Gelsenkirchen. . Macher beim TuS Haltern, Vorstand seiner eigenen Stiftung, Buchautor – man muss sich nicht um ihn sorgen, falls er seine Fußballschuhe im Sommer an den Nagel hängen sollte. Auch wenn Christoph Metzelder in der laufenden Saison auf Schalke eher unterbeschäftigt ist, abseits des Platzes ist er es mit Sicherheit nicht. Ein Interview.

Vielleicht fällt es Christoph Metzelder auch wegen seiner vielfältigen Interessen leicht, seine Profilaufbahn ohne falsche Sentimentalität Revue passieren zu lassen. „Ich bin jetzt an einem Zeitpunkt meiner Karriere angekommen, an dem man zurückblicken kann und muss“, sagt Metzelder. Die Kollegen von RevierSport nahmen ihn beim Wort und wagten zugleich einen Vorausblick.

Christoph Metzelder, wie fing das mit Ihnen und Schalke an?

Christoph Metzelder: Genau genommen schon in der B-Jugend. Damals bin ich gemeinsam mit Sergio Pinto aus Haltern zum Probetraining gekommen und wurde ebenso wie er genommen.

Warum haben Sie den Verein nach nur einem Jahr wieder verlassen?

Metzelder: Es war ein Schritt aus dem gewohnten Umfeld in eine Mannschaft, die mehr Qualität hatte und in der jeder um seinen Platz kämpfen musste. Damit bin ich nicht so klargekommen. Ich war damals noch ein feiner Mittelfeldspieler. Sobald etwas Härte reinkam, war ich nicht mehr zu sehen. Ich konnte auf Schalke einfach nicht überzeugen.

Hatten Sie den Traum vom Profifußball damals schon aufgegeben?

Metzelder: Ich war ein Talent. Aber es war nicht ersichtlich, dass ich mal Profi werden würde. In diesen Dimensionen hatte ich gar nicht gedacht. Es war eine andere Zeit. Heute haben die jungen Spieler in den Leistungszentren den Beruf des Fußballers schon sehr genau vor Augen. Dort werden sie da hingeführt. Bei mir war es nicht die eine Option, die ich unbedingt machen muss.

Ab welchem Zeitpunkt war der Fußball die einzige Option für Sie?

Metzelder: Selbst in meinem ersten Seniorenjahr bei Preußen Münster war es noch nicht so. Wir haben als Semi-Profis in der dritten Liga gespielt und in der Rückrunde kamen die ersten Angebote größerer Vereine. Aber sie alle stellten mir die selbe Option in Aussicht: „Wir nehmen dich in den Profikader auf, aber wahrscheinlich wirst du nur bei den Amateuren spielen.“

Die Prognose sollte sich nach Ihrem Wechsel zu Borussia Dortmund als falsch entpuppen.

Metzelder: Im Juni habe ich meinen Abiball gefeiert, im August bin ich im Westfalenstadion gegen Hansa Rostock angetreten. Was in diesen zwei Monaten passiert ist, war wirklich unbegreiflich. So hatte sich auch die Variante erledigt, dass ich statt dem Fußball ein Studium beginne.

Wie haben Sie es erlebt, dass es in den folgenden Jahren steil bergauf für Sie ging?

Metzelder: Das war die schönste Zeit. Ich hatte so eine Goldgräber-Mentalität: Ich war jung, gesund, Deutscher Meister, Vizeweltmeister und es kamen Angebote von den größten Vereinen in Europa. Nach oben hin gab es offensichtlich keine Grenze.

Die Grenze war schließlich Ihre Verletzung im Oktober 2002.

Metzelder: Ich hatte immer wieder Achillessehnenprobleme. Beim Warmmachen hatte ich Schmerzen, aber wenn ich warm war, ging es. So habe ich das immer ein bisschen mit mir rumgeschleppt, bis ich mich irgendwann habe untersuchen lassen. Dort gab es die Diagnose, die zu einer Operation führte. Und so begann eine Leidenszeit, die zwei Jahre andauerte.

Haben Sie zu wenig auf Ihren Körper gehört?

Metzelder: Die Problematik auf dem Niveau ist immer, für sich selber zu entscheiden, inwieweit man Schmerz tolerieren kann und ab wann es gefährlich wird. Ich habe es ein halbes Jahr toleriert. Natürlich kann man sagen, dass ich mich früher hätte untersuchen lassen sollen. Aber ich habe auf die Zähne beißen wollen und habe die Gefahr dabei nicht erkannt.

