Gelsenkirchen. Am Samstag steigt Schalkes Mitgliederversammlung. Im Vorfeld ist viel von der angeblich mächtigen aktiven Fanszene die Rede. Stimmt das?
Im Vorfeld der Mitgliederversammlung des FC Schalke 04 (Samstag, 11.04 Uhr) ist viel von der "aktiven Fanszene" die Rede, die in den Gremien sehr präsent sei und die, so sagen es die Kritiker, die Linie des Vereins und der drei Gremien Aufsichtsrat, Wahlausschuss (wählt die Kandidaten für die Wahl zum Aufsichtsrat aus) und Ehrenrat (überprüft Vereinsausschlüsse, greift bei vereinsschädigendem Verhalten von Mitgliedern ein) dominieren und dabei nicht neutral handeln würde.
Doch stimmt das? Wie mächtig ist die aktive Fanszene wirklich? Wir machen den Faktencheck!
Aktuell entzünden sich die Diskussionen vor allem an einem Punkt: Auf Schalke wird trotz hoher Schulden und des erneuten Abstiegs in die 2. Bundesliga am Konzept des "eingetragenen Vereins" nicht gerüttelt - über eine Änderung der Rechtsform, die durch Investoren viel Geld bringen könnte, aber die Mitgliederrechte beschneiden würde, nicht einmal diskutiert.
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Wir erklären in unserem Faktencheck zunächst, was überhaupt mit dem Begriff "aktive Fanszene" gemeint ist, aus welchen Gruppierungen sie besteht und welche Personen in den Gremien ihr angehören.
Aktive Fanszene auf Schalke - was ist das?
Von den rund 168.000 Mitgliedern des FC Schalke 04 sind nicht alle in Fanklubs organisiert, reisen ihrem Klub hinterher, beschäftigen sich konkret mit Vereinspolitik, treten als lautstarke Anhänger im Stadion auf. Sie sind sogenannte "Passivmitglieder". Die aktive Fanszene hat aber den Anspruch, sich einzumischen, kritisch zu sein, sich am Vereinsleben zu beteiligen, im Stadion für Stimmung und Choreographien zu sorgen. Sie hat sich selbst Leitlinien für die Klubpolitik gegeben, bezeichnet die Passivmitglieder zuweilen als "Erfolgsfans". Vor allem drei Gruppen sind zu nennen.
Ultras Gelsenkirchen: Der bekannteste Fanklub der Schalker, das Herz der Kurve. Die Ultras stehen aber nicht nur für Choreographien oder Lautstärke, sie treten auch außerhalb der Stadien auf. Ein Beispiel: Jahr für Jahr erstellen und verkaufen die Ultras ihren "Nordkurven-Kalender", 75 Prozent der Erlöse fließen in soziale Projekte. Regelmäßig haben sie einen Stand auf dem Gelsenkirchener Weihnachtsmarkt, auch diese Erlöse gehen an karitative Projekte der Stadt. Besonders auffällig war das Projekt "Flutlichtmast Parkstadion", das unter Federführung der Ultras umgesetzt wurde. Ihre Berichte und Meinungen äußern sie auf ihrer Homepage oder im Fanklub-Magazin "Blauer Brief", das zu jedem Heimspiel erscheint.
Die Ultras haben klare Positionen: Sie sind für den Erhalt der Fankultur, für Stehplätze, mehr Mitspracherecht im Verein, für Pyrotechnik, gegen Stadionverbote und zu viele Polizeieinsätze. Auf Schalke sprechen sie sich eindeutig gegen eine Ausgliederung aus. Mit diesen Positionen ecken sie immer wieder an. Sie waren große Gegner des Vereinspatriarchen Clemens Tönnies.
Immer wieder gibt es aber auch Kritik an den Ultras - zum Beispiel für das Entzünden von Pyrotechnik, das Schalke hohe Strafen bringt oder derbe Sprechchöre, Plakate und Beleidigungen während der Spiele. Auch aggressives Auftreten wird den Ultras vorgeworfen.
Supportersclub e. V.: Laut Selbstdarstellung auf der Homepage hat der Supportersclub rund 850 Mitglieder, er existiert seit 1996. Er bezeichnet sich nicht als Fanklub oder Ultragruppierung, sondern als "Interessensvertretung". Der Großteil der Mitglieder ist laut Homepage "Alles- und Vielfahrer". Ein wichtiger Eckpfeiler der sich selbst als unpolitisch bezeichnenden "Supps" ist es, eine Änderung der Rechtsform des Klubs in eine Kapitalgesellschaft "von vorne herein" zu unterbinden. Als "undenkbar" bezeichnet der Club eine Ausgliederung. Dies wäre der "Albtraum" aller SC-Mitglieder. Gewerbliche Aktivitäten (Merchandising, Vereinsheim, Organisation von Auswärtsfahrten) übernimmt eine Servicegesellschaft, die dem Supportersclub zu 100 Prozent gehört.
