Gelsenkirchen. Im Interview: Schalkes neuer Vorstandsvorsitzender Bernd Schröder über den Sponsorenwechsel, den Trainerwechsel und die finanzielle Lage.
Es sind schwierige Zeiten für den FC Schalke 04, es kam plötzlich alles auf einmal: die Trennung vom langjährigen Hauptsponsor Gazprom, das Suchen und Finden eines Nachfolgers – und dann der sportliche Rückschlag, der einen Trainerwechsel zur Folge hatte. Bernd Schröder, seit 1. Januar Vorstandsvorsitzender des Zweitligisten, war auf Anhieb gefordert. Dennoch gibt sich der 55-Jährige im Interview zuversichtlich.
Sie sind seit Jahresanfang Vorstands-Chef auf Schalke. Hand aufs Herz, Herr Schröder: Wie oft haben Sie in den vergangenen Tagen gedacht ‚Was habe ich mir da bloß angetan‘?
Bernd Schröder: (lacht) Das war eine steile Lernkurve. Ein Crashkurs in Sachen Schalke 04. Insofern hatte das mit Blick auf S04 auch etwas Positives, weil man gerade in einer so herausfordernden Situation viel schneller versteht, wie Mechanismen auf Schalke funktionieren, man auch viel schneller sehen kann, wie Teams funktionieren, ob das Zusammenspiel im Vorstand, mit dem Aufsichtsrat, mit der Management-Ebene klappt.
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Und? Sind Sie zufrieden?
Schröder: Es hat wirklich großartig funktioniert, ein Kompliment an alle, die an dem Prozess mitgewirkt haben. Ich habe meine Aufgabe also zu keiner Sekunde verflucht. Es war mir vorher klar, dass Schalke eine Herausforderung ist. Ich hatte aber immer das Gefühl, das diese zu mir passt – und das hat sich jetzt auch gezeigt.
Nach der Trennung von Hauptsponsor Gazprom und der Verkündung der neuen Partnerschaft mit Vivawest gab es viel Zustimmung und Zufriedenheit. Aber dann kam noch am selben Tag der Sport dazwischen, die 3:4-Heimniederlage gegen Rostock, die zur Trennung von Trainer Dimitrios Grammozis führte. Diese Achterbahnfahrt der Gefühle hätten Sie sich bestimmt gerne erspart.
Schröder: Klares ja, aber als Verantwortungsträger müssen wir auch mit solchen Situationen zurechtkommen. Die sportliche Leitung ist am Sonntag zu der Erkenntnis gekommen, dass die Mannschaft einen neuen Impuls braucht, um weiter im Kampf um die Spitzenplätze mitmischen zu können. Diesen Kurs unterstütze ich vollumfänglich. Wir wollen die Chance, die Rückkehr in die Bundesliga bereits in dieser Saison zu schaffen, mit aller Kraft vorantreiben.
Sind Sie denn grundsätzlich ein mutiger Mensch? Den brauchte man ja allein für die Entscheidung, bei Schalke 04 zu beginnen – es gab sowohl sportlich als auch finanziell deutlich bessere Zeiten.
Schröder: Ja, ich glaube schon, dass ich ein mutiger Mensch bin, sonst hätte ich den Schritt vielleicht nicht gemacht. Für mich war aber vor allem die Frage wichtig: Habe ich Spaß daran, Schalke 04 zu führen? Und ich habe festgestellt: Ja, ich habe große Lust dazu.
Aber dann kam plötzlich der Überfall Russlands auf die Ukraine und damit für Schalke die Zuspitzung des Gazprom-Problems, das ja schon seit einiger Zeit im Raum stand. Wussten Sie sofort, was das für Schalke heißen muss? Haben Sie sofort gehandelt?