Wie sind Sie damit umgegangen, nach Jahren des Aufstiegs erstmals langfristig auszufallen?

Metzelder: Ich war 22 und stand kurz vor dem Karriereende, das muss man so realistisch sehen. In einer Situation haben wir über eine weitere Operation diskutiert. Ich glaube, das wäre dann auch das Ende gewesen. Ich bin 21 Monate ausgefallen und es hätte auch nicht länger dauern dürfen.

Metzelder war "noch nicht bereit, mit dem Fußball abzuschließen" 

Hatten Sie einen Plan B in der Tasche?

Metzelder: Dadurch, dass ich so jung war, war ich noch nicht bereit, mit dem Fußball abzuschließen. Deswegen habe ich gekämpft. Und das hat sich dann ja auch ausgezahlt.

Haben Sie den Fußball nach Ihrem Comeback anders erlebt?

Metzelder: Es war zum Teil schmerzhaft, die ersten Monate und Jahre mitzuerleben, dass man vielleicht nicht mehr ganz da hinkommt, wo man vorher war. Wer weiß, wo die Karriere ohne die Verletzung hingegangen wäre? So war es ein langer Weg zurück. Selbst heute ist noch ein Unterschied erkennbar, wenn man sich meine beiden Waden anschaut. Man muss kein Arzt oder Athletiktrainer sein, um zu erkennen, dass es auf der einen Seite Defizite gibt.

Trotzdem sind Sie bei Real Madrid gelandet.

Metzelder: Das ist vielleicht sogar mit die schönste Geschichte. Ich hatte schon 2003 ein Angebot von Real, aber damals war ich verletzt. Dass ich nach der langen Verletzungszeit 2007 noch einmal die Möglichkeit bekommen habe, dort zu spielen, war etwas Besonderes.

Ist es für Sie ein Makel, dass Sie in Madrid nicht wirklich Stammspieler waren?

Metzelder: Nein, das nicht. Mir war schon klar, dass es sehr schwierig sein würde, weil auf der Position eine sehr große Konkurrenz herrschte. Und ich hatte mit Sicherheit auch den Nachteil, als ablösefreier Spieler zu kommen. Das habe ich in gewissen Situationen gemerkt.

Was meinen Sie konkret?

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Metzelder: Ich kam immer rein, wenn andere verletzt waren und habe dann eigentlich auch immer gut gespielt. Aber sobald die anderen wieder fit waren, saß ich auf der Bank.

2010 folgte der Wechsel nach Schalke, begleitet von heftigen Anfeindungen aus den Fanlagern. Hatten Sie im Vorfeld mit dieser Schärfe gerechnet?

Metzelder: Ich kannte die Gefühlslage im Ruhrgebiet, auf beiden Seiten. Trotzdem hatte ich es mir so schwer nicht vorgestellt. Das lief parallel mit einer sportlich schlechten Phase, nicht nur bei mir, sondern bei der gesamten Mannschaft. Das alles zusammen war eine harte Zeit. Aber ich habe den Leuten, die mich auch heute möglicherweise noch nicht mögen, immerhin gezeigt, dass ich mich trotzdem durchgebissen habe. Ich habe für den Verein auf dem Platz und auch außerhalb immer alles gegeben. Und ich denke schon, dass der Großteil der Schalke-Fans mich akzeptiert – auch wenn ich vielleicht von vielen nicht geliebt werde.

Hätten Sie sich im Nachhinein lieber einen anderen Verein ausgesucht?

Metzelder: Im Fußball ist es etwas anders als in anderen Berufen. Ich kann mich nirgendwo bewerben, sondern der Markt regelt viele Dinge. Felix Magath wollte mich unbedingt haben, auch schon davor, als er in Wolfsburg war. Und Schalke war für mich die einzige Option, nach Deutschland zurückzukehren. Das wollte ich nach der Zeit in Madrid unbedingt. Und genau genommen zieht es sich ja auch ein bisschen durch meine Karriere, dass ich mutige Entscheidungen getroffen habe.

Metzleder wird "Schalke definitiv verlassen" 

Inzwischen befinden Sie sich im Herbst Ihrer Karriere. Werden Sie nach Ihrem Vertragsende im Sommer 2013 aufhören?

