Santo Andre. Im ersten Gruppenspiel wurde er gar nicht eingesetzt, im zweiten Gruppenspiel kam er erst Mitte der zweiten Halbzeit: Bastian Schweinsteiger spielt bei der WM 2014 bislang eine Nebenrolle im deutschen Team - doch das könnte sich im entscheidenden Spiel gegen die USA ändern.

Natürlich ist auch Bastian Schweinsteiger ein Hausmeister. Allein das mittlerweile graue Haar an den Schläfen prädestiniert ihn dafür, einer der Wohngemeinschaften, in denen die deutschen Fußballer in ihrem Mannschaftsquartier in Santo Andre hausen, in verantwortlicher Weise vorzustehen. Ein bisschen ungewohnt wirkte das aber schon zuletzt, weil der Münchner damit im Gebäudewesen der Nationalmannschaft eine bedeutendere Rolle einnahm als in seiner ursprünglichen Rolle als Fußballer auf dem Platz. Einem wie Schweinsteiger passt so etwas nicht. Überhaupt nicht.

Der Profi des FC Bayern München ist hoch dekoriert. Der 29-Jährige hat mit seinem Klub mittlerweile alle bedeutsamen Titel dieses Planeten eingesammelt. Was ihm fehlt, ist der große Coup mit der Nationalmannschaft. Ein Makel, der ihn mit Bundestrainer Joachim Löw verbindet. Lange Zeit schien es, als hätte Löw sein Schicksal an das von Schweinsteiger gekettet. Es war eine Unvorstellbarkeit, in irgendeinem Spiel von Bedeutung auf Bastian Schweinsteiger verzichten zu können. Der Bundestrainer adelte den Münchner als seinen „emotionalen Leader“, als einen Strategen und Anführer. Ein Ruf, den er sich vor allem während der Weltmeisterschaft vor vier Jahren in Südafrika erwarb, als er das Land mit seinem Spiel in einen schwarz-rot-goldenen Glückstaumel versetzte. Doch der Schweinsteiger von damals ist in der Nationalelf nur noch selten aufgetaucht.

Verletzungen warfen den zentralen Mittelfeldspieler zurück, immer und immer wieder. Ein malader Knöchel machte den WM-Helden von 2010 zum Sicherheitsrisiko der EM 2012. Auch vor dem jetzigen Turnier plagte sich Schweinsteiger mit Schmerzen, aber noch im Trainingslager in Südtirol signalisierte er: „Ich habe keine großen Schmerzen.“ Und: „Ich mache mir keine Sorgen.“ Löw hingegen schon. Die Schlagzeilen seiner Schweinsteiger-Treue bis an die Grenzen der Vernunft dröhnen von 2012 noch in seinen Ohren.

Kontrollverlust gegen Ghana

Bei dieser WM dürfe nur spielen, wer absolut fit ist, sagte Löw. Das sprach gegen Schweinsteiger. Aber auch gegen Khedira, der sich noch im November einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Aber Khedira spielte. Und Schweinsteiger war plötzlich auf das Abstellgleis manövriert. Reservist gegen Portugal, Reservist gegen Ghana. So wäre es wohl geblieben, wenn nicht Deutschland am vergangenen Samstag die erstaunlichen Auswüchse dieser WM am eigenen Leibe erfahren hätte.

Dieses Turnier ist ein Graus für Trainer. Sie ersinnen taktische Konzepte, um das Spiel beherrschbar zu machen. Doch in der zum Teil tropischen Hitze Brasiliens wirken manche Teams stellenweise wie betäubt. Sie verlieren die Kontrolle über sich und das Spiel und werden plötzlich zermalmt wie das erbarmungswürdige Spanien gegen Holland (1:5), wie die Schweiz gegen Frankreich (2:5), wie Portugal gegen Deutschland (0:4).

Sami Khedira stieß ans eine Grenzen

Wie sich dieser Kontrollverlust anfühlt, wissen nach dem Ghana-Spiel auch die Deutschen: kein Taktieren, nur noch auf die Zwölf. „Diesen offenen Schlagabtausch wollten wir eigentlich verhindern“, sagt Khedira und wusste, dass dieses Vorhaben inmitten seines Refugiums bemerkenswert gescheitert war. Deutschland taumelte in der Dampfsauna Fortalezas bedenklich, weil das Mittelfeld-Trio mit Philipp Lahm, Toni Kroos und dem längst „an seine körperlichen Grenzen“ (Löw) stoßenden Sami Khedira überfordert war. Erst die Einwechslung von Schweinsteiger nach 70 Minuten befähigte die Mannschaft, in den Ringseilen hängend noch einige planvollere Schläge zu versuchen.

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Schweinsteiger ordnete das Spiel, verschaffte ihm Kontrolle und half, aus einem 1:2 ein 2:2 zu machen. Wenngleich: Auch in seiner Anwesenheit kam Ghana zu besten Konterchancen. Der Mann mit der Rückennummer 7 habe „der Mannschaft neue Impulse gebracht“, lobte Bundestrainer Löw seinen einstigen Chef-Strategen, der nun am Donnerstag im finalen Duell um den schon sehr wahrscheinlichen Einzug ins Achtelfinale gegen die USA gute Chancen hat, von Beginn an dabei zu sein.

Schweinsteiger macht sich rar

Khedira ging aus diesem epischen Duell angeschlagen hervor, ohnehin schwinden seine Kräfte. Schweinsteiger wird daher wie aus dem Nichts zum Hoffnungsträger. Die bange Frage ist nur: Kann er in der Mittagshitze von Recife über 90 Minuten Kontrolle und Spielfluss gewährleisten? Oder müssen sich er und Khedira diese Aufgabe in den weiteren Spielen teilen?

Schweinsteiger wüsste die Antwort, aber er verrät sie nicht. Der Bayern-Star macht sich bei Turnieren öffentlich rar. Nach dem Ghana-Spiel schob er sein Rollköfferchen stumm Richtung Mannschaftsbus. Am Tag zuvor hatte die DFB-eigene Presseabteilung ein Bild von ihm am Strand bei Sonnenuntergang veröffentlichen lassen: Rot das T-Shirt, grau die Schläfen, den Blick sehnsüchtig in die Ferne gerichtet. Brasilien ist Schweinsteigers wohl letzte Chance, sich den großen Traum vom WM-Triumph zu erfüllen. Bestenfalls nicht bloß als Hausmeister, sondern als der Stratege, der er immer war.