Gelsenkirchen/Stuttgart. Der Ex-Nationalstürmer spricht über die “mentale Blockade“ bei Simon Terodde und das Duell seiner Ex-Klubs Schalke und Stuttgart.
Die Fußballschuhe schnürt Kevin Kuranyi nur noch zum Kicken mit seinen Söhnen. Der ehemalige Nationalstürmer (52 Länderspiele) ist inzwischen Spielerberater und Geschäftsmann. Er beschäftigt sich unter anderem mit Immobilien und Kryptowährungen. Das Herz des 40-Jährigen schlägt allerdings noch immer für den Fußball – vor allem für seine beiden Ex-Klubs VfB Stuttgart und Schalke 04, die an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) in der Bundesliga aufeinandertreffen.
Vor diesem Spiel spricht Kuranyi im WAZ-Interview über den Deadline Day, die Lage bei seinen beiden Ex-Klubs und die Probleme von Schalkes Stürmer Simon Terodde.
Herr Kuranyi, an diesem Donnerstag ist der Deadline Day. Haben Sie zu Ihrer aktiven Zeit kurz vor dem Ende des Transferfensters mal ein Angebot bekommen, das Sie zum Nachdenken gebracht hat?
Kevin Kuranyi: Tatsächlich. Als ich noch in Moskau gespielt habe, gab es mal ein Angebot von Bayer Leverkusen. Die Gespräche liefen schon, doch dann gab es Komplikationen und der Transfer ist ins Wasser gefallen.
Gab es in Ihrer Karriere Angebote, die Sie abgelehnt und dies später bereut haben?
Kuranyi: Bereuen ist ein großes Wort. Ich war immer jemand, der seine Schritte wohlüberlegt gemacht hat. Ich bereue keinen meiner Wechsel. Aber natürlich hatte ich reizvolle Angebote von Juventus Turin oder dem FC Liverpool, bevor ich nach Moskau gewechselt bin. Es wäre sicher auch toll gewesen, für diese Klubs zu spielen.
Ihre Ex-Klubs Schalke und Stuttgart sind auf dem Transfermarkt noch sehr aktiv. Der VfB Stuttgart könnte etwa in Sasa Kalajdzic und Borna Sosa gleich zwei Top-Spieler verlieren.
Kuranyi: Das wäre für den VfB sehr schmerzhaft. Beide haben den Stuttgartern in den vergangenen Monaten sehr viele Punkte beschert. Die Flanken von Sosa auf Kalajdzic waren vielleicht die beste Waffe im Spiel des VfB. Aber die Verantwortlichen werden auf die Abgänge vorbereitet sein. Es wird sicher noch ein Top-Stürmer kommen, um die Lücke zu füllen, die Kalajdzic hinterlässt.
Kalajdzic zieht es zu den Wolverhampton Wanderers. Passt er in die Premier League?
Kuranyi: Es ist ein gewagter Schritt. Immer wieder zieht es Spieler aus der Bundesliga nach England und nicht jeder kann sich dort behaupten. Bei Sasa bin ich aber optimistisch. Mit seiner Spielweise passt er gut in die Premier League. Er wird zwar ein paar Monate brauchen, um sich an das Tempo und die Physis zu gewöhnen – ähnlich wie Joelinton nach seinem Wechsel zu Newcastle –, aber Kalajdzic wird auch bei Wolverhampton seine Tore machen. Ich kenne ihn ganz gut. Er bringt eine gute Größe mit, hat einen tollen Torriecher.
Zuletzt in Köln hatte sich Kalajdzic wegen des bevorstehenden Wechsels nicht bereit gefühlt, zu spielen. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?
Kuranyi: Es ist ein ganz schmaler Grat. Natürlich war er noch Spieler des VfB Stuttgart und sollte seinem Team eigentlich helfen. Doch gerade in so einem Spiel ist die Verletzungsgefahr groß – und eine Verletzung wäre für Sasa und den VfB der Worst Case. Letztlich muss man seine Entscheidung akzeptieren. Er hat sehr viel für den VfB getan und mit seinen Toren dafür gesorgt, dass der Klub in der Bundesliga spielt.
