Essen. In unserem Interview spricht der heutige Schalker und frühere BVB-Profi über sein neues Buch “Aller Anfang“, sein soziales Engagement, seine Wurzeln in Haltern - und warum der Verlust von Heimat zu innerer Zerrissenheit führen kann. Außerdem erklärt er, weshalb die Kanzlerin für ihn ein Vorbild ist.

Um Fußball soll es heute ausnahmsweise nicht gehen. Ich würde stattdessen gern mit Ihnen über das Buch „Aller Anfang“ sprechen, das Sie mit Ihrer Stiftung realisiert haben. In dem Buch haben sich prominente Persönlichkeiten an Orten fotografieren lassen, die sie mit den Ursprüngen ihrer Karriere verbinden. Manchmal sind es Orte, die schon in der Kindheit eine bedeutende Rolle spielten. Wie war das bei Ihnen, hat da auch ein Kindheitserlebnis die Weichen für später gestellt?

Christoph Metzelder: Ich erinnere mich natürlich an die Zeit, in der ich als Fußballer begonnen habe. Und ich erinnere mich noch sehr genau an mein erstes Training. Mein Vater war Leichtathlet und eigentlich nicht so begeistert davon, dass seine Söhne Fußball spielen wollen. Einer meiner Kindergartenfreunde nahm mich dann zum TuS Haltern mit. Wir trainierten in einer alten Halle mit richtigem Parkettboden - so etwas findet man heute gar nicht mehr.

Wann war das?

Metzelder: Da war ich gerade sechs geworden, im Dezember 1986.

Und abseits des Fußballs, der Karriere, was ist Ihnen von Ihrer Jugend da als besonders wichtig in Erinnerung geblieben?

Metzelder: Die Ironie des Lebens ist ja, dass man gerade die Schulzeit erst mit einem gewissen Abstand zu schätzen weiß. Das Abitur ist eine erste große Zäsur im Leben, man verlässt seinen Freundeskreis, fängt ein Studium an und zieht aus der Stadt. Wenn ich heute am Gymnasium in Haltern vorbeifahre, dann kommen sowohl Wehmut, als auch viele tolle Erinnerungen gleichermaßen auf.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Stiftung zu gründen?

Metzelder: Es geht ja generell um soziales Engagement, und das hat auch etwas mit meiner Erziehung zu tun. Ich komme aus einer großen Familie, uns wurde immer vorgelebt, an die Menschen zu denken, denen es nicht so gut geht. Mit Beginn meiner Karriere habe ich dann angefangen, gemeinnützige Projekte zu unterstützen. Ab einem gewissen Zeitpunkt wollte ich aber auch eigene Akzente setzten, gerade was die Themen Bildung, Ausbildung, wie begleiten wir Kinder und Jugendliche auf ihrem Lebensweg, angeht. Wenn man sich die aktuellen Statistiken anguckt, sind die Zahlen ja verheerend.

Aber Sie selbst kommen nicht aus Verhältnissen, die man als schwierig bezeichnen würde. Bekommen Sie denn mit, wie es Kindern und Jugendlichen geht?

Metzelder: Einen Großteil meines Lebens habe ich im Ruhrgebiet verbracht. Das ist eine Region, die einen unglaublichen Charme hat, aber vom Strukturwandel auch extrem getroffen wurde. Natürlich kommt man darüber auch ins Gespräch, gerade mit jungen Fans, da hört man heraus, wie die Lebenswirklichkeit aussieht und was für Probleme sie im Alltag bewegen. Ich habe einfach irgendwann festgestellt, dass uns auch in Deutschland immer mehr junge Menschen auf dem Weg von der Schule in den Arbeitsmarkt „verloren“ gehen. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Deswegen fokussiere ich mich auf Bildungs- und Ausbildungsprojekte in Deutschland.

Warum Sport zum Erfolg von Integration und Bildung beiträgt  

Was bedeutet denn „Heimat“ konkret für Sie?

Metzelder: Heimat ist für mich Haltern am See. Ich erinnere mich noch, dass ich 2002 nach der WM das Privileg hatte, mich ins goldene Buch der Stadt einzutragen. Da habe ich dann sinngemäß formuliert: „Auch wenn mein Zuhause einmal woanders sein mag - und das ist ja in den letzten 13 Jahren der Fall gewesen – meine Heimat bleibt Haltern am See.“ Die Stadt, die „Stauseekampfbahn“ als Ursprung meiner Fußballkarriere, meine Schule, mein Elternhaus, das sind einfach die Orte meiner Kindheit.