Schröder: Wir hatten sehr früh damit begonnen, uns im Vorstand Gedanken über die Situation und mögliche Szenarien zu machen. Als klar war, dass es eskalieren könnte, haben wir die ersten gedanklichen Pläne entworfen. An dem Tag, an dem dann der russische Einmarsch in die Ukraine stattfand, war uns im Vorstand bereits ganz klar, was jetzt passieren musste. Wir waren vorbereitet.
Als Sie Anfang Februar offiziell vorgestellt wurden, hatten Sie auf die Frage nach Gazprom noch ausweichend geantwortet. Hatten Sie da noch nicht gedacht, dass dieses Problem so konkret auf Sie zukommen könnte?
Schröder: Ich will ehrlich mit Ihnen sein: Ich hatte das falsch eingeschätzt, ich hätte nicht gedacht, dass Putin so aggressiv vorgehen würde. Aber ich war mit dieser Einschätzung nicht allein auf der Welt.
Und wie ist der Stand beim Gazprom-Vertrag? Muss es noch Rückzahlungen geben?
Schröder: Wie immer werde ich zu Vertragsdetails nichts bekanntgeben. Wir haben wegen der langjährigen Partnerschaft versucht, ein Agreement hinzubekommen, die Gesprächskanäle sind unsererseits weiterhin offen. Die Menschen, mit denen wir bei Gazprom Germania zusammengearbeitet haben, sind ja keine bösen Menschen. Aber Sie können sich sicher vorstellen, dass bei Gazprom gerade mehrere Themen auf der Agenda stehen. Das kann ich auch nachvollziehen: Für mich ist Schalke 04 das Wichtigste, für Gazprom nicht.
Mit dieser Trennung haben Sie vielen Schalke-Fans einen großen Gefallen getan.
Schröder: Das ist keine Kategorie, in der ich denke, dann müsste ich mich ja immer fragen: Wo bekomme ich den meisten Applaus? Sehr wohl weiß ich natürlich, dass das so ist. Ich habe ja die Reaktionen mitbekommen. Das rote Ausweichtrikot ohne Gazprom, mit dem wir in Karlsruhe gespielt haben, war ja sofort ausverkauft.
Es musste zügig ein neuer Hauptsponsor gefunden werden. Wie dürfen wir uns das vorstellen? Wurden auf die Schnelle alle denkbaren Partner angerufen? Erst die ganz großen Unternehmen? Erst die aus der Region?
Schröder: Nein, so war es nicht. Ich hatte vorher das eine oder andere Telefonat geführt, bei dem ich gefragt habe, ob es Gesprächsbereitschaft gibt, sollte die Partnerschaft mit Gazprom nicht mehr fortgesetzt werden können. Und dafür muss man nicht in ganz Deutschland herumtelefonieren. In meinen Augen gibt es ein paar natürliche Partner, die zu Schalke passen, und auf die haben sich diese Telefonate beschränkt.
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Und warum passt Vivawest so gut zu Schalke 04?
Schröder: Weil es eine authentische Partnerschaft ist. Schalke hat neben der Aufgabe, guten Fußball zu spielen, auch die Aufgabe, die Region hier stark zu machen. Und das gilt für Vivawest auch. Wir beide sind regionale Player für das Ruhrgebiet. Beide haben Wurzeln im Bergbau, die ganze Geschichte ist sensationell.
Wie lange wird der neue Vertrag laufen?
Schröder: Das geben wir nicht bekannt.
Vivawest hat betont, dass es sich nicht um eine langfristige Partnerschaft handelt, sondern um eine befristete Unterstützung eines Nachbarn. Heißt das: Sie haben nun etwas Zeit gewonnen und suchen bereits den nächsten Hauptsponsor?
Schröder: Das ist nicht der Blick, mit dem ich auf die Partnerschaft schaue. Wir haben mit Vivawest einen wunderbaren Unterstützer gefunden, der aus meiner Sicht perfekt zu Schalke passt. Jetzt werden wir diese Partnerschaft gemeinsam mit Leben füllen.