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Ist der VfB ein Abstiegskandidat?
Kuranyi: Ich denke, die Stuttgarter werden es im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut machen. In Köln hat es trotz Unterzahl noch zu einem Punkt gereicht, schon das Heimspiel gegen Schalke wird richtungsweisend. Bald wird sich zeigen, ob der VfB eher in Richtung Tabellenmittelfeld geht oder unten reinrutscht. Helfen würde Stuttgart auch, dass die Neuzugänge sofort einschlagen.
Wenn man über Abstiegskandidaten spricht, kommt man schnell auf Schalke 04. Dass der Klub vor einer schweren Saison steht, ist spätestens seit dem 1:6 gegen Union Berlin jedem Fan klar.
Kuranyi: Ich mache mir Sorgen um Schalke. Der Klub hat große finanzielle Probleme und musste auch in diesem Sommer Top-Spieler ziehen lassen. Jetzt muss Schalke mit diesem Kader irgendwie versuchen, in der Bundesliga zu bleiben. Es wird eine ganz harte Saison, aber ich wünsche mir, dass sie es mit harter Arbeit und dem nötigen Glück schaffen, die Klasse zu halten.
Ist der Schalker Kader gut genug?
Kuranyi: Schwer zu sagen. Andere Mannschaften haben sicher bessere Kader als die Schalker. Statt auf die individuelle Qualität wird es bei Schalke im Abstiegskampf auf Kampfgeist und mannschaftliche Geschlossenheit ankommen.
Viel gesprochen wird auf Schalke über Stürmer Simon Terodde. Mit 30 Toren hat er die Königsblauen zurück in die Bundesliga geschossen. Zum Saisonstart hatte er aber Probleme.
Kuranyi: Simon Terodde ist ein Phänomen. Ich bin ein riesiger Fan und mag ihn auch als Typen total gern. Die 2. Liga hat er in den vergangenen Jahren nahezu kaputt geschossen, aber kaum macht er einen Schritt in der Bundesliga geht alles schief. An den ersten Spieltagen war Terodde wie ein anderer Spieler – das war nicht der eiskalte Torjäger aus der Vorsaison. Als hätte er eine mentale Blockade, das ist unerklärlich. Eigentlich bin ich sicher, dass er gut genug für die Bundesliga ist, nur leider kann er das noch nicht zeigen. Für Schalke ist das gefährlich, denn sie brauchen seine Tore, um in der Liga zu bleiben.
Auch Sie waren ein Top-Stürmer. Was haben Sie in Ihrer aktiven Zeit gemacht, wenn Sie vor dem Tor einen Negativ-Lauf hatten?
Kuranyi: Ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich über Wochen nicht getroffen habe und die Kritik lauter wurde. Entscheidend ist es, trotzdem ruhig zu bleiben und an seine Stärken zu glauben. Selbstvertrauen ist gerade für einen Stürmer extrem wichtig. Sich das zurückzuholen, ist aber harte Arbeit.
An diesem Samstag kommt es zum Duell Ihrer beiden Ex-Vereine Stuttgart und Schalke. Auch Sie standen in diesem Duell häufig auf dem Rasen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Partien?
Kuranyi: Für mich lief es in den Spielen häufig ganz gut. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich Schalke im Trikot des VfB mal mit drei Toren abgeschossen habe. (lacht) 2005 müsste das gewesen sein, kurz bevor ich dann zu Schalke gewechselt bin. Das war ein besonderes Spiel für mich. Doch auch mit Schalke war ich gegen den VfB erfolgreich.
Welche Spiele haben Sie da im Kopf?
Kuranyi: Unter Trainer Felix Magath haben wir 2009/10 zweimal mit 2:1 gegen den VfB gewonnen – und mir ist in beiden Spielen der Siegtreffer gelungen. Diese wichtigen Tore gegen den Ex-Klub vergisst man nicht.
Wer gewinnt am Samstag?
Kuranyi: Beide Vereine liegen mir am Herzen. Für mich wäre ein Unentschieden okay. Noch wichtiger als dieses eine Spiel ist aber, dass Schalke und der VfB am Saisonende die Klasse halten. Beide gehören in die Bundesliga.