Meinen Sie, dass ein Jugendlicher, dem dieser starke Heimatbezug fehlt, weil seine Eltern nach Deutschland eingewandert sind, es allein dadurch schon schwerer hat?

Metzelder: Ich kann mir schon vorstellen, dass es nicht einfach ist, gerade auch im Konflikt mit der Generation der Eltern und Großeltern. Die Kinder sind hier geboren, sie wachsen in unserem Kulturkreis auf und lernen die deutsche Sprache, gleichzeitig müssen sie sich aber mit der Lebenswirklichkeit ihrer Eltern auseinandersetzen. Da entsteht mit Sicherheit auch eine Form von „Zerrissenheit“. Aber wir sind eine vielfältige Gesellschaft, immer schon gewesen. In Deutschland hat jeder einen Platz und die Möglichkeit, sich zu entfalten. Diese Zugehörigkeit erkenne ich übrigens bei vielen Kindern mit Zuwanderungshintergrund, denen ich täglich begegne.

Denken Sie, dass Sportvereine da eine Lücke füllen können?

Metzelder: Absolut! Sport verbindet Menschen unterschiedlichster Herkunft und überwindet Grenzen. Aber auch unsere Stiftungsprojekte leisten in den großen Ballungsgebieten und sozialen Brennpunkten wichtige Integrationsarbeit. Dabei sind sie nicht nur Anlaufstellen für die Kids, sondern auch Ansprechpartner für die Eltern. Kinder- und Jugendarbeit ist heute Familienarbeit, ja sogar Stadtteilarbeit geworden. Das ist eine große Herausforderung, auch für uns als Stiftung.

Können Sie etwas zum Entstehungsprozess des Buches sagen? Wie lief die Arbeit ab und wie lange dauerte das ganze Projekt?

Metzelder: Es war wirklich ein Mammutprojekt. Den Fotografen Carsten Sander habe ich vor acht Jahren kennen gelernt, mit der Agentur Jung von Matt haben wir dann 2009 die Idee zum Fotobuch entwickelt. Vom ersten Bild mit Sönke Wortmann bis zur Veröffentlichung des Fotobuchs sind dann fast drei Jahre vergangen. Ein großes Lob geht an Carsten, der einen Großteil der Protagonisten angesprochen hat. Er hat eine kleine Deutschland-Reise hinter sich!

Und warum es nicht immer Spitzensport sein muss 

In dem Buch werden Geschichten von großen Karrieren erzählt, aber mal ehrlich: muss man denn immer bis an die Spitze? Was ist mit den einfachen Lebensentwürfen?

Metzelder: Um Gottes Willen, Exzellenzförderung ist zwar wichtig, aber gerade mit meiner Stiftung geht es ja um die Kinder und Jugendlichen, die extrem schwierige Startbedingungen in ihrem Leben haben. Das Buch soll einfach zeigen, dass Erfolg nicht „angeboren“ ist, fast jedem bietet das Leben großartige Chancen. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass jeder Mensch besondere Fähigkeiten hat. Nicht jeder mag ein guter Fußballer, ein herausragender Sänger oder ein toller Schauspieler sein. Einige sind kreativ, können gut mit Kindern umgehen oder verstehen technische Zusammenhänge. Unsere Aufgabe als Stiftung ist es, gemeinsam mit den Projekten Kindern und Jugendlichen auf diesem Weg der Selbst- und Talentfindung zu begleiten. Was kann ich gut? Was macht mir Spaß? Das sind entscheidende Fragen, die Schule und Ausbildung ja auch einen Sinn geben. Zu lernen, damit man ein Ziel erreicht, das ist eine wichtige Botschaft.

Erhielt Unterstützung: Boxerin Susi Kentikian
Erhielt Unterstützung: Boxerin Susi Kentikian © NN

Für das Buchprojekt war es wichtig, emotionale Geschichten zu erzählen, Identifikation zu stiften, aber auch die Aufmerksamkeit für unsere Arbeit zu erhöhen. Mit der Unterstützung der Prominenten haben wir das erreicht.