Schalker Fanclub-Verband (SFCV): Dem SFCV gehören rund 850 eingetragene Fan-Clubs mit etwa 56.000 Mitgliedern an. Deren Interessen zu vertreten, ist die wichtigste Aufgabe des Klubs. Der SFCV ist das Bindeglied zwischen Fanklubs und Verein, organisiert Veranstaltungen und Fan-Reisen, Sommerfeste. Der SFCV kann ein Vorstandsmitglied in den Aufsichtsrat entsenden und hat dadurch direkten Einfluss auf die Vereinspolitik. Auch der SFCV spricht sich für den eingetragenen Verein aus: "Der SFCV bekennt sich zum FC Schalke 04 als eingetragenen Verein in seiner heutigen Form und steht dafür, dessen Erhalt auch in Zukunft zu sichern. (...) Schalke muss Schalke bleiben." Bei den Ultras und dem Supportersclub ist der SFCV aber nicht unumstritten, die Ultras gehören auch nicht zu den Mitgliedern.
Fazit: Auffällig ist, dass sich die wichtigsten Gruppierungen alle für den e. V. positionieren. Doch wer in den Gremien gehört konkret dazu?
Aufsichtsrat des FC Schalke 04 - 11 Mitglieder
Holger Brauner (Supportersclub, steht zur Wahl): Der 51-Jährige steht zur Wiederwahl, er wohnt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen. Seine Hauptaufgabe im Gremium ist der Finanzausschuss, er ist Ansprechpartner der Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers. Als Supportersclub-Mitglied ist er bei den Fans sehr bekannt, seine Meinung zum e. V. eindeutig: "Ich bin der festen Überzeugung, dass dies für Schalke 04 die richtige Rechtsform ist. Insbesondere als e. V. haben wir alle Möglichkeiten, unsere sportlichen und wirtschaftlichen Ziele selbstbestimmt zu erreichen."
Sven Kirstein (Ultras Gelsenkirchen): Er bezeichnet sich selbst als "aktiver Fan", war 15 Jahre lang Allesfahrer und zusätzlich für die Choreographien zuständig. Die Rechtsform hält er für unantastbar. "Mit der richtigen Strategie werden wir als eingetragener Verein erfolgreich sein", schrieb er in einem Fragebogen. "Ich bin gerne bereit, alternative Modelle abzuwägen. In diese Diskussion werde ich meine tiefe Überzeugung für den e. V. einbringen."
Michael Riedmüller (SFCV): Der SFCV hat einen Sitz im Aufsichtsrat, Michael Riedmüller besetzt ihn. Lange Zeit war Heiner Tümmers Schalkes SFCV-Mann im Aufsichtsrat, im September 2021 zog er sich aber zurück. Unter anderem Tümmers war es, der mit seiner Stimme im Januar 2021 verhindert hatte, dass Clemens Tönnies als Geldgeber vorübergehend zurückkehrt.
Und die Vorsitzenden des Gremiums, Axel Hefer (Vorsitzender, steht zur Wiederwahl) und Moritz Dörnemann (Stellvertreter)? Sie haben sich nie öffentlich zu einer der Fangruppen bekannt, aber im Klub ist es kein Geheimnis, dass sie Ultras und Supportersclub nahe stehen. Hefer ist zum Beispiel Freund von Pyrotechnik, bezeichnete die Ultras als "wichtige Fangruppe". Rolf Haselhorst, vor einem Jahr gewählt, sprach sich auch deutlich gegen eine Ausgliederung aus: "Schalke gehört seinen Mitgliedern zu 100 Prozent und das muss auch so bleiben. Eine Einbeziehung von Kapitalgebern durch Ausgliederung verschafft kurzfristiges Kapital, aber langfristige Abhängigkeiten. Unabhängigkeit ist ein wesentlicher Grundsatz unserer Vereinstradition."
Fazit: War Clemens Tönnies von 2001 bis 2020 Alleinherrscher und hatte in den meisten Jahren nur Unterstützer um sich herum, die alles abnickten, dominieren nun Aufsichtsräte, der aktiven Fanszene nahestehen. Tönnies und sein Vorstand um Alexander Jobst forcierte in den letzten Jahren eine Diskussion um eine Ausgliederung, davon ist Schalke jetzt weit entfernt.
Wahlausschuss des FC Schalke 04 - 8 Mitglieder
Thorsten Altfeld (Supportersclub, steht zur Wahl): In einem Newsletter zur Mitgliederversammlung warb der Supportersclub um Unterstützung seines Mitglieds Thorsten Altfeld.
