Gelsenkirchen. . Noch vor einem Jahr führte Sead Kolasinac die A-Jugend des FC Schalke 04 als Kapitän zur Deutschen Meisterschaft. Danach stiegt er in den Profikader auf - und startete durch. Bei den Profis schaffte er es innerhalb kürzester Zeit von der Bank auf den Rasen. Ein 19-Jähriger, der seine Stärken kennt.

Sead Kolasinac kommt ein wenig verspätet zum Gespräch, er hat nach dem Training noch eine persönliche Einheit im Kraftraum nachgeschoben. Auf den ersten Blick ergibt sich der naheliegende Gedanke, dass dieser kompakte Körper mit Oberarmen und Schultern in Türsteherbreite weitere Arbeit in einem Kraftraum so nötig hat wie die Sahara die Einfuhr von Heizpilzen. Sead Kolasinac aber muss das natürlich anders sehen, er weiß: Einer seiner größten Trümpfe ist die ausgeprägte Physis. „Ich sehe das als kleinen Vorteil“, sagt er und lächelt dabei, weil er bewusst untertreibt. „Ich gehe ja ein bisschen härter ans Werk, das ist manchmal nicht so bequem für den Gegenspieler."

Kolasinac verdrängte Österreichs Nationalspieler Fuchs aus der Schalker Startelf

Früher redeten so die alten Abwehrhaudegen, diese stählernen Typen, die privat ihr Grillfleisch mit dem Flammenwerfer rösteten und bei der Arbeit die Kontrahenten erbarmungslos so lange mit Tritten traktierten, bis diese entnervt aufgaben. Heute spricht so ein 19-Jähriger. Einer, der seine Stärken kennt, ohne sich etwas darauf einzubilden – weil er genau weiß, dass er noch reichlich Fortbildung nötig hat. Sead Kolasinac, vor einem Jahr Kapitän der A-Jugend-Meistermannschaft des FC Schalke 04, darf auf seinen Raketenstart stolz sein: Er ist im Bundesligateam der Königsblauen der Aufsteiger der Saison.

Ganz brav hatte er sich zu Beginn seiner ersten Spielzeit als Profi hinten angestellt. Lernen wollte er, täglich beobachten, wie die erfahrenen Kollegen arbeiten. Er gab sich geduldig und dachte perspektivisch: Er hatte sich vorgenommen, sich „in jedem Training zu zeigen“.

Das ist ihm gelungen, sogar auf beeindruckende Weise. In der Rückrunde verdrängte der Lehrling den bei der Abwehrarbeit schwächelnden Linksverteidiger Christian Fuchs, immerhin Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft, und dann lieferte der Beförderte bis auf eine kurze Verletzungszeit zum Saisonende keine Argumente mehr für eine Rückstufung. „Sead hat eine enorme Entwicklung gemacht“, schwärmt Trainer Jens Keller. „Er spielt vor allem defensiv schon auf einem sehr hohem Niveau, und er arbeitet täglich an seinen Schwächen. Außerdem hat er das Herz am rechten Fleck.“

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Vor seinem Startelf-Debüt in der Champions League in Montpellier war der in Karlsruhe geborene Deutsche mit bosnischen Wurzeln noch „sehr aufgeregt“, doch schon bald konnte er einen schützenden Panzer um seine Psyche legen, weil ihn die Mitspieler unterstützten. Als er vor dem Achtelfinale bei Galatasaray Istanbul sein Lampenfieber nicht verbergen konnte, nahmen sie ihm die Nervosität. „Sie sagten mir, ich solle mein Ding machen, sie würden mir schon helfen.“ Kein leeres Gerede: An jenem Abend dachte Didier Drogba, Istanbuls Starstürmer von der Elfenbeinküste, sicher mehrmals, dass es ihm leichter gefallen wäre, ein Loch in eine Betonwand zu schießen, als diesen jungen Schalker Abwehrspieler zu überrumpeln.

