Bochum. . Im großen WAZ-Interview spricht Bochums Sportdirektor Jens Todt über die alten Zeiten des Fußball-Zweitligisten VfL Bochum. Damals gehörte der VfL noch zum Bundesliga-Inventar. Aktuell steckt der Revierklub in der Krise - und Todt erklärt warum. Er ist sich sicher: “Wir steigen nicht ab.“

Herr Todt, bei einem Team im Keller der 2. Bundesliga liegt die erste Frage nahe: Was stimmt in Bochum nicht?

Jens Todt: Vordergründig haben zuletzt die Ergebnisse nicht gestimmt. Aber das hat seine Geschichte.

Welche?

Todt: Der Verein hat vor ein paar Jahren eine Grundsatzentscheidung getroffen: Wir wollen und wir müssen stärker auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs setzen. Heute stehen zehn, elf dieser Jungs im Kader. Das muss eine unserer Säulen sein.

Klingt immer gut, funktioniert aber selten...

Todt: Natürlich war uns klar, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten Spieler mit Erfahrung dazu holen mussten. Im Rahmen unserer Möglichkeiten heißt: wir konnten keinen Cent an Ablöse ausgeben.

Erklärt das schon den aktuellen Zwischenstand im Keller?

Schauen Sie auf den Saisonverlauf. Wir hatten zu Beginn die Chance, uns im Mittelfeld festzusetzen. Dann wäre der Druck viel geringer, die Sicherheit höher und die Entwicklung der jungen Spieler einfacher. Aber diese Chance haben wir durch unglückliche oder unnötige Niederlagen verpasst. Jetzt sind wir unten reingerutscht.

Also haben Sie Trainer Andreas Bergmann entlassen, den Sie vor einem Jahr geholt haben. Ist das eine persönliche Niederlage?

Todt: Man muss das unterscheiden. Mein Verhältnis zu Andreas Bergman ist bis heute sehr gut, aber das darf keine Rolle spielen. In Bezug auf meine Entscheidungen für den VfL ist es egal, ob ich einen Trainer persönlich schätze. Jedes schlechte Ergebnis trifft mich. Es gibt Gegenwind, das ist doch klar.

Während alles auf den neuen Coach von außen gewartet hat, haben Sie Co-Trainer Karsten Neitzel zum Chef gemacht und gesagt: Er bleibt bis auf weiteres. Klingt arg unentschieden, oder?

Todt: Wir sind von unserer Lösung überzeugt, das vorweg. Und gleichzeitig nimmt sie Dampf aus dem Kessel. Wir wollten auf keinen Fall unter äußerem Druck irgendwen holen, nur um ein neues Gesicht präsentieren zu können. Karsten Neitzel und Thomas Reis haben unser Vertrauen und eine echte Chance, ich finde das in unserer Situation sehr schlüssig.

Viele sagen, der Trainermarkt gebe im Moment ohnehin so wenig her wie selten.

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Todt: Sehe ich anders. Der Markt ist immer ähnlich. Aber wir wollten nie reflexartig nach einem so genannten Retter greifen, nur weil das dann kurzfristig Ruhe bringt. Man sollte im Verein eine klare Idee von dem haben, was auf dem Platz passieren soll. Die haben wir. Und du musst als Trainer auch die Situation in Bochum annehmen wollen.

Todt will mit dem VfL "in zwei, drei Jahren oben anklopfen" 

Auf was muss ich mich einlassen?

Todt: Erst einmal wollen und müssen wir aus dem Tabellenkeller heraus. Darüber hinaus ist es unser Ziel, einen mutigen, offensiven Fußball spielen zu lassen. Auf den eigenen Nachwuchs zu bauen. Stabiler zu werden und sich spielerisch so zu entwickeln, dass man in zwei, drei Jahren oben anklopfen kann. Und das alles wollen wir mit mindestens 20 Prozent weniger Geld als früher schaffen.

Klingt nach der Quadratur des Kreises. Wieso ist der VfL in diese Lage geraten? Vor eineinhalb Jahren fehlte nach dem Bundesliga-Abstieg nur ein Sieg über Mönchengladbach zum Wiederaufstieg...

Todt: Es liegt doch in der Natur der Sache, dass Bundesliga-Absteiger mit einem großen finanziellen Risiko den Wiederaufstieg anpeilen. Klappt das im ersten Jahr nicht, besteht immer die Gefahr, dass man dann richtig durchgereicht wird. Dafür gibt es viele Beispiele: Karlsruhe. Bielefeld. Über ein Jahrzehnt hinweg Düsseldorf. Oder, was jeder vergessen hat, Hannover. Die mussten sich alle irgendwann im Amateurlager neu

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erfinden, weil sie sich in der 2. Liga übernommen hatten. Wir haben vor zwei Jahren mit einem Etat, der zu den drei höchsten der Liga gehörte, den Aufstieg knapp verpasst. Und danach konnten wir uns diesen Kraftakt nicht mehr leisten. Wir wollten nie das Risiko eingehen, irgendwann finanziell mausetot zu sein.

Aber auch die wirtschaftlichen Zahlen stimmen nicht. Der VfL Bochum hat Schulden...

