Gelsenkirchen. Schalke-Trainer Reis spricht vor dem Duell mit Hertha BSC über die Sturmmisere, die medizinische Abteilung und die Reaktion nach Hoffenheim.
Thomas Reis steht in Loge 15 der Veltins-Arena und blickt auf eine graue Fläche. Der grüne Rasen ist gerade an die frische Luft gefahren; draußen soll er Licht bekommen, was im bewölkten Ruhrgebiet dieser Tage gar nicht so einfach ist. Eine etwas kitschige Symbolik, aber sie passt ja: Sollte Schalke 04 am Freitag (20.30 Uhr/DAZN) nicht sein Heimspiel gegen Hertha BSC gewinnen, wird es düster für den Tabellenletzten der Bundesliga. Wenn der 49 Jahre alte Trainer der Königsblauen aber eines ist, dann ist es: beharrlich. Weil Schalke noch die Klasse halten kann, sei man an einem guten Punkt, sagt Thomas Reis, stellt aber klar: „Das ist noch nicht mein Endpunkt.“
Herr Reis, die Bundesliga gibt es seit sechs Jahrzehnten. Mal angenommen, Sie wären zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen: Welches Ereignis hätten Sie gerne persönlich miterlebt?
Thomas Reis: Puh, das ist schwierig, da gibt es sicherlich einige Ereignisse, die ich gerne miterlebt hätte. Aber andersherum: Ich würde tatsächlich sehr gerne mal als Schalker da unten auflaufen (blickt in die Arena, d. Red.). Aber ob ich es noch mal auf den Rasen schaffen würde? Ich weiß nicht. (lacht)
Schalke 04: Wie Thomas Reis als Trainer von Klaus Toppmöller und Peter Neururer beeinflusst wurde
Als Spieler ging es für Sie mit dem VfL Bochum bis in den Uefa-Cup, als Trainer haben Sie Aufstiegsrennen und den Kampf um den Klassenerhalt kennengelernt. Welche Situation ist herausfordernder?
Thomas Reis: Für Trainer ist beides herausfordernd. Wer oben mitspielt, muss viele Spiele gewinnen, um dranzubleiben. Das ist auch eine Drucksituation. Wer unten steht, muss genauso seine Spiele gewinnen. Der Unterschied ist: Um aufzusteigen, muss man viele Mannschaften hinter sich lassen. Bei uns in der aktuellen Situation reichen drei Teams aus.
Sie haben die meiste Zeit als Linksverteidiger unter Trainer Klaus Toppmöller und Peter Neururer verbracht. Welchen Einfluss haben sie auf den heutigen Trainer Thomas Reis?
Thomas Reis: Peter Neururer war ein Riesen-Motivator, war locker und hat viel auf sich genommen, wenn es schwierig wurde. Klaus Toppmöller hatte eine klasse Spielidee und einen guten Umgang mit uns Spielern. Man nimmt von jedem Trainer etwas mit, deshalb beschränkt es sich nicht nur auf die beiden. Mir ist Jupp Heynckes vor allem in Erinnerung geblieben. Als ich ein junger Spieler in Frankfurt war und noch ohne jedes Training unter ihm operiert wurde, hat er mich zwei Tage später im Krankenhaus besucht. Das hat mir etwas gegeben, das ich auch heute noch umsetze: für Spieler da zu sein, wenn es wichtig ist.
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Sind die Methoden von früher noch übertragbar ins heutige Training?
Thomas Reis: Kaum noch, als Spieler bist du heute viel gläserner, es wird viel mehr Rücksicht genommen auf eine geregelte Belastungssteuerung. Man muss viel mehr Wert auf persönliche Gespräche und die passende Ansprache legen. Wenn ich heute einen Spieler vor Publikum so rund machen würde, wie es Dragoslav Stepanovic damals mit mir getan hat, gäbe es Riesen-Schlagzeilen, ich dürfte vermutlich nicht mehr als Trainer fungieren (lacht).
Ein halbes Jahr Schalke 04: Thomas Reis zieht Fazit
Sie machen das halbe Jahr jetzt bald voll. Wie würden sie Ihre bisherige Zeit bei Schalke beschreiben?
