Fortaleza/Porto Seguro. Nach dem 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal schwebte Deutschland auf der Euphoriewelle. Mit dem 2:2 gegen Ghana wurde das DFB-Team auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Nicht alles läuft rund in der DFB-Maschinerie.

Der weiße Kunststoff-Boden im fensterlosen Kellergeschoss des Stadions in Fortaleza war ausgiebig gesäubert worden. So sehr, dass die Schritte der deutschen Fußballer, die nach dem stellenweise vogelwilden 2:2 gegen Ghana dem Ausgang entgegenstrebten, ein Geräusch hinterließen. Ein Geräusch wie ein ächzendes Quietschen, das an diesem Abend auch vom deutschen Spiel selbst hätte ausgegangen sein können.

Das 4:0 zum Auftakt gegen Portugal hatte schon schönste Träume produziert. Das zweite WM-Vorrundenspiel brachte nun die Erkenntnis, dass die Maschinen nicht rund laufen. Und dass es mehr Baustellen gibt als Bundestrainer Joachim Löw lieb sein kann.

Baustelle Außenverteidiger

Löw hat in beiden Partien zur Absicherung des schönen Spiels eine Betonwand aus Verteidigungsspezialisten erbaut: Auch auf den Außenpositionen verrichten mit Jerome Boateng und Benedikt Höwedes ausgebildete Nahkämpfer ihren Dienst. Vorteil dieser im Weltfußball nahezu einzigartigen Aneinanderreihung: defensive Denke, Zweikampfstärke, Kopfballhoheit. Nachteil: Geraten die eher kantigen Kolosse an flinke Gegner wie sie Ghana aufbot, werden die Seiten zur Gefahrenzone.

Löw blieb jedoch bei seinem Plan, selbst als Boateng verletzt ausgewechselt werden musste. Für ihn kam Shkodran Mustafi, der beim 1:1 durch Andre Ayew nicht zum Kopfball hochstieg. Mustafi, angestellt bei Sampdoria Genau, wird für seine in Italien erworbene taktische Reife geschätzt. Doch Löw hatte ihn schon aus seinem Kader gestrichen, ehe Offensivmann Marco Reus kurzfristig ausfiel. Und nun? Ist Mustafi erste Einwechseloption in der Viererkette. Eine bemerkenswerte Beförderung.

Baustelle Lahm

Die ungewohnten Schwächen des Kapitäns im Auftaktspiel wurden noch vom Ergebnis kaschiert. Nun aber blieben seine Fehler nicht folgenlos: Vor dem 1:2 durch Asamoah Gyan spielte Lahm einen folgenreichen Fehlpass. Nicht sein einziger. „Normalerweise passieren dem Philipp nicht so viele Fehler“, wunderte sich Löw, entschuldigte aber: „Bei dem stumpfen Boden haben Spieler mit einer engen Ballführung Probleme.“ Auch sonst wirkte der Münchner stellenweise überfordert mit seiner Rolle als ordnende Hand in der Mitte des deutschen Spiels.

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Aber das ist nur die eine Dimension des Problems. Denn Lahm gilt als einer der besten Außenverteidiger der Welt. In dieser Funktion wäre er ein Gewinn für die deutsche Elf. Doch in München hat ihn Star-Trainer Pep Guardiola zum zentralen Mittelfeldmann umfunktioniert und damit diese Rochade auch in der Nationalelf hervorgerufen. Die Folge derzeit: ächzendes Quietschen auf beiden Positionen.

Baustelle Sami Khedira

Es schien völlig ausgeschlossen, dass es der Mittelfeldmann von Real Madrid nach seinem Kreuzbandriss Ende des vergangenen Jahres zu diesem Turnier schaffen würde. Doch es gelang ihm so gerade eben. Gegen Portugal lieferte er trotz Wettkampf-Rückstands eine starke Partie ab, gegen Ghana wirkte er jedoch nicht wie die Säule des deutschen Spiels, der er sein soll und unter normalen Umständen sein kann. Schuld daran? Unter anderem die Hitze von 30 Grad und die hohe Luftfeuchtigkeit.

„Wir haben es taktisch nicht gut gelöst und haben mal hier, mal dort einen Schritt zu wenig gemacht“, kritisierte Khedira, der ebenfalls nicht verhindern konnte, dass über weite Strecken der zweiten Halbzeit das Chaos ausbrach und das deutsche Mittelfeld defensiv wie nicht existent wirkte.

Baustelle Offensive

„Wir haben Spieler, die Tore machen“, hielt Löw nach dem Spiel und der erneut zart keimenden Diskussion nach dem Einsatz eines richtigen Stürmers wie Miroslav Klose demonstrativ fest. Die Argumente sind auf seiner Seite: Mario Götze hatte mit einem Kopfstoß aufs eigene Knie die Führung erzielt, der eingewechselte Miroslav Klose den moralisch wertvollen Ausgleich herbeigehebelt.

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Doch ansonsten tat sich das Personal für Sturm und Drang schwer gegen gut organisierte Ghanaer. Toni Kroos hatte lediglich ein paar hübsche Pässchen im Repertoire, Mesut Özil fehlt weiterhin die Selbstverständlichkeit der Vergangenheit und Thomas Müller startete zwar immer wieder in die Räume, ohne entsprechendes Zuspiel kann aber auch der deutsche WM-Spezialist nichts ausrichten.

Ob dieses Spiel mit irrsinnigen Tempo und den über Bord geworfenen taktischen Vorgaben eher Lust oder Hölle war, wurde Joachim Löw noch gefragt. „Von beidem ein bisschen“, sagte er - und hat vor dem Gruppenfinale am Donnerstag gegen Jürgen Klinsmanns USA das Quietschen des deutschen Spiels noch im Ohr.

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