Todt: Ja, rund 6,8 Millionen Euro. In diesem Jahr ist ein ausgeglichener Etat das Ziel. Das wird ein hartes Stück Arbeit, ist jedoch nicht unmöglich. Ein Weiterkommen im Pokal würde sicherlich helfen. Seit der verpassten Relegation 2011 stehen vor der Herausforderung, dass wir unseren hohen Lizenzspieleretat von einem zweistelligen Millionen-Etat auf mittleres Zweitliga-Niveau eindampfen müssen, also auf rund sieben Millionen Euro. Da sind wir noch nicht ganz, wir werden im Sommer noch einmal etwas sparen müssen. In der Konsequenz gibt es inzwischen acht, neun Vereine, die mehr Geld ausgeben können als wir.

Aber Sie haben mit 13.500 Zuschauern im Schnitt kalkuliert und liegen bei 12.500. Bei den TV-Geldern gibt es wegen des schlechten Tabellenplatzes einen erheblichen Einbruch. Es heißt, Bochum drohe bei der Nachlizenzierung zum Ende des Jahres mächtig Ärger bis hin zum Punktabzug?

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Todt: Wir arbeiten daran, dass nichts anbrennt. Und das werden wir auch schaffen.

Todt sieht keine Not, Supertalent Leon Goretzka zu verkaufen 

Sie könnten ja das Kronjuwel des VfL verkaufen, Leon Goretzka. Schon dran gedacht?

Todt: So eine Not haben wir nicht. Wir werden immer ein Verein sein, der Transfererlöse erzielen muss. Aber Leon macht 2014 sein Abitur in Bochum. Und er steht bis 2016 bei uns unter Vertrag.

Angeblich jagt ihn die halbe Bundesliga, alle Welt redet von einem Jahrhunderttalent?

Todt: Jahrhunderttalent? Wir nicht, weil es es völlig übertrieben wäre. Leon gehört in seinem Jahrgang zu den besten in Deutschland. Er ist für sein Alter sehr reif und er bringt alles mit, um ein überdurchschnittlicher Bundesligaspieler zu werden. Alles andere muss man abwarten.

Aber er spielt regelmäßig und ist ein echtes Eigengewächs des VfL. Kann man mit 17 Jahren schon die neue Bochumer Symbolfigur sein?

Todt: Sagen wir es so: Wenn er bereits in diesem Alter ein wichtiger Spieler ist und die Fans sich mit ihm identifizieren, finde ich das völlig in Ordnung. Man darf ihn nur nicht mit Erwartungen überfrachten. Aber davor werden wir ihn schützen.

Leon Goretzka hier, eine lange Bundesliga-Tradition dort, für die es nichts mehr zu kaufen gibt - was ist der VfL Bochum?

Todt: Ein Verein zum Anfassen. Ich würde aber gerne zwei Dinge zur Tradition sagen. Erstens: Wenn man als VfL Bochum 34 von 50 Jahren in der Bundesliga dabei war, hat man lange Zeit extrem viel richtig gemacht. Wir sollten allerdings darauf achten, dass wir uns keine Lebenslüge erschaffen. Bochum hatte immer das Image, sich mit viel Herzblut, Kampf und Zusammenhalt in der Bundesliga zu halten. Aber das war früher, heute reicht das fürs Oberhaus nicht mehr. Natürlich wollen wir immer kämpfen, immer alles geben. Aber ohne spielerische Entwicklung zu einem modernen, offensiven Fußball geht es dauerhaft nicht mehr voran.

Und zweitens?

Todt: Es gibt in der Bundesliga inzwischen weniger Plätze als früher, um die sich Vereine wie wir mit anderen streiten können. In der Zeit, als es völlig selbstverständlich war, dass der VfL Bochum ein Erstligist ist, gab's kein Hoffenheim, kein Wolfsburg und bis 1979 auch kein Leverkusen. Das sind drei Plätze, die jetzt dauerhaft besetzt sind.

Todt ist sich sicher: "Wir steigen nicht ab" 

Wofür also steht der VfL?

Todt: Für Herzblut, eine gute Jugendarbeit und eine Durchlässigkeit vom Nachwuchs- zum Profibereich. Bei uns haben die Talente die Chance, in der 2. Bundesliga Spielpraxis zu sammeln. Im Schnitt steckt ein Zweitligist 1,2 Millionen Euro pro Jahr in sein Nachwuchsleistungszentrum. Bei uns sind es um die drei Millionen. Das ist eine Grundsatzentscheidung, die Bochum ausmacht. Und die sich auszahlen wird. Nach DFB-Zertifizierung gehört unser Nachwuchsleistungszentrum zu den zwölf besten in Deutschland.

Wofür noch?

Todt: Ich sagte schon, wir sind ein Verein zum Anfassen. Bei uns kann man jeden Tag noch mit Spielern sprechen, wenn man das möchte. Wir sind im besten Sinn ein familiärer Klub. Das ist im heutigen Profifußball ein großes Wort und vielleicht ist es aus der Mode gekommen. Aber wir rücken hier enger zusammen als andere es tun. Für mich ist das ein bedeutender Wert.

Steigt der VfL Bochum ab?

Todt: Das wäre eine Katastrophe. Aber so weit lassen wir es nicht kommen. Nein, wir steigen nicht ab.