Bei Kolasinac stimmt die Dosierung zwischen Selbstbewusstsein und Bescheidenheit

In der ersten Halbzeit rasselten die beiden einmal derart unglücklich und hart zusammen, dass Sead Kolasinac fortan der Kopf dröhnte. „Ich war kurz weg und wusste nicht mehr, wo ich war“, erzählt er. Wiederholt erkundigte sich der besorgte Trainer nach dem Befinden, später berichtete Jens Keller dann von einem verblüffenden Vorgang in der Halbzeitpause: „Sead hat sich zwei-, dreimal geschüttelt, und weiter ging’s.“ Der Gedanke ans Aufgeben kam Sead Kolasinac nicht. Er trägt sein Image eben auch nach innen: So leicht lässt er sich nicht umhauen.

Dennoch stimmt bei ihm die Dosierung zwischen Selbstbewusstsein und Bescheidenheit. Er war ja schon mit seinem ers-
ten Halbjahr als Profi zufrieden, weil er auch ohne einen festen Platz in der Anfangself stets das gute Gefühl hatte, dazuzugehören. „Manchmal kneife ich mich, wenn ich überlege, wie schnell alles ging“, sagt er. „Damit konnte ich am Anfang der Saison ja nicht rechnen.“

Kolasinac lässt seine Wäsche manchmal noch von Mama bügeln 

Hemmungen, die ihn hätten aufhalten können, hatte er aber nie. „Wir sind in der A-Jugend von Norbert Elgert sehr gut vorbereitet worden, um direkt bestehen zu können, wenn wir ins kalte Wasser geschmissen werden“, sagt er.

Das Tempo und die Athletik der Profis überforderten den Nachwuchsspieler daher nicht, einen gravierenden Unterschied aber entdeckte er dann doch: „Wenn man hier einen Fehler macht, wird man sofort bestraft“, stellt er fest. „Daran musste ich mich erst gewöhnen. In der Jugend kommt man schon mal mit einem blauen Auge davon.“ Die Lehre, die er daraus zog: „Konzentration auf höchstem Level halten, immer. Auch bis zur 93. Minute.“

Schließlich spielt Sead Kolasinac ja auch nicht mehr gegen talentierte Stürmer aus Münster, Bielefeld oder Bonn, sondern gegen gewiefte Angriffskünstler wie Arjen Robben oder Marco Reus. Und das meistens als Linksverteidiger, auf einer Position, die er sich erst aneignen musste. „Ich wurde als Innenverteidiger und Sechser ausgebildet“, sagt er. „Aber man bekommt natürlich auch mit, wie man sich außen zu verhalten hat. Langsam habe ich mich damit angefreundet.“

Mama Kolasinac wäscht und bügelt noch für ihren erfolgreichen Sohnemann

Sead Kolasinac macht keinen großen Wind. Nicht um die spezielle Aufgabe, nicht um die Karriere und erst recht nicht um sich selbst. Zwangsläufig hat sich manches in seinem Leben verändert in dem einen Jahr, aber bisher nahm dieser kräftige Kerl jede Stufe auf dem Weg nach oben mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit, die ein mögliches Gefühl von Überlastung gar nicht erst aufkommen ließ.

Noch findet es der U-21-Nationalspieler eher interessant als störend, plötzlich prominent geworden zu sein. „Ich verhalte mich ganz normal und mache mir keinen Kopf darüber, ob die Leute mich im Alltag erkennen“, sagt er. „Es ist nicht lästig, es ist alles im grünen Bereich.“

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Er geht einfach weiter seinen Weg, zielstrebig war er nämlich immer schon. Er spielte bereits in der Jugend regelmäßig auf hohem Niveau: acht Jahre lang für den Karlsruher SC und jeweils ein Jahr für 1899 Hoffenheim und den VfB Stuttgart, aber als es in Stuttgart „nicht so lief, wie ich es mir erhofft hatte“, sagte er sofort zu, als Schalke anfragte. „Da habe ich mich nicht zweimal bitten lassen.“ Er verließ das baden-württembergische Zuhause und zog ins Nachwuchs-Internat der Blau-Weißen. Mit 17 Jahren, das bekennt er gerne, war es anfangs „schwierig ohne die Familie“.

An freien Tagen düst er in die Heimat, und er genießt es auch, wenn die Eltern zu Schalkes Heimspielen anreisen. Mittlerweile wohnt er in eigenen vier Wänden – wieder ein Schritt nach vorn. „Aber wenn meine Mutter kommt“, sagt er, „dann wäscht und bügelt sie immer noch für mich.“ Kurze Pause, er lacht. „Und sie kommt regelmäßig...“