Bochum. . Karsten Neitzel soll den VfL Bochum aus der Krise und in sicheres Fahrwasser führen - wenigstens bis zum Saisonende. Im WAZ-Interview spricht der 45-jährige Fußballtrainer über seine Zeit in Freiburg, in Japan und die Gegenwart in Bochum.

Aufgewachsen ist er in und mit dem allumfassenden Sportförder-System der DDR, in Freiburg hat er nach der eigenen Spielerkarriere dort als Teil einer kleinen, eingeschworenen Trainergruppe Pionierarbeit geleistet, später in Japan eine andere Gesellschaft und andere Mentalität kennen gelernt. Jetzt soll Karsten Neitzel, der vor ein paar Tagen seinen 45. Geburtstag feierte, den VfL Bochum aus der Krise und in sicheres Fahrwasser führen - wenigstens bis zum Saisonende. Kurz vor dem Weihnachtsurlaub sprach die WAZ mit dem Trainer des VfL Bochum.

Sie werden in den vergangenen Wochen ganz schön unter Strom gestanden haben. Ist die Anspannung schon abgefallen?

Karsten Neitzel: Ganz weg ist die Anspannung noch nicht. Glücklicherweise schlafe ich aber immer gut. Die Frage ist nur: Wie wacht man morgens auf? Vor dem Pokalspiel in Havelse (Neitzels erste Partie als Cheftrainer, d.R.) war ich jedenfalls hypernervös. Vor dem letzten Pokalspiel gegen München war die Anspannung dann aber nicht so groß wie vor dem Meisterschaftsspiel zuvor.

Vom Zuarbeiter zum verantwortlichen Chef, hat das Einfluss auf Ihre Kommunikation mit der Mannschaft?

Neitzel: Im Umgang mit den Spielern ändert sich nur, dass ich jetzt sage wo es lang geht, dass ich lobe und kritisiere und damit das tue, was Andreas Bergmann vorher getan hat. Die Spieler duzen mich weiterhin, wir haben ein klares Verhältnis. Aber ich darf jetzt mal schreien in der Kabine.

Mit der neuen Rolle haben Sie also kein Problem?

Neitzel: Ich war ja lange genug in Freiburg verantwortlich für die zweite Mannschaft, das war fast eine Komplettausbildung, ein gut bezahltes Praktikum. Ich war immer im Lernprozess, aber anwendungsorientiert. Das war eine schöne Zeit, wird es aber so im Profifußball nicht mehr geben.

Warum nicht?

Neitzel: Wir waren nur zu dritt. Drei Leute, Volker Finke, Achim Sarstedt und ich, trugen die komplette sportliche Verantwortung für die Bundesligamannschaft und das Reserveteam.

Es gab nicht einmal einen Torwarttrainer?

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Neitzel: Nein, das habe ich gemacht. Ich hatte im Reserveteam auch keinen Co-Trainer. Vom Aufwand her war das alles natürlich nahe an der Kante. Wenn du dir nachmittags ein Bundesliga-Spiel in Dortmund anschaust und am nächsten Mittag mit der Reserve in Heidenheim spielst, dann bist du schon mehr als nur gut ausgelastet. Japan war übrigens das Gegenstück dazu.

Inwiefern? Was war da so anders?

Neitzel: Dort ist alles vom Anfang bis zum Ende durchgeplant und strukturiert. Die Japaner haben dank ihrer strukturell guten Nachwuchsarbeit ein großes Reservoir an fast beängstigend guten Fußballern. Trotzdem fehlt dem japanischen Klub-Fußball etwas. Für die kreativen Momente sind die Brasilianer zuständig, obwohl die Japaner das auch könnten. Vorsicht ist des Japaners zweiter Vorname. Weil ich früher in Freiburg mit allem was zu tun hatte, wollte ich mir zu Saisonbeginn mal unseren ersten Gegner ansehen. Damit habe ich über den Tellerrand geschaut und bin negativ aufgefallen. Das fiel nämlich bei Urawa in den Verantwortungsbereich eines anderen.

Karsten Neitzel will nicht verkrampfen 

Sprechen wir mal wieder über die Gegenwart, über Bochum. Empfinden Sie die jetzige Situation nach dieser langen Zeit als zweiter Mann als Chance, die es unbedingt zu ergreifen und zu nutzen gilt?

Neitzel: Nein. Wenn ich das als Chance betrachten würde, wäre ich wahrscheinlich zu verkrampft. Klar, es ist einer der 36 begehrtesten Fußball-Jobs in Deutschland, aber ich habe da nicht knallhart drauf hingearbeitet. Andererseits freue ich mich schon, dass ich in Bochum gelandet bin. Ich habe hier vom ersten Tag an eine gute Atmosphäre verspürt. Obwohl der Klub ja genug Probleme hat, geht man vernünftig miteinander um. Ich habe in den 15 Monaten, seitdem ich hier bin, schon ein gewisses Gefühl für den Verein entwickelt.

Langfristig planen können Sie allerdings nicht, Ihr Vertrag endet im Sommer.

Neitzel: Langfristig wird wohl ohnehin bald aus dem Wortschatz des deutschen Fußballs gestrichen. Aber warum sollte man, wenn die Vertragssituation es zulässt, nicht mal eine Mannschaft auswechseln anstelle der sportlichen Führung. In Freiburg sind wir mit 17 neuen Spielern aufgestiegen, daraus hat sich richtig was entwickelt. Der damalige Präsident Stocker (inzwischen verstorben, d.R.) war von seinem Trainerteam überzeugt.

Beim VfL Bochum geht es ja vorerst darum, möglichst schnell den Klassenerhalt in trockene Tücher zu bringen. Wie sieht denn da Ihr Zwischenfazit aus?

Neitzel: Ich denke, wir befinden uns jetzt auf einem guten Weg. Aufgrund der deutlichen Tabellensituation haben wir auf einfache, klare Mittel zurückgegriffen und spielen jetzt das, was wir momentan einfach besser können. Grundsätzlich wollen wir jedoch ein Fundament schaffen, denn der VfL sollte immer zu den Top 24 des Landes zählen. Das sollte drin sein. Man darf sich nicht zu klein machen, auch wenn das vielleicht momentan etwas komisch wirkt.

Aber erst gegen Paderborn und gegen München im Pokal sind Erfolge gegen Mannschaften gelungen, die in der Tabelle vor dem VfL zu finden sind. Sagt das nicht auch etwas über das Leistungsvermögen der Mannschaft aus?

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Neitzel: Wir könnten gut und gerne sechs Punkte mehr haben. Es stimmt ja, dass wir leistungsmäßig gegen Kaiserslautern und Hertha BSC leider ein paar Prozentpunkte zu weit weg waren, aber in Braunschweig haben wir zum Beispiel eine Top-Halbzeit gespielt. Wir haben halt anfänglich viel zu wenige Tore geschossen.

Das hat sich ja gottlob geändert zuletzt. Sie können also nach einer ziemlich turbulenten Zeit einfach mal abschalten für ein paar Tage. Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch.

Neitzel: Danke. Ich hoffe, dass ich abschalten kann. Es ist ein bisschen eine Schwäche von mir, dass ich mich auch für Dinge verantwortlich fühle, die mich nichts angehen. Und ich bin, glaube ich, einer der wenigen Menschen, die Weihnachten nutzen, um sich ein paar Kilos anzufressen.