St. Leonhard. Sonne weg, Führerschein weg, Lockerheit weg - es läuft einfach nicht rund für Joachim Löw in der WM-Vorbereitung. Bei heftigem Dauerregen konnte sich der Bundestrainer in Südtirol immerhin über den Einstieg von Kapitän Philipp Lahm ins Lauftraining freuen.
Der nach Knie-Problemen auch noch individuell übende Bastian Schweinsteiger zeigte zumindest wieder vollen Einsatz, als er sich mit Wucht auf dem Fußballplatz in eine Pfütze schmiss und mit breitem Grinsen einen Ball weggrätschte.
"Es ist positiv, dass beide auf dem Platz waren", bemerkte Teammanager Oliver Bierhoff. Nach der Ankunft von Champions-League-Sieger Sami Khedira hat Löw zur Halbzeit des Trainingscamps im Passeiertal endlich alle 26 Mann vollzählig. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid sei trotz einer leichten Erkältung "direkt einsatzfähig", sagte Bierhoff erfreut. Der Nachzügler wolle rasch ins Geschehen auf dem Platz eingreifen. "Sami weiß, dass er noch was arbeiten muss", betonte Bierhoff aber auch zu Khedira, der nach seinem Kreuzbandriss noch um Form und Fitness für die am 12. Juni beginnende Weltmeisterschaft in Brasilien ringt.
Löw lenkte zu Trainingsbeginn noch persönlich einen Golfwagen vom Fußballplatz. Dieses Bild erhielt später eine besondere Bedeutung, ebenso wie der Besuch des derzeit schnellsten Autofahrers der Welt beim DFB-Team. Ausgerechnet am Dienstag wurde bekannt, dass Löw wegen wiederholter Tempoüberschreitungen seinen Führerschein für ein halbes Jahr abgeben musste. "Ich habe meine Lektion gelernt und werde mein Fahrverhalten ändern. Es gibt da nichts schön zu reden", äußerte der Bundestrainer reumütig in einem offiziellen Verbands-Statement.
"Ich kann mich austoben auf der Rennstrecke", sagte der deutsche Formel-1-Star und WM-Spitzenreiter Nico Rosberg, der gemeinsam mit Golf-Profi Martin Kaymer das DFB-Quartier besuchte, zum Fehlverhalten von Löw. "Wir können nur Erfolg haben als Team. Alleine geht gar nichts", lautete Rosbergs sportlicher Ratschlag an Lahm und Co. "Ich hoffe, dass der Druck nicht zu schwer auf den Schultern der Spielern lastet", meinte Kaymer, Fan des 1. FC Köln und der Nationalelf: "Die Erwartungshaltung ist sehr hoch, aber Deutschland hat gute Chancen."
Seinen Führerschein braucht Löw in Brasilien nicht, eine top vorbereite und funktionstüchtige Mannschaft dagegen für den angestrebten Titelgewinn schon. Die Elf für den Start gegen Portugal am 16. Juni zeichnet sich aktuell nur in Bruchstücken ab. Und Löw räumte schon ein, dass der Findungsprozess lange dauern könnte. "Was die einzelnen Positionen betrifft, habe ich jetzt noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen. Wir haben noch zwei Vorbereitungs-Länderspiele und noch Trainingseinheiten."
Die Zitterpartie um Manuel Neuer wird sich wohl erst nach der Ankunft in Brasilien am 8. Juni auflösen. "Bei Manu rechne ich nicht mehr mit einem Einsatz in Südtirol", berichtete Bierhoff. Der Torwart könne die rechte Schulter "noch nicht belasten". Lahm kann zehn Tage nach seiner Kapselverletzung am linken Sprunggelenk zumindest wieder laufen, wie auf einem kurzen Videoclip des DFB zu sehen war.
"Es braucht ein bisschen Zeit, und die haben wir Gott sei dank noch bis zum ersten Spiel", sagte Lahm zu seiner Genesung. Um Form und Fitness für die WM mache er sich keine Gedanken: "Ich hatte viele Spiele in der Saison." Auch Neuer "stand mitten im Saft", beruhigte der Kapitän. Lahm blickt weiterhin positiv auf die WM-Mission: "Wir sind immer Mitfavorit, egal, welche Ausfälle wir haben. Denn wir haben einen breiten, qualitativ hochwertigen Kader."
Der 30 Jahre alte Außenverteidiger, der auch eine Option für die Problemzone im defensiven Mittelfeld ist, hatte seine Laufeinheit erst begonnen, als die Reporter wieder einmal die Tribüne des Sportzentrums vorzeitig räumen mussten. Löw lässt in Südtirol so häufig wie niemals zuvor in einer Turniervorbereitung der Nationalmannschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainieren. Auch das zweite Übungsspiel gegen die U 20-Auswahl des DFB am Dienstagnachmittag sollte geheim über die Bühne gehen.
Richtig eingestiegen ist inzwischen auch Per Mertesacker. Der Abwehrchef hatte nach einer strapaziösen Saison mit vielen Spielen für den FC Arsenal und nach der Geburt seines zweiten Sohnes in Südtirol zunächst ein bisschen durchpusten dürfen. "Jetzt ist er voll dabei", berichtete Löws Assistent Hansi Flick.
"Wir haben eine gute Dynamik in der Mannschaft. Die Spieler sind bereit, an die Grenzen zu gehen und auch darüber hinaus", lobte Löw die voll belastbaren 21 Spieler. Beim WM-Test gegen Kamerun am Sonntag (20.30 Uhr) in Mönchengladbach darf das dann auch ein Millionen-Publikum 90 Minuten lang überprüfen.