Thomas Reis: Sehr wechselhaft, was die Emotionen angeht. Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, dass wir unsere Arbeit gut machen. Mit den Spielern und meinem gesamten Trainer-Team haben wir eine Art gefunden, zusammen zu arbeiten, einander zu vertrauen. Sonst wäre es nicht möglich, jetzt noch vom Klassenerhalt reden zu können. Wir haben in den ersten acht Spielen der Rückrunde dafür gesorgt, noch mal ranzukommen, daran hätte vor Monaten keiner geglaubt. Das ist ein guter Punkt – aber noch nicht mein Endpunkt.
In den vergangenen Jahren gab es auf der Schalker Trainerbank wenig Kontinuität. Das lässt Spieler zunächst einmal unsicher und ängstlich vor Fehlern zurück. Wie hat sich das Team unter Ihnen entwickelt?
Thomas Reis: Als ich mich für Schalke entschieden habe, war klar, dass ich diesen Verein in meiner Vita stehen haben möchte – egal, in welcher Situation er gerade steckt. Natürlich waren die Spieler verunsichert, sie mussten nach den vielen Niederlagen zum Start ja auch über sich lesen, nicht bundesligatauglich zu sein. Damit habe ich sie bewusst konfrontiert. Jeder kann seine Meinung haben, aber wir können alles dafür tun, dass diese Meinung nicht richtig ist. Das liegt in der Verantwortung eines jeden Einzelnen.
Es gab zuletzt zwei Niederlagen, und Sport-Vorstand Peter Knäbel hat gesagt, man könne jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Wie sieht Ihr Plan diesbezüglich aus?
Thomas Reis: Das Gute ist, dass wir schon am Freitag wieder spielen, dass man sogar weniger Zeit hat. Wenn in Hoffenheim ein Ihlas Bebou uns dreimal wegläuft, weil er einfach diese Qualität hat, dann kann ich das akzeptieren. Ich habe aber ein Problem damit, wenn nicht alles versucht, um das zu verhindern. Das war so am Sonntag, und das können wir uns nicht erlauben. Die Mannschaft bekommt gewinnbringende und zielführende Pläne an die Hand – in Hoffenheim wurden sie nicht umgesetzt. Leute laufen zu lassen, ist nicht unsere Art. Wir waren nicht rigoros in Zweikämpfen. Dann kam eine Verunsicherung noch ins Spiel. Über 90 Minuten war das definitiv viel zu wenig.
Wie sich Schalke 04 nun nach der Hoffenheim-Pleite gegen Hertha BSC präsentieren muss
Peter Knäbel hat Ihre Konsequenz im Handeln hervorgehoben. Welche Möglichkeiten bieten sich Ihnen in so einer Situation?
Thomas Reis: Rhetorisch bin ich niemand, der taktische Elemente mit Fremdwörtern untermauert, nur um es möglichst kompliziert zu machen. Ich spreche die Fußballersprache, weil sie meine eigene ist. Aber natürlich muss ich mich da jetzt anpassen, denn so wie in der ersten Halbzeit in Hoffenheim kannst du dich nicht präsentieren. Von daher werde ich in dieser Woche schon genau hinsehen, welche Spieler im Moment für diese Phase geeignet sind. Wir müssen jetzt die richtigen Leute finden, die diesem Druck standhalten.
Ist Ihr Ton etwas rauer geworden? Sie sprachen bereits vor dem Augsburg-Spiel von einem unterirdischen Training, haben jetzt konkret Spieler nach dem 0:2 in Hoffenheim kritisiert.
