Rio de Janeiro. . Gleich zum Auftakt des WM-Trainingslagers der brasilianischen Nationalelf gibt es Proteste. Ein Klima, das die Mission des Gastgeber-Teams begleiten könnte auf ihrem Weg durch das Turnier. Nationalcoach Scolari gibt sich fokussiert: „Die WM außerhalb des Spielfeldes ist nicht unsere Angelegenheit.“

Von Vorfreude war in den Gesichtern wenig zu erkennen, eher Besorgnis darüber, was sich gerade um sie herum abspielte. Staunend bis beunruhigt saßen Brasiliens Nationalspieler in ihrem Bus, der sich Zentimeter für Zentimeter durch die Demonstranten schob. Immer wieder bremsten die etwa 300 Teilnehmer, überwiegend streikende Lehrer, die Seleção aus. Mit Spruchbändern und Gesängen machten sie auf Missstände im Bildungssystem aufmerksam, zahlreiche Aufkleber drückten sie auf Lack und Scheiben des Teambusses, der später eher aussah wie eine rollende Litfaßsäule. Einige schlugen mit der flachen Hand oder gar der Faust im Takt der Schlachtrufe gegen den Bus. Die Polizei versuchte Geleitschutz zu geben, hielt sich sonst aber zurück.

Nicht gegen die Mannschaft

Es war kein ernsthaft aggressiver Protest, und gegen die Nationalmannschaft war er auch nicht wirklich gerichtet. Fragen zur Sicherheit bei der Weltmeisterschaft in zwei Wochen warf er dennoch auf. Diesmal ging es den Demons-tranten vor allem um die größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre Anliegen. 200 Journalisten waren ja vor Ort – und vier verloren wirkende Fans. Später zogen die Demonstranten weiter in den Flughafen und setzten dort ihren Protest fort. Ausschreitungen blieben auch dort aus.

An diesem Mittwoch beginnt die WM-Vorbereitung der Seleção erst so richtig. Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari bittet zu den ersten beiden Trainingseinheiten, nach zwei Tagen Leistungsdiagnostik und Besprechungen. Doch schon zum Auftakt, bei der Abfahrt vom Treffpunkt in einem Hotel am internationalen Flughafen von Rio de Janeiro, bekamen die Nationalspieler des WM-Gastgebers eine Ahnung, welches Klima das Turnier und die Mission Titelgewinn begleiten könnte.

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Bei der Ankunft im 95 Kilometer von Rio de Janeiro entfernten Trainingsquartier Granja Comary in Teresópolis war das ebenfalls zu spüren. Ganz in grün-gelb ist die Stadt zwar geschmückt, Anwohner standen klatschend Spalier. Eine Gruppe Demonstranten fand sich aber auch hier ein. Kürzlich war dort eine sechs Meter hohe Replica des Weltmeister-Pokals in Flammen aufgegangen. Brandstiftung wird vermutet.

Carlos Alberto Parreira, mit Scolari und dem Stab einen Tag vor der Mannschaft ins Quartier gereist, war nun zunächst einmal damit beschäftigt, den Fokus zu schärfen. „Die Probleme, die es rund um die WM geben mag, haben nichts mit der Seleção zu tun“, befand der Technische Direktor.

Konzentration auf Fußball

Es hat dem 71-Jährigen erkennbar wenig Freude bereitet, sich gleich zum Auftakt politischen Fragen widmen zu müssen. Der angestrebte Gewinn des sechsten WM-Titels erfordert seiner Meinung nach die volle Aufmerksamkeit. „Ich habe keine Zweifel, dass das ganze Land hinter uns stehen wird“, sagte er knapp. Scolari hatte sich zuvor ähnlich geäußert. „Wir sind hier, um Fußball zu spielen“, ließ der Trainer wissen, „die WM außerhalb des Spielfeldes ist nicht unsere Angelegenheit.“

Den Confed-Cup vor einem Jahr hatten Massenproteste begleitet, viele brasilianische Nationalspieler erklärten sich damals mit den Hunderttausenden auf den Straßen solidarisch. Nebenbei sprang sogar der erstaunlich souveräne Titelgewinn heraus, unter anderem durch ein 3:0 im Finale gegen Weltmeister Spanien. Doch nun, bei der ungleich komplizierteren Herausforderung, wünscht sich Nationaltrainer Scolari von seinen auserwählten Profis die alleinige Konzentration auf den Fußball. So gut es geht jedenfalls.

Sportlich stehen die Vorzeichen dabei im Vergleich zu vielen anderen Mannschaften durchaus günstig. Verletzungssorgen gibt es bei der Selecão nicht zu beklagen. An diesem Mittwoch wird auch der linke Außenverteidiger Marcelo als letzter der 23 Nominierten nach zwei Tagen Sonderurlaub im WM-Quartier erwartet. Am Samstag hatte er mit Real Madrid den Titel der Champions League gefeiert.

Mit einer kleinen Empfangsparty soll Marcelo nun im Kreis der Nationalelf begrüßt werden, kündigte Scolari an, ehe es auf dem Platz an die Arbeit geht. Ein Klima des Gemeinsinns will der Trainer dabei erzeugen. Von der Stimmung auf den Straßen konnten ihm die Spieler nach der Anreise berichten.