Dr. Stephan Kleier (Ultras Gelsenkirchen): Seine Amtszeit gilt bis 2024 - er war zwischenzeitlich sogar Vorsitzender des Wahlausschusses. Seit 2006 ist er Mitglied der Ultras Gelsenkirchen, seit 2010 der Schalker Fan-Initiative. Im Jahr 2024 müsste er wiedergewählt werden.
Dennis Steckel (Supportersclub): Er wird "Elton" genannt und ist zweiter Vorsitzender des Supportersclubs. Seit zwei Jahrzehnten ist er Mitglied der aktiven Fanszene. Seine Amtszeit im Wahlausschuss dauert bis 2026.
Anja Wortmann (Supportersclub): Sie sitzt als Schriftführerin im Vorstand des "SC". Die 50-Jährige ist bis 2025 in den Wahlausschuss gewählt worden.
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Weitere Mitglieder - Stefan Schorlemmer: Vom Vorsitzenden ist nicht offiziell bekannt, dass er einer Gruppierung angehört. Seine Meinung zu einer Ausgliederung verkündete er in einem Fragebogen, was ihm wichtig sei: "Unbedingter Erhalt des e. V., einen Abbau der Mitgliederrechte verhindern." Schorlemmer hatte sich 2014 für den Wahlausschuss beworben, als sich Mitglieder gegen den Sponsorenvertrag mit Viagogo zur Wehr gesetzt hatten. "Ich habe gelernt", schrieb Schorlemmer, "dass Schalke es zu jeder Zeit wert ist, sich aktiv für ihn einzusetzen." Den verschiedenen Strömungen wolle er zuhören.
Schorlemmers Stellvertreter Maik Deinert schrieb 2014 über die Gründe seiner Bewerbung: "Weil es mir wichtig ist zu handeln, wenn ich der Meinung bin, dass etwas falsch läuft. Konkret sehe ich auf Vereinsseite die stetig fortschreitende Tendenz dazu den „e.V.“ nahezu propagandistisch zu beschwören, diesen aber de facto in seiner Grundidee abschaffen zu wollen."
Fazit: Die Mehrheit des achtköpfigen Wahlausschusses steht klar für den eingetragenen Verein - ob als Mitglied einer Organisation oder geäußerte Meinung als Einzelperson. Genau das ist ein Hauptvorwurf der Kritiker, die glauben, das Einstehen für den e. V. sei das entscheidende Kriterium für die Zulassung zur Aufsichtsrats-Wahl, nicht unbedingt die Eignung der Person selbst. Der Wahlausschuss sei "ein Instrument der Vereinsführung", schrieb Frank Haberzettel, vor zwei Jahren Mitglied der Gruppe "Tradition und Zukunft", die Ralf Rangnick holen wollte, bei Twitter.
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Schorlemmer weist alle Vorwürfe energisch zurück, sagte dieser Zeitung: "Der Wahlausschuss ist weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat verpflichtet, sondern ausschließlich der Mitgliederversammlung. Wir sind in unserer Zusammensetzung ein exaktes Abbild der Mehrheitsverhältnisse auf der jeweiligen Mitgliederversammlung." Haberzettel forderte deshalb, eine Online-Abstimmung zuzulassen - das ist aber aktuell in der Satzung nicht vorgesehen.
Ehrenrat (steht komplett zur Wahl) - 5 Mitglieder
Jan Henke (Supportersclub): Im Newsletter des Supportersclubs wird auch um Unterstützung für das SC-Mitglied Jan Henke gebeten.
Fazit: Auch im Ehrenrat ist der Supportersclub vertreten, allerdings sind die Rechte dieses Gremiums beschränkt.
Ergebnis des Faktenchecks
In allen Gremien spielen Mitglieder der aktiven Fanszene eine starke Rolle. Dass sie die Vereinslinie unterstützen und zum Beispiel über eine Änderung der Rechtsform nicht einmal im Ansatz diskutiert wird, ist deshalb keine Überraschung.
Und auch nicht, dass der Supportersclub seinen Mitgliedern im Newsletter eine Wiederwahl-Empfehlung gibt: "Grundsätzlich sehen wir es in diesem Jahr so, dass die zuletzt gewählten Gremien in der bisherigen Zusammensetzung eine guten Job in schwierigen Zeiten gemacht haben und würden es daher begrüßen, wenn Aufsichtsrat, Wahlausschuss und Ehrenrat in der bisherigen Besetzung weiter machen könnten und die Amtsinhaber, die jetzt zur Wahl stehen, wiedergewählt würden."
Ebenfalls auf Vereinslinie ist der Supportersclub bei den abgelehnten Satzungsanträgen: "Sie sind aus unserer Sicht zurecht abgelehnt worden und sollten auch mittels einer eventuell geforderten Abstimmung nicht zur Tagesordnung zugelassen werden."