Thomas Reis: Nein, ich habe Spieler nicht direkt angegriffen, sondern wurde von Journalisten nach dem Spiel direkt darauf angesprochen. Und wenn jeder gesehen hat, dass Michael Frey zu oft außen statt in der Mitte war, warum soll ich dann sagen: Nee, das war so aber nicht. Er macht das ja nicht absichtlich, um uns zu schaden. Er möchte überall sein, aber in dem Moment fehlte uns der Spieler im Zentrum. Wir schießen schon wenige Tore, wenn ich als Stürmer draußen stehe, kann ich mir nicht selbst die Flanken für Kopfbälle geben. Thomas Ouwejan hat in Hoffenheim einen ganz schlechten Tag erwischt, das kann passieren, doch schönreden muss ich es nicht. Aber ich nagele niemanden an die Wand, sondern suche das Gespräch. Wir alle müssen am Freitag eine Reaktion zeigen, wir müssen mit aller Macht die Zweikämpfe gewinnen wollen. Kann sein, dass es kein schönes Spiel wird – aber das ist mir völlig wurscht. Hertha BSC muss in jeder Situation spüren, dass für sie hier nichts zu holen sein wird.
Vorne darf dafür nicht die Null stehen. Denken Sie vorne über einen Tausch nach? Es gibt ja noch einen Altmeister und eine ganz junge Variante.
Thomas Reis: Simon Terodde ist nicht zu alt, sonst bräuchte er ja gar nicht mehr zum Training zu kommen. Und Keke Topp haben wir eingewechselt, um Eindrücke von ihm zu sammeln. Vielleicht ist er die Zukunft im Schalke-Sturm. Wir machen uns auf allen Positionen Gedanken, die Mannschaft weiß, dass ich da sehr kritisch bin. Nach dem Hoffenheim-Spiel haben nicht viele die Berechtigung, gegen Berlin einen Stammplatz einzufordern. Jeder muss sich im Training zeigen.
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Wenn der Ball zu selten im Tor landet – ist es dann eine Frage des Kopfes oder des Fußes?
Thomas Reis: Das Tor ist in der Bundesliga genauso groß wie in der 2. Bundesliga. Wir wissen schon – das ist für mich nichts Schlimmes –, dass wir weniger Qualität haben als andere Mannschaften. Aber wir haben es geschafft, durch unsere Mentalität acht Spiele in Serie nicht zu verlieren und uns heranzukämpfen. Dazu waren wir sehr nahe am Limit, es hat die Mannschaft viel Energie gekostet. In den letzten Spielen der Saison müssen wir zusehen, dass wir wieder an diese 100 Prozent herankommen.
Thomas Reis spricht über die Bedeutung von Moritz Jenz für Schalke 04
Ärgert es Sie, dass die zwei Niederlagen vor allem mit dem Fehlen von Moritz Jenz in Verbindung gebracht werden?
Thomas Reis: Nein. Natürlich war sein Ausfallen zuletzt ein Verlust, denn Spieler, die sich ein wenig in einem Tal befanden, haben sich unter anderem an ihm hochgezogen. Diese Säule ist uns in den vergangenen zwei Spielen weggebrochen – ich verlange aber, dass du das als Kollektiv auffängst. Leo Greiml hat das gegen Leverkusen gut gemacht, schade, dass er dann auch nicht mit nach Hoffenheim mitfahren konnte.
Wie direkt gehen Sie mit der medizinischen Abteilung um? Es sind viele Spieler verletzt. Gibt es da auch mal einen Dissens zwischen dem Trainer-Team und den Ärzten?
Thomas Reis: Nein. Wenn du unten stehst, wird alles sehr beäugt. Andere Mannschaften haben auch viele Verletzte. Man muss zwischen Kontakt- und Muskelverletzungen unterscheiden. Und ich finde, da hält sich bei uns die Waage. Soichiro Kozuki hat sich leider im Zweikampf verletzt, Tim Skarke im Spiel, Sepp van den Berg schon vorher, auch Jere Uronen hat sich in einem Zweikampf verletzt. Bei vielen war es nicht vorhersehbar. Hinzu kommt in unserer Situation auch eine mentale Belastung, da wird der Körper anfälliger. Aber wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir mit dem Hintern zur Wand stehen und vielleicht etwas mehr Risiko eingehen müssen. Also Spieler bringen, bei denen ein, zwei Wochen Pause vielleicht noch besser wären. Wenn wir so etwas aber machen, ist der Spieler immer involviert. Wir hatten für Hoffenheim die Hoffnung, dass Moritz Jenz spielen kann. Wenn es dann nicht klappt, ist es klar, dass die Öffentlichkeit die medizinische Abteilung hinterfragt. Intern tun wir das nicht, wir arbeiten gemeinsam daran, die Spieler schnell und vollständig fit zu bekommen. Für mich sind das keine Ausreden, ich arbeite immer mit den Spielern, die mit für die nächste Partie zur Verfügung stehen.