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Gazprom hat die höchste Summe aller Zweitliga-Hauptsponsoren gezahlt. Müssen Sie nun kreativ sein, um die Lücke zu füllen?
Schröder: Nicht kreativ, sondern flexibel. Bevor wir gehandelt haben, hatten wir die verschiedenen finanziellen Szenarien schon einmal durchgespielt. Wir haben uns gefragt, ob wir das stemmen können, wenn wir einen Sponsor mit dieser oder jener Summe finden, und die Antwort war immer: ja. Die Frage war nur: Wie groß ist die Lücke, und womit können wir die schließen?
Und wie wird die Lücke nun geschlossen?
Schröder: Es gibt mehrere Unternehmen, die jetzt Lust auf ein Sponsoring mit Schalke 04 haben. Es ist noch nichts unterschrieben, aber wir sind in sehr guten Gesprächen. Ich kann Ihnen sagen, dass es einige Angebote gab, nachdem wir bekanntgegeben hatten, dass die Partnerschaft mit Gazprom beendet wird. Die Anrufe kamen von Unternehmen aus ganz Deutschland. Das zeigt auch, was für eine große Strahlkraft Schalke 04 hat. Das gehörte auch zu meinem Crashkurs: Schon nach acht Wochen zu sehen, wie stark Schalke tatsächlich ist. Auch bestehende Sponsoren haben gesagt: Wir verlängern. Dafür sind wir sehr dankbar.
Rechnen Sie damit, dass der Umsatz im Merchandising merklich steigen wird, weil jetzt Gazprom nicht mehr auf den Produkten steht, vor allem auf den Trikots?
Schröder: Das rote Trikot vom Spiel in Karlsruhe lässt diese Vermutung zu. Auch wenn das Sponsoring deutlich wichtiger ist: Mit Merchandising kann man natürlich einen Deckungsbeitrag erzielen.
Ein willkommener Nebeneffekt.
Schröder: Absolut. Und er ist auch nicht zu unterschätzen. Solidarität ist ja eine Urkraft von Schalke. Sehr oft habe ich in den vergangenen Tagen den Satz ‚Ich bin stolz auf Schalke‘ gehört. Und ich habe persönliche E-Mails von Fans mit der Frage bekommen: Wie kann ich den Verein unterstützen? Auch kleine Geschäfte waren dabei, die uns etwas angeboten haben. Ich war überrascht davon, wie viel da kam. Den Fans antworte ich: Dann kauft unser Trikot, das hilft uns. Und wer ein bisschen mehr Geld hat, der hat vielleicht Lust, unsere Anleihe zu zeichnen, die wir in Kürze aufzulegen gedenken.
Es gab ein Angebot des langjährigen Aufsichtsrats-Chefs Clemens Tönnies. Er wollte mit einer seiner Tochterfirmen aufs Trikot gehen und die Gazprom-Beiträge ausgleichen, bis Schalke besonders zahlungskräftigen Sponsor gefunden hätte.
Schröder: Ich kann bestätigen, dass ich mit Clemens Tönnies telefoniert habe, und dass es ein Angebot von ihm zur Unterstützung gab – was ich grundsätzlich großartig finde. Er ist ja immer noch Partner von Schalke 04 und hat Schalke definitiv im Herzen. Alles andere bleibt aber vertraulich zwischen Clemens Tönnies und mir.
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Finanzchefin Christina Rühl-Hamers hat vor einem halben Jahr in einem Interview mit unserer Zeitung verschiedene Pläne erklärt, wie Schalke die Zukunft bewältigen will – auch für den aktuell nicht unwahrscheinlichen Fall, dass der erhoffte Wiederaufstieg verpasst wird. Ihre Berechnungen fußten auf den Gazprom-Zahlungen. Wackelt das Gebilde jetzt wieder? Droht bei der Lizenzierung neue Gefahr?
