ist es traumhaft, hier zu sein.“

Herr Durm, Sie haben ein markantes Tattoo am rechten Unterarm. Was ist da alles zu sehen?

Erik Durm: Da stehen die Geburtsdaten von meiner Mama und von meinem Papa, die drei wichtigsten Schlagworte: Familie, Glück und Gesundheit. Und ein großes Kreuz.

Sie sind ein sehr gläubiger Mensch?

Durm: Ja.

Was heißt das genau?

Durm: Dass ich an Gott glaube. Und dass ich meine Rituale habe. Wenn ich auf den Platz gehe, bekreuzige ich mich. Das sind einfach Dinge, mit denen ich mich wohl fühle. Wenn ich an Gott glaube, macht mich das sicherer. Das war schon immer so und das Tattoo soll das dokumentieren.

Machen Sie gerne Pläne oder glauben Sie an Fügungen?

Durm: Das ist eine schwierige Frage. Ich plane schon gern voraus, aber ich habe auch nichts dagegen, Pläne über den Haufen zu werfen. Ich bin da sehr gelassen.

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Sie mussten zuletzt häufiger mal Ihre eigentlichen Pläne ändern. Alles fing mit einem Gespräch mit Jürgen Klopp an. Wie war das genau.

Durm: Das war Ende der Saison 2012/13, als ich noch für die Amateure spielte. Da hatte die Profi-Mannschaft Spielersatztraining, und einige von uns durften immer mal mitmachen. Nach dem Training kam also Jürgen Klopp zu mir, nahm mich zur Seite, und hat dann gefragt: Was sagst Du zur linken oder rechten Abwehrseite?

Nur diesen Satz?

Durm: Ich glaube ja.

Was haben Sie gedacht?

Durm: Ich habe kurz überlegt, was ich dazu sagen soll. Jürgen Klopp meinte dann, er gibt mir die Zeit, die ich brauche, ich solle mir Gedanken machen, ob das was für mich wäre. Und dass er daran glaubt, dass ich auf der Position auf jeden Fall Bundesliga spielen kann, während es in der Offensive schwer werden würde, weil wir da zu viel Potenzial haben.

Wir in Dortmund? Oder wir in Deutschland?

Durm: Wir in Dortmund. Richtung Nationalmannschaft hat er aber nicht gedacht. Zumindest hat er es mir gegenüber nicht erwähnt.

Was haben Sie gesagt?

Durm: Dass ich nicht lange Bedenkzeit brauche, dass ich Bundesliga spielen will und dass ich es probieren will.

Sie haben es wohl kaum bereut, oder?

Durm: Wenn ich das nicht gemacht hätte, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Klopp hat seinen Plan, durchgezogen, genauso wie er es mir gesagt hatte. Wir haben dann Videos geschaut und er hat mir die Position beigebracht. Niemand konnte davon ausgehen, dass es so kommen würde wie es jetzt ist. Und schon gar nicht, dass es so unbeschreiblich schnell gehen würde.

Was wollten Sie eigentlich in diesem Sommer tun?

Durm: Ich hatte Urlaub gebucht mit meinem besten Kollegen, wir wollten nach Amerika, zehn ruhige Tage Miami, danach noch weiter auf die Bahamas. Aber der Urlaub war schnell abgesagt, als der Anruf kam. In den Urlaub fahren kann ich noch oft genug. Aber WM in Brasilien ist nur einmal.

Haben Sie je daran gedacht, eine andere Position zu spielen als Stürmer?

Durm: Eigentlich nicht. Ich war 15 Jahre lang Stürmer und habe immer meine Tore gemacht, da macht man sich keine Gedanken, woanders zu spielen. Mittlerweile bin ich richtig froh, hinten links zu spielen.

Mit 19 Bundesligaspielen zur WM zu fahren ist eine Rarität. Provokant gefragt: Fühlen Sie sich nach der kurzen Zeit schon als WM-tauglicher Außenverteidiger?