Sie reden da nicht gerne drüber, aber im schlimmsten Fall beginnt bei einem Abstieg in zwei Monaten die Saisonvorbereitung, dann muss für die 2. Bundesliga alles stehen. Inwieweit führen Sie da schon Gespräche?
Thomas Reis: Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass wir den Klassenerhalt schaffen. Natürlich sind wir nicht blauäugig. Wir schauen, welche Spieler für beide Fälle da sind, da bin ich in Gesprächen involviert. Wir wollen lieber den Erstliga-Fall planen.
Zur neuen Saison kommt in der Sportlichen Leitung noch jemand für die Kaderplanung hinzu. Wird da Ihre Meinung nach Personen abgefragt?
Thomas Reis: Zunächst einmal ist es eine Entscheidung von Peter Knäbel und dem gesamten Vorstand. Wenn es dann konkreter wird, sprechen wir sicher darüber. Gerade liegt für mich der Fokus aber auf dem Jetzt, das ist das Wichtigste.
Aus dem Schalker Vorstand und Aufsichtsrat war zuletzt zu vernehmen, dass eineinhalb Jahren ein Projekt begann, das in fünf bis sieben Jahren auch die Rückkehr nach Europa vorsieht. Inwieweit erschrecken Sie solche Einschätzungen?
Was Thomas Reis über die Zukunftsvisionen von Schalke 04 denkt
Thomas Reis: Das ist eine langfristige strategische Planung, die der Klub, die jedes Unternehmen braucht. Mich beschäftigt das heute nicht. Sollten wir die Liga halten, werden die Ansprüche wieder steigen, aber das ist ja auch Schalke 04. Es ist doch logisch, irgendwann dahin wieder kommen zu wollen, wo man vor ein paar Jahren war.
Ist Schalke 04 denn noch so ein großer Player?
Thomas Reis: Rund 168.000 Mitglieder sind schon eine Hausnummer. Dass man sich als Schalke 04 nicht ewig in den unteren Tabellenbereichen wiederfinden möchte, ist auch klar und aus meiner Sicht verständlich. Der Abstieg hat den Verein zurückgeworfen, das steht außer Frage. Freiburg ist so stabil, Mainz 05 ist über Jahre gewachsen, selbst der FC Augsburg kann mittlerweile Transfers tätigen wie Schalke einst. Die sind gefühlt Lichtjahre voraus. Wenn wir erreichen, was wir alle wollen, wir uns wieder in der Bundesliga etablieren, werden wir neben den strategischen auch neue kurzfristige Ziele definieren. Aber noch einmal: Mein Fokus liegt aktuell einzig und allein auf dem Klassenerhalt.
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Dazu muss zunächst einmal Hertha BSC besiegt werden. Peter Knäbel sagt: Am Freitag wird es scheppern. Was ist damit gemeint?
Thomas Reis: Wir hatten zuletzt ein schwaches Spiel, dass mit dem Kampf um den Klassenerhalt wenig zu tun hatte. Jetzt haben wir die Gelegenheit, eine Reaktion zu zeigen. Die muss kommen, die erwarte ich.
Sie sind mit Bochum aufgestiegen und haben dann die Bundesliga-Zugehörigkeit des VfL verlängert. Wäre der Klassenerhalt mit Schalke noch mal die Kirsche auf der Sahnetorte?
Thomas Reis: Es wäre eine weitere Kirsche auf der Sahnetorte. Verein und Mannschaft war von Anfang an klar, dass sich der Club nach dem Aufstieg zunächst fangen und etablieren muss. Die Ansprüche sind nicht gleich gestiegen. Vor einigen Monaten waren wir abgeschrieben – für uns wäre der Klassenerhalt wie eine Meisterschaft. Ich glaube, es würden nicht viele gerade auf uns wetten. Und das macht den Reiz aus, das motiviert mich persönlich erst recht.