St. Leonhard. Baustellen in allen Mannschaftsteilen, letzte Verwarnung für Großkreutz: Der Bundestrainer ist in Südtirol Problemmanager. Plan A kann er auch drei Wochen vor Turnierstart im WM-Trainingscamp weiter nicht proben. Zumindest ein großer Sieger schürt Hoffnungen.

Joachim Löw muss wahrscheinlich während des gesamten Trainingslagers in Südtirol auf das Bayern-Trio Manuel Neuer, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger verzichten. Keiner der drei Leistungsträger konnte am Sonntag beim Medientag im Quartier eine Prognose für den Einstieg ins Teamtraining abgeben. "Einen konkreten Zeitplan gibt es nicht", sagte der am Fuß verletzte Lahm. "Wir haben noch Zeit bis zum ersten Spiel", erklärte Schweinsteiger mit Blick auf das erste Gruppenspiel gegen Portugal am 16. Juni. Auch der Dortmunder Marcel Schmelzer wird wegen einer Prellung am linken Knie in der WM-Vorbereitung zurückgeworfen.

Nur ganz kurz durfte Krisenmanager Joachim Löw die Schönheiten des Passeiertals ohne weitere Ärgernisse genießen. Nach einem ersten freien Nachmittag auch für die Sorgenkinder Manuel Neuer, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger aber drängten für den Bundestrainer die vielen offenen WM-Fragen wieder in den Vordergrund.

Die großen Entscheidungen im Hinblick auf eine titelreife Nationalmannschaft für die in drei Wochen beginnende Fußball-WM muss Löw im WM-Sorgencamp in Südtirol weiterhin vor sich herschieben. "Das kann ich heute auch noch nicht beantworten", erklärte der Chef der WM-Mission etwa auf die eigentlich zentrale Frage, ob Kapitän Lahm in Brasilien im Mittelfeld oder in der Abwehr auflaufen werde.

Leistungsträger müssen fit werden

Erst einmal geht es darum, die Leistungs- und Hoffnungsträger Neuer, Lahm und Schweinsteiger überhaupt wieder spielfähig zu bekommen. Der erste Test am Sonntag in St. Leonhard gegen die extra angereiste U 20-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) musste Löw jedenfalls ohne das angeschlagene Bayern-Trio planen. "Wir werden nichts riskieren, da gilt es, ein bisschen Geduld zu bewahren", erklärte der 54-Jährige in der ARD. Auch andere Akteure aus dem noch 26-köpfigen vorläufigen WM-Kader wie Mesut Özil, Per Mertesacker und Marcel Schmelzer konnten zuletzt im Training nicht ständig voll belastet werden. Längst muss sich Löw für sein viertes Turnier als Chef mit einem Plan B oder sogar C auseinandersetzen.

Zu allem Überfluss wurde Löw auch noch mit einer Entgleisung des Dortmunderes Kevin Großkreutz konfrontiert, der nach dem DFB-Pokalfinale angetrunken in einem Berliner Hotel gepöbelt und sogar in der Lobby uriniert haben soll. Der Bundestrainer zeigte dem BVB-Profi ein schon rot schimmernde Gelbe Karte. "Oliver Bierhoff und ich haben ein ernstes Gespräch mit Kevin geführt. Nationalspieler sind in ganz besonderem Maße Vorbilder, auch neben dem Platz. Daran haben wir ihn erinnert und ihm klargemacht, dass so etwas nicht wieder vorkommen darf", sagte Löw unmissverständlich der "Sport-Bild" und der "Bild am Sonntag".

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Drei Spieler fliegen

Da Löw noch drei Akteure aus dem Kader für Brasilien streichen muss, muss Großkreutz das WM-Aus befürchten. Stefan Effenberg wurde bei der WM 1994 nach einem "Stinkefinger" gegen die eigenen Fans nach Hause geschickt. Und Kevin Kuranyi wurde von Löw nach einer Stadionflucht zur Halbzeit für immer verbannt.

Einen Lichtblick erlebte die Sportliche Leitung beim TV-Konsum des Champions-League-Endspiels auf der Terrasse des Teamhotels Andreus. Sami Khedira stand beim Sieger Real Madrid in der Anfangself, spielte 60 Minuten und durfte kurz nach seinem Comeback mit dem Pokal jubeln. "Das ist natürlich toll, wenn man sich überlegt, wo er vor sechs Monaten stand. Er wird sicher mit breiter Brust hier ankommen", erklärte Manager Bierhoff im ZDF. "Ich kann alle beruhigen, dass ich schon auf einem relativ guten Level bin, noch nicht auf hundert Prozent. Aber wir haben noch drei Wochen Zeit bis zum ersten Spiel. Ab Montag, Dienstag wird wieder voll angegriffen", übermittelte der glückliche Khedira nach Südtirol.

Khedira wohl Startelf-Spieler

Für Löw ist der 26 Jahre alte Mittelfeld-Organisator ein halbes Jahr nach einem Kreuzbandriss ein Schlüssel im WM-Puzzle. Er will Khedira in Brasilien unbedingt: "Er ist ein Spieler, der in der Mannschaft viel Gehör findet. Er steht für Wille, für Durchsetzungsfähigkeit." Die letzten Fragezeichen werden sich aber auch in dieser Personalie erst kurz vor dem ersten WM-Spiel am 16. Juni gegen Portugal lösen.

Von Khediras und Schweinsteigers Turnierfitness hängt auch die Rolle von Lahm ab. Die Position des Kapitäns wiederum entscheidet mit über die Besetzung der Außenverteidigerposen. "Da muss man letztlich sehen, wer ist am Anfang topfit, wer hat eine gute Form, wer kann bei einem Turnier mit sechs, sieben Spielen alles durchziehen", betonte Löw und sagte angesichts der Personalprobleme voraus: "Wir werden alle brauchen, das ist schon absehbar."

Lahm mit vorsichtigem Aufbau

Beim am Knöchel lädierten Lahm ist zunächst ein vorsichtiger Trainingseinstieg auf dem Fahrrad vorgesehen. Noch sei der linke Fuß nicht belastbar. Dienstag oder Mittwoch könnte Lahm "ein paar Laufeinheiten machen", berichtete Löw: "Dann muss man sehen, was er auf dem Platz machen kann." Das Testländerspiel am kommenden Sonntag in Mönchengladbach gegen Kamerum dürfte zu früh kommen. Noch enger wird der Wettlauf mit der Zeit für den an der Schulter verletzten Neuer sowie den mit Knieproblemen kämpfenden Schweinsteiger.

Die Chefs der Brasilien-Mission bemühen sich dennoch um ein positives Bild der Vorbereitung. "Es scheint alles im Griff zu sein, auch mit Philipp und Manuel", bemerkte Bierhoff. "Die Mannschaft macht im Moment einen sehr konzentrierten, aber auch frischen Eindruck. Da spürt man schon eine unglaubliche Dynamik" berichtete Löw, der auch Routinier Miroslav Klose (35) noch als Unbekannte auf der Rechnung hat. "Im Training kämpft er verbissen, macht viel zusätzlich, macht Läufe, was ihm persönlich auch gut tut", sagte der Bundestrainer zum 131-maligen Nationalspieler: "Wenn der Miro in Topform kommt, dann war der Miro bei uns vorne immer gesetzt." Wenn! (dpa)