Durm: Wenn ich nicht WM-tauglich wäre, würde ich nicht hier sitzen. In der Bundesliga gegen Bayern München oder in der Champions League gegen Real Madrid - da waren viele Tests dabei, die auf diesem Niveau waren. Von daher brauche ich mich nicht zu verstecken. Aber ich rede eigentlich nicht gerne über mich.

Konkurrent Höwedes erhält von Durm "die volle Unterstützung" 

Dann reden wir über andere: Wie gefällt Ihnen die deutsche Viererkette bestehend aus vier Innenverteidigern?

Durm: Ich denke, das System hat gut gegriffen. Aber das habe ich auch nicht zu entscheiden. Für mich ist es traumhaft, hier zu sein. Ich sage das nicht, weil man es von mir erwartet, sondern weil es ein Traum ist, hier zu sein. Und wenn ich dann irgendwann auch mal spielen darf, wäre das das i-Tüpfelchen.

Wie wahrscheinlich ist das? Sie galten als Gewinner der Vorbereitung, schienen sogar gesetzt in der Startformation. Haben Sie das mitbekommen?

Durm: In der Presse geht vieles herum. Nichts gegen Sie, aber ich habe mir angewöhnt, nicht so viel zu lesen, egal ob positive oder negative Presse. Ich kriege höchstens mal von Freunden eine SMS. Aber ich habe mich nicht damit beschäftigt, ob ich vorne liege oder nicht. Das entscheidet der Trainer. Der Spieler, der auf dem Platz steht, in dem Fall Benni Höwedes, erhält von mir volle Rückendeckung und volle Unterstützung. Das macht ein Team aus.

Wie geschieht diese Unterstützung im Detail?

Durm: Zuerst einmal ist Konkurrenzkampf im Training gut und belebend. Es geht nicht darum, den anderen umzuhauen, sondern sich mit der Leistung gegenseitig zu pushen. Und bei den Spielen erleben doch auch die Fernsehzuschauer, wie unsere ganze Bank bei jeder Aktion mitgeht und vorne an der Linie steht. Wenn einer etwas zu trinken braucht, sind immer fünf Jungs mit Wasserflache und Handtuch da. Das ist, was ich meine mit Teamgeist. Sobald klar ist, wer spielt, sind die anderen dafür verantwortlich, denen die spielen,ein gutes Gefühl zu geben.

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Können Sie sich etwas unter dem Begriff Spezialkraft vorstellen?

Durm: Bei diesen Temperaturen sind Einwechselspieler extrem wichtig. Mit elf Mann durchzukommen bei einem Spiel ist unmöglich, das geht bei diesem Turnier mit diesem Klima nicht. Wenn die frischen Leute von außen kommen, sind sie eine Waffe. Das ist schon extrem.

Haben Sie eigentlich Ihre Rede für Neu-Nationalspieler schon gehalten?

Durm: Ja (lacht).

Sie lachen?

Durm: Ich war nervös. Ich bin jemand, der auf dem Platz in der Öffentlichkeit auftritt, aber außerhalb des Platzes stehe ich eher nicht so gerne im Mittelpunkt. Die Rede war daher extrem für mich. Das habe ich in der Schule schon nicht gemocht, wenn mich alle angeschaut haben und ich irgendwas machen musste. Das hört sich vielleicht komisch an, ich kenne die Jungs ja alle, aber trotzdem war ich aufgeregt, weil ich neu dabei war. Ich hatte den einen oder anderen Versprecher. Aber es war cool. Die Jungs sind lässig und mit einem Zwinkern damit umgegangen. Das hat es mir einfacher gemacht.

In diesem Kader dürften ein paar Spieler sein, denen sie selbst noch zugejubelt haben, oder?

Durm: Das Gefühl, bei der Nationalmannschaft dabei zu sein, ist schwer zu beschreiben. Ich habe schon mit Miro und den anderen darüber geredet: Vor zwei oder vier Jahren habe ich noch beim Public Viewing mitgefiebert und ein Fan-Trikot angehabt. Jetzt auf einmal kriegt man Bilder von Freunden, die meine Trikots anhaben. Das ist vollkommen unreal.