Gelsenkirchen. Nur rund 3600 Schalke-Mitglieder kamen Samstag zur Mitgliederversammlung. Minusrekord! Warum das eine gefährliche Entwicklung ist. Ein Kommentar.
Es gab Momente während der Mitgliederversammlung am Samstag, da berauschte sich der FC Schalke 04 an sich selbst. Immer wieder betonten Vorstand, Aufsichtsrat, Mitglieder, wie grandios die Fans den Klub in der Rückrunde 2022/23 vertreten hätten, wie richtig der eingeschlagene Weg sei. Wie wenig Chaos herrschen würde. Dass langfristig die Top 6 in der Bundesliga das Ziel wären. Dabei ist Schalke gerade zum zweiten Mal binnen drei Jahren in die 2. Bundesliga abgestiegen. Alles ruhig, alles prima, ist wirklich alles so gut?
Schalke: Nur 3600 Mitglieder kamen in die Veltins-Arena
Die Fakten sprechen nicht dafür: Abstieg, viele Leistungsträger weg, hohe Schulden. Die Pläne, die der Vorstand präsentierte, um das zu ändern, sind okay. Was den Klub aber sehr stören müsste: Nur rund 3600 Mitglieder von 170.000 kamen in die Veltins-Arena - das sind 2,1 Prozent! Eine Zahl, die die Verantwortlichen eher beiläufig abtaten. Ein Fehler.
Die anwesenden Mitglieder vertraten in überwältigender Mehrheit die Vereinslinie, wählten den Aufsichtsrats-Chef Axel Hefer mit 93 Prozent wieder, stimmten sämtlichen Anträgen des Vorstands fast diskussionslos zu, entlasteten beinahe einstimmig. Nach den Berichten von Vorstand und Aufsichtsrat kamen ganze sechs Nachfragen. Sechs!
Schalke-Check: Wie mächtig ist die aktive Fanszene?
Auch aus der Art des Beifalls bei Redebeiträgen war zu entnehmen: Der Großteil der Anwesenden gehörte zur aktiven Fanszene - ob als Ultra, im Supportersclub, als Viel- oder sogar Allesfahrer. Meinungen, die nicht der Linie dieser Fans entsprachen, wurden übel niedergepfiffen, vor allem, wenn es um eine Änderung der Rechtsform ging, die auf Schalke häufig diskutierte Ausgliederung. Ein schlüssig vorgestellter Antrag, wenigstens eine Mitgliederbefragung zur Ausgliederung durchzuführen, wurde abgelehnt, nachdem der Antragsteller kaum einen Satz beenden konnte, ohne ausgepfiffen zu werden. Die Gegenredner durften ihre vorgegebene Redezeit hingegen so überziehen wie wenig andere.
Waren unter Vereinspatriarch Clemens Tönnies Kritiker unerwünscht, so mag das jetzt vielleicht anders sein - aber die meisten Kritiker kommen nicht mehr zur Versammlung. Für eine lebhafte Vereinskultur, wie sie der FC Schalke 04 für sich definiert, ist das gefährlich. Schalke braucht Reibung und Reizpunkte. Braucht Contra-Argumente und lebhafte Diskussionen, um voranzukommen. Als Tönnies das Sagen hatte, meldete sich die aktive Fanszene, ergriff bei Mitgliederversammlungen das Wort, war unangenehm, stellte sich zur Wahl für die Gremien.
Jetzt? Stellt sich keiner mehr zur Wahl. Wollen nur noch ganz wenige etwas sagen. Meist, weil sie die Übermacht und Lautstärke der aktiven Fanszene fürchten.
Es wirkt ein wenig so, als wären sich Aufsichtsrat, Vorstand und Fans dieses Problems nicht bewusst. Sie bezeichnen den Verein im Selbstrausch als "so demokratisch wie nie zuvor". Das mag sicherlich auch auf die Gespräche zwischen den einzelnen Personen und Gruppen zutreffen, die Durchlässigkeit zwischen Klubspitze und Nordkurve ist vorhanden wie nie. Das Schalker Leben besteht aber nicht nur aus der Nordkurve. Auch Tönnies hatte sich schon auf wenige konzentriert - da war es nicht die Nordkurve, sondern die Logenebene. Ein Aufsichtsrat für alle - das wäre einmal etwas Neues.
Rund 166.400 Schalke-Mitglieder kamen nicht
Am Samstag waren rund 166.400 Schalke-Mitglieder nicht anwesend. Eine hybride Veranstaltung ist nicht vorgesehen, eine Online-Abstimmung beispielsweise wird von den aktiven Fans abgelehnt. Rund 34.700 Mitglieder nahmen an einer Sonderumfrage teil, was der Klub als repräsentativ und Riesenerfolg feierte - 136.000 Mitglieder aber nicht.
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Schalke will aber kein Verein für wenige sein, sondern für alle. 2,1 Prozent sollten nicht auf Dauer 100 Prozent des Klublebens bestimmen. Und wenn viele keinen Sinn darin sehen, zu Mitgliederversammlungen zu kommen oder ihre Meinung zu äußern, ist das schlecht für Schalke. Das spricht dafür, dass der Klub immer noch an einigen Stellen zerrissen ist. Der Vorwurf sollte dann nicht denjenigen gemacht werden, die - Motto: Selbst schuld! - vermeintlich ihre demokratische Chance nicht nutzen oder früher ohnehin nur wegen des Rahmenprogramms gekommen sind. Das wäre eine arrogante Sichtweise. Es dürfte sich lohnen, Gründe für diesen Minusrekord zu suchen.
Schalke muss Diskussionen vertragen können
Und deshalb muss Schalke auch Diskussionen über unangenehme Themen wieder vertragen können. So wie über die Ausgliederung - und das unabhängig davon, ob sie nun richtig wäre oder nicht.