Metzelder: Das ist durchaus möglich. Ich werde Schalke definitiv verlassen, wobei ich auch nicht glaube, dass der Verein den Vertrag verlängern würde. Er hat sehr viele gute junge Spieler auf meiner Position. Und ich werde im Frühjahr für mich entscheiden, ob und wo ich weitermachen werde.

Ist es für Sie vorstellbar, noch einmal zu einem kleineren Verein zu wechseln?

Metzelder: Wenn, dann nur zum TuS Haltern – falls der Trainer mich nimmt. Aber im Ernst: Damit würde ich der Mannschaft wohl keinen Gefallen tun. Vielleicht bin ich aber doch so verrückt, das auch noch mal zu machen. Vor allem fände ich aber das Thema USA sehr, sehr interessant, auch, um eine neue persönliche Erfahrung mitzunehmen.

Dabei haben Sie schon eine Menge Erfahrungen außerhalb des Fußballs gesammelt.

Metzelder: Ich habe mich schon in ganz jungen Jahren mit vielen Dingen beschäftigt. Ich finde es wichtig, die Zeit, die einem als Fußballer bleibt, auch zu nutzen. Jeder hat seine Hobbys. Und ich gehe in der Stiftungsarbeit auf. Jeden Tag beschäftige ich mich mit dem Thema. Und es macht mir sehr viel Freude, die Projekte zu besuchen.

Woher rührt der Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben?

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Metzelder: Das sind Werte, die mir in meiner Familie vermittelt worden sind: an die zu denken, denen es schlechter geht. Dass es eine eigene Stiftung geworden ist, hat sehr viel mit meinem Lebensumfeld zu tun, natürlich auch mit meinem beruflichen Erfolg. Aber auch sonst würde ich mich sicherlich gesellschaftlich und sozial engagieren.

Sind Sie insofern ein ungewöhnlicher Profi?

Metzelder: Ich glaube, dass ich im Fußball immer ein Exot war. Es gibt ein paar Spieler, die das auch machen. Aber es ist einfach mit sehr viel Arbeit verbunden. Das muss man mögen und zu 100 Prozent dahinterstehen. Das empfinde ich nicht als Belastung und darunter leidet auch nicht der Beruf.

Müssen Sie sich wegen Ihrer sozialen Ader Sprüche in der Kabine anhören?

Meine Mitspieler flachsen schon, wenn ich mit dem hundertsten Trikot zum Unterschreiben komme. Aber sie respektieren das und nehmen es mir nicht übel. Sie wissen, dass ich es aus Überzeugung mache und dass es nicht aufgesetzt ist.

Sie gelten als intellektueller Profi. Kein positives Image für einen Fußballer, oder?

Es gibt sicherlich Situationen, in denen es nicht gut ist, nachzudenken. Aber ich bin so, wie ich bin. Ich weiß, dass mein gutes Abitur mir auf dem Platz nicht geholfen hat. Aber für alles andere nehme ich an, dass es ein kleiner Vorteil ist.

Ist die Manager-Rolle für Sie nach dem Karriereende schon vorgezeichnet?

JMetzelder: Ja, das ist definitiv das, was mich interessiert. Das, was wir beim TuS Haltern machen, sind im Grund genommen auch Management-Aufgaben – natürlich auf einem ganz anderen Niveau. Aber die Vereine ähneln sich dann doch in ihrer Struktur. Einen Klub aufzubauen, zu gestalten und ihm eine klare Philosophie zu verpassen, das hat mich schon immer interessiert. Deswegen sehe ich mich zukünftig auch eher in dieser Rolle.

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Also werden Sie das Trikot unmittelbar gegen den Anzug tauschen?

Metzelder: Das weiß ich nicht. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass ich mir nach dem Karriereende eine Zeit der Orientierung nehme, um dazuzulernen.

Stört Sie der Gedanke, dass es bald vorbei sein könnte?

Metzelder: Ob einen das stört oder nicht: Der Tag wird kommen. Und je früher man sich damit auseinandersetzt und mit sich selber im Reinen ist, desto besser. Es wird so oder so seltsam sein, seinen Tag selbst zu organisieren und nicht mehr so fremdbestimmt zu sein. Das ist ja auf eine gewisse Weise auch bequem. Und das wird sicherlich eine große Umstellung werden. Aber ich werde meine Zeit auf jeden Fall füllen.