Zum Beispiel mit der Unterstützung der Boxerin Susianna Kentikian. Wünschen Sie sich eine solche Karriere auch für Ihre Tochter?

Metzelder: Kinder müssen ihren eigenen Weg gehen. Meine Tochter hat jetzt schon einen starken Willen und wird hoffentlich etwas finden, was sie mit Spaß und Hingabe verfolgt. Ich werde sie natürlich dabei begleiten und unterstützen.

Aber es könnte auch etwas ganz anderes werden?

Metzelder: Es wird wohl weder Boxen, noch Fußball werden... (lacht)

Welchen anderen Weg hätten Sie noch einschlagen können, wenn es für Fußball nicht gereicht hätte?

Metzelder: Ich habe lange Zeit parallel Leichtathletik gemacht, und ich denke, ohne meinen Kindergartenfreund wäre es wohl eine ganz passable Leichtathletikkarriere geworden.

Sie hatten in Ihrer Karriere auch viel Pech mit Verletzungen. Können Sie daraus eine Empfehlung ableiten, wie man Rückschläge am besten verkraftet? Auch in dem Buch geht es ja um Kämpfer, und ums Durchsetzen und Weitermachen.

Metzelder: Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, ging es immer wieder auch um große Rückschläge. Das mag auch das als Beispiel dafür herhalten, dass das Leben voller Prüfungen steckt. Ich denke aber, dass das Buch noch ganz andere Geschichten bereithält, von wirklichen Lebensaufgaben. Besonders freut mich, dass wir es geschafft haben, einige Prominente mit Zuwanderungshintergrund für das Projekt zu gewinnen. Sie sind wahre Beispiele und zeigen, dass Integration sehr wohl gelingen kann.

Im Vorwort ist die Rede davon, dass die Geschichten Kinder und Jugendliche inspirieren sollen. Allerdings ist ein Kaufpreis von knapp 80 Euro nun nichts, was ein Teenie mal eben für ein Buch ausgibt. Wie also kommen die Geschichten zu den Kindern?

Metzelder: Jedes unserer Projekte bekommt natürlich eines der Bücher zugeschickt. Und ich hoffe, dass der ein oder andere dann auch mal darin stöbert.

Der Papst, Karl-Heinz Förster und die Kanzlerin 

Sie hatten die Gelegenheit, Papst Johannes Paul II. vor seinem Tod persönlich zu treffen. Wie war das für Sie?

Metzelder: Ich bin religiös, aber ich glaube, dass die Begegnung mit einer solchen Persönlichkeit für jeden Menschen etwas Besonderes ist. Es war eine der letzten Audienzen vor seinem Tod und er war schon sehr geschwächt. Trotzdem hat er an jenem Vormittag vielen Hundert Menschen Kraft gegeben.

Haben Sie Vorbilder?

Sie, findet Christoph Metzelder, ist ein Vorbild.
Sie, findet Christoph Metzelder, ist ein Vorbild.

Metzelder: Ich habe als kleines Kind den Nationalverteidiger Karlheinz Förster bewundert, auch danach waren es vor allen Dingen Fußballer, denen ich nachgeeifert habe. Heute sind es Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Beispiele?

Metzelder: Ich bewundere Angela Merkel, die in einer großen geopolitischen Krise ihre Überzeugungen, deutsche und europäische Interessen sanft aber bestimmt vertritt. Das finde ich wirklich bemerkenswert.

Was hat Sie selbst – abgesehen von der Orientierung an Vorbildern - zu dem Menschen gemacht, der Sie heute sind?

Metzelder: Ich glaube, dass ein Mensch das Produkt seiner Erziehung und Sozialisation ist. Dazu kommen bei mir natürlich die Erfahrungen der letzten 13 Jahre im Profifußball mit all seinen Chancen und Verlockungen. All das in der Summe hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Aber neben meinen vielen Tätigkeiten und meinem Engagement darf man nicht vergessen, dass ich auch ein Mensch mit vielen Fehlern bin.

Was ist denn ihre größte Schwäche, wenn Sie es selbst schon ansprechen?

Metzelder: Da will ich nicht zu sehr ins Detail gehen.

Es muss ja nicht zu persönlich werden...

Metzelder: Ich bin zum Beispiel Perfektionist, was es nicht immer so einfach macht, mit mir zusammenzuarbeiten.