Gelsenkirchen. Im ausführlichen Interview zieht Schalkes Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers erleichtert Bilanz. Die DFL-Auflagen seien erfüllt worden.
Für den FC Schalke 04 ist dieser Mittwoch ein wichtiger Tag: Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hatte dem wirtschaftlich angeschlagenen Bundesliga-Absteiger im Lizenzierungsverfahren Auflagen erteilt – bis zu diesem Datum mussten die Unterlagen eingereicht werden, die belegen, dass Schalke die Saison finanziell überstehen wird. Ein schwerer Job für Finanzchefin Christina Rühl-Hamers (45), die fast genau ein Jahr im Amt ist.
Frau Rühl-Hamers, Finanzchefin bei Schalke 04 zu sein, ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, oder?
Christina Rühl-Hamers: Diese Frage verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Bei aller Verantwortung und allen Herausforderungen macht mir der Job einfach richtig Spaß. Bei Schalke 04 arbeiten zu dürfen, bei einem Klub, der so eine Wucht und Kraft hat: Das ist einfach nur toll, das ehrt mich. Dass man auch Phasen hat, die nicht einfach sind, bringt der Job mit sich.
Spaß ist die eine Seite – aber Sie sind in der denkbar schwierigsten Zeit eingestiegen.
Rühl-Hamers: Natürlich ist das herausfordernd. Aber der Reiz liegt auch darin, das schaffen zu können.
Wichtig in dieser schwierigen Zeit war die gerade abgelaufene Transferperiode mit 15 Zu- und 30 Abgängen. Wie oft hat Sportdirektor Rouven Schröder Sie denn angerufen?
Rühl-Hamers: Wir haben häufig miteinander telefoniert. Wichtig war, dass wir bereits vor der Transferperiode einen Prozess entwickelt hatten, durch den die Abstimmung zwischen Sport und Finanzen ganz natürlich ablaufen konnte. Ich bin öfter gefragt worden: Musstest du oft Nein sagen? Das ist nicht die Rolle der Finanzabteilung. Sondern in den bestehenden Rahmenbedingungen gemeinsam Lösungen zu finden. Wenn man den Prozess so strukturiert, dass klar ist, was geht und was nicht geht, braucht man nicht Nein zu sagen.
Da Sie so viel geändert haben: Ist es ein Vorteil, dass Sie schon länger da sind und wissen, was vorher nicht funktioniert hat?
Rühl-Hamers: Ich konnte in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen sammeln, so dass für mich ein ganz klares Bild entstanden ist, wie die jetzige Situation – Corona, Abstieg, Kader-Umbau – funktionieren kann. Anfang Dezember 2020 haben wir damit begonnen, uns mit dem Zweitliga-Fall zu beschäftigen. Wir haben völlig unabhängig von handelnden Personen überlegt, welche Prozesse wir benötigen, damit wir durch eine zu erwartend schwierige Sommer-Transferphase 2021 kommen. Wir brauchten ein Handlungsszenario, um zu wissen, zu welchem Zeitpunkt wir was geschafft haben müssen, damit wir die Herausforderungen des Sommers erfolgreich bewältigen können. So ist die Idee entstanden, in zwei Töpfen zu denken und damit den neuen Zweitliga-Kader vom bestehenden Vertragsbestand zu trennen. So war es möglich, trotz der kurzen Zeit bis zum Trainingsstart schnell eine erste Elf für die neue Saison zu präsentieren, um die sportliche Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren.
Kein Modell ohne Risiko.
Christina Rühl-Hamers - seit 2010 bei Schalke 04
Seit dem 1. Oktober 2020 ist die 45-jährige Christina Rühl-Hamers Vorständin für Finanzen, Personal und Recht bei Schalke 04. Zuvor arbeitete die Diplom-Kauffrau, Steuerberaterin und ausgebildete Wirtschaftsprüferin seit April 2010 als Direktorin für Finanzen und Personal unter Vorstand Peter Peters bei S04.
In ihrer aktiven Fußball-Karriere stieg sie mit der SG Hillen in die Bundesliga auf, war Junioren-Nationalspielerin. Sie wohnt mit ihrer Familie in Recklinghausen.
Zunächst einmal hat es uns handlungsfähig gemacht. Wir hatten in Topf eins ein festes Budget, mit dem es aus unserer Sicht möglich war, ein Team zusammenstellen können, das in der 2. Bundesliga oben mitspielen kann. In einem Musterstellenplan haben wir jeder Position ein Budget zugeordnet. Das klingt banal, gibt aber genau die Struktur und damit Rahmenbedingungen, die es dem Sport einfacher machten: Sie wussten genau, was möglich ist und was nicht. Eines ist an dieser Stelle noch ganz wichtig: Dass das Zweitliga-Budget völlig unabhängig von dem war, was mit den Spielern aus dem Topf zwei passierte. Für die mussten Sport und Finanzen Lösungen finden. Und damit schließt sich der Kreis zum Lizenzierungsverfahren: Am 15. März 2021, als wir die DFL-Unterlagen für die aktuelle Saison abgeben mussten, stand gar nicht fest, in welcher Liga wir spielen. Oder wie sich der Transfermarkt entwickelt. Viele der Überlegungen, die wir hatten, waren noch nicht in die Tat umgesetzt. Im Topf zwei steckten also Risiken, für die wir Handlungsoptionen benötigten – zum Beispiel der Verkauf der Esport-Lizenz, Refinanzierung der Anleihe, Kostensenkungen. Uns war allein beim Blick auf die Risiken, die im Kader-Umbau steckten, von vornherein klar, dass die DFL im Zweitliga-Szenario eine Liquiditätslücke berechnen wird und wir Auflagen bekommen.
Was waren die Auflagen, die die DFL Ihnen gestellt hat?
Rühl-Hamers: In unserem Fall hat die DFL gesagt: Aus unserer Sicht fehlen finanzielle Mittel, damit die Saison durchfinanziert ist. Weist uns diese bis zum 15. September nach.
Das ist aus Ihrer Sicht gelungen?
Rühl-Hamers: Die Unterlagen, die wir eingereicht haben, werden dazu führen, dass wir die Auflagen erfüllen.
Es mussten keine Transfer-Erlöse fest generiert oder ein bestimmter Personal-Etat eingehalten werden?
Rühl-Hamers: Nein.
In der Öffentlichkeit wurde über das Schreckensszenario Sechs-Punkte-Abzug diskutiert. Können Sie das ausschließen?
Rühl-Hamers: Die Konsequenz des Punktabzuges ist nur bei Nicht-Erfüllung der Auflagen möglich