Santo André. Er war die große Überraschung im Kader der deutschen Nationalmannschaft: Gladbachs Christoph Kramer schaffte in letzter Sekunde den Sprung ins WM-Aufgebot. Im Interview spricht er über Spieltempo, Temperaturen - und seine bislang noch unbekannten Qualitäten als Sänger.
Herr Kramer, Sie scheinen nicht nur ein guter Fußballer, sondern auch ein guter Sänger zu sein.
Christoph Kramer: Sagt wer?
Ihre Nationalmannschaft-Kollegen sollen angetan gewesen sein. Erzählen Sie uns bitte, wie es zu Ihrer Gesangseinlage auf der Fähre zurück zum Hotel kam.
Kramer: Nach dem ersten Länderspiel muss jeder Spieler eigentlich eine Rede halten. Aber um die habe ich mich die ganze Zeit herumgewunden. Da habe ich vorgeschlagen, dass ich anstatt eine trockene Rede zu halten auch etwas singen könnte. Das war nach dem Portugalspiel.
Was haben Sie gesungen?
Kramer: „When you say nothing at all“. Auf der Fähre zurück zum Hotel, unter dem Sternenhimmel nach einem 4:0 gegen Portugal – das hat perfekt gepasst. Und es hat Beifall gegeben (lacht).
Das klingt, als fühlten Sie sich wohl bei der Nationalmannschaft.
Kramer: Alle haben mich super aufgenommen. Das ist in Auswahlmannschaften nicht selbstverständlich. Ich fühle mich voll integriert und akzeptiert.
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Eine erstaunliche Geschichte für jemanden, der vor einem Jahr noch in der zweiten Liga gespielt hat. Lassen Sie uns bitte ein wenig an Ihren Gedanken teilhaben.
Kramer: Es ging alles sehr schnell. Vor einem Jahr noch in der zweiten Liga, bin ich jetzt mit Deutschland bei einer WM in Brasilien. Das ist etwas Besonderes. Es kommt mir vor wie ein großes Fußballfest. Wenn wir mit dem Bus vom Hotel zum Stadion fahren und ich die Begeisterung der Menschen sehe oder im Fernsehen Bilder von Zuhause, dann bekomme ich eine Gänsehaut.
Wie groß ist die Lust, auch spielen zu dürfen?
Kramer: Wenn ich ein Spiel sehe, habe ich immer Lust auf Fußball. Es kribbelt schon. Aber ich bin ohne Erwartungen oder größere Hoffnungen hier hergefahren.
Ihre Aktien steigen gerade. Es gibt in Deutschland Diskussionen über die Besetzung des Mittelfelds, in dem Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira nicht komplett fit scheinen.
Kramer: Diese Diskussionen habe ich nicht mitbekommen. Aber wenn der Bundestrainer sagen sollte, dass ich spiele, werde ich nicht nein sagen. Ich bin in Alarmbereitschaft.
Wie ist Ihr Kontakt zum Bundestrainer?
Kramer: Es ist sehr familiär in unserem Campo, alle tauschen sich viel miteinander aus. Da ist der Bundestrainer keine Ausnahme.
Welchen Eindruck machen Khedira und Schweinsteiger körperlich auf Sie?
Kramer: Ich sehe die beiden täglich im Training und beide machen einen guten Eindruck.
Worauf muss sich die deutsche Mannschaft gegen die USA einstellen?
Kramer: Sie haben bislang überzeugt, können viel laufen, sind sehr athletisch, stehen gut in den Räumen. Das wird nicht einfach.
Kramer wäre ohne WM-Einsatz "nicht ansatzweise enttäuscht"
Wie haben Sie als laufstarker Mittelfeldspieler die Partie gegen Ghana gesehen, die die Kritiker wieder auf den Plan gerufen hat?
Kramer: Wenn man sieht, wie schwer sich alle Mannschaften tun, dann darf man ein 2:2 gegen Ghana durchaus hoch bewerten. Ghana ist im Prinzip eine Leichtathletik-Mannschaft. Es ist ganz schwer, deren Spielweise nicht anzunehmen. Die spielen ohne Mittelfeld, deswegen sah das bei uns genauso aus. Für die Moral war das Spiel aber richtig gut. Bei dieser WM muss man wegkommen davon, dass es Namen sind, die etwas reißen können.
Warum? Wegen der Hitze?
Kramer: Auch. In Fortaleza zu sein, war eine krasse Umstellung. Man merkt sofort, wenn es fünf, sechs Grad wärmer wird und die Luft feuchter ist. Dann ist es ein anderes Gefühl, zu laufen als in Salvador bei unserem ersten Spiel.
Trotzdem hat man als Zuschauer den Eindruck, dass viele Mannschaften unglaubliches Tempo gehen. Sie auch?
Kramer: Es sieht meistens nur so aus, als wenn alle volles Tempo gehen. Ab der 60. Minute lassen bei jeder Mannschaft die Kräfte nach, dann schwindet die Konzentration, werden Lücken nicht mehr zugelaufen, passieren viele Ballverluste. Das sieht dann nach einem unglaublichen Tempo und Einsatz aus. Mir ist aufgefallen, dass das Feld immer unheimlich groß ist. Bei einem Bundesligaspiel sind alle Spieler auf 40, 50 Metern zusammen. Hier stehen die Mannschaften ab der 60. Minute 70 Meter auseinander. Dann hat man unglaublich weite Wege.
Wie gemacht für Sie, oder? Sie gelten als der Viel-Läufer der Bundesliga.
Kramer: Laufen kann ich, das stimmt. Aber ob das wie gemacht für mich ist, müssen andere entscheiden. Ich bin aber bereit.
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Dann könnten Sie auch mal wieder etwas in Ihr Spiel-Tagebuch schreiben. Haben Sie das mit?
Kramer: Nein, ich habe es nicht dabei. Ich habe auch etwas geschludert. Der letzte Eintrag ist vom Rückrundenstart mit Gladbach gegen die Bayern, aber das hole ich alles im Urlaub nach. Das ist ja immer nur ein Zehnzeiler zu jedem meiner Spiele seit 2007. Als Erinnerung.
Wären Sie enttäuscht, wenn Sie von der WM nichts zum Schreiben mitbrächten?
Kramer: Wenn der Moment für einen Einsatz kommt, freue ich mich. Wenn nicht, bin ich nicht ansatzweise enttäuscht. Über eine WM kann man selbst dann etwas schreiben, wenn man nicht spielt.
Sie sind noch ein Jahr von Leverkusen nach Gladbach ausgeliehen. Es soll Bestrebungen geben, Sie jetzt schon zurückzuholen. Wissen Sie etwas darüber?
Kramer: Mein Handy hat nicht geklingelt, daher denke ich, dass ich ganz normal in ein paar Wochen in Gladbach auf dem Trainingsgelände stehe. Und das ist schwer in Ordnung so.