Schröder: Nein. Nullkommanull. Bevor wir die Entscheidung der Trennung getroffen haben, haben wir alle Szenarien bedacht. Die finanzielle Handlungsfähigkeit von Schalke 04 bleibt definitiv erhalten.
Also wird auch nichts vom Budget von Sportdirektor Rouven Schröder für die Kaderplanung abgezogen?
Schröder: Weil wir eine Reihe von Angeboten haben, ist es für mich noch gar nicht gesetzt, dass wir ohne Gazprom eine andere Planung machen müssen.
Sie haben auch mit Hans-Joachim Watzke gesprochen. Er hat in seiner neuen Rolle als Aufsichtsrats-Vorsitzender der DFL mögliche Unterstützung der anderen Klubs in Aussicht gestellt. Er ist aber auch der BVB-Chef. Deuten Sie das so, dass das Ruhrgebiet in schweren Zeiten zusammenhält?
Schröder: Unabhängig von seinen Funktionen war es ihm wichtig zu zeigen: Ich bin bereit zur Unterstützung. Das finde ich gut und hat mich gefreut. Das Gleiche würde Schalke 04 ja auch machen. Es stimmt, in solchen Zeiten steht das Ruhrgebiet zusammen, jenseits jeder Rivalität. Das hat es in der Geschichte ja auch schon andersherum gegeben.
Aber Sie werden keine Unterstützung anderer Vereine benötigen?
Schröder: Stand heute – und ohne zu wissen, was die nächsten Monate uns noch bringen, bin ich mir sicher, wird Schalke es aus eigener Kraft schaffen wird. Was uns dabei hilft: Wir haben vor einigen Wochen einen Bescheid erhalten, dass wir für die pandemiebedingten Umsatzverluste eine sogenannte Überbrückungshilfe bekommen. Damit sind wir in der 1. und 2. Bundesliga übrigens kein Einzelfall. Es steht noch eine Abschlussprüfung aus, aber wir sind zuversichtlich, dass es ein mittlerer siebenstelliger Betrag sein wird, der bislang nicht in unserer Planung eingepreist war. Zur Einordnung: Unsere unverschuldeten Umsatzverluste durch Corona nähern sich der Marke von 100 Millionen Euro.
Sie selbst hatten ja vor, sich zunächst Zeit und Muße zu nehmen, um alle Leute im Verein und im Umfeld des Vereins kennenzulernen. Hinken Sie Ihrem Zeitplan jetzt sehr hinterher?
Schröder: Ich habe trotzdem alle Termine durchgezogen. Ich war gerade erst bei einem Partner im Münsterland, wir hatten auch ein Treffen mit der Schalker Fan-Initiative. Insgesamt erkenne ich, dass es vorwärts geht. Auf die Vergangenheit schaue ich nur, um sie zu verstehen. Ich bin hier, um die Zukunft zu gestalten. Und ein Verein ist am stärksten, wenn er vereint ist.
Aber hängt bei all den positiven Signalen eine Aufbruchstimmung am Ende nicht vor allem vom sportlichen Erfolg ab? Nach dem Rückschlag gegen Rostock sind die Aufstiegsplätze sechs Punkte entfernt, das lässt gerade wenig Raum für Optimismus.
Schröder: Rouven Schröder hat das am Dienstag gut auf den Punkt gebracht: Wenn alle sagen, dass Schalke keine Chance mehr hat, motiviert uns das alle umso mehr. Außerdem ändert dies nichts daran, dass wir die mittelfristigen Planungen vorantreiben. Fortschritte im Kaderwertmanagement, die Anleihe 2022, eine neue Stufe in der Kommunikation mit unseren Mitgliedern und eine verstärkte Zusammenarbeit mit unserer Stadt und Region – wir als Vorstand haben viele Themen auf dem Zettel. Ich bin total optimistisch, dass Schalke eine erfolgreiche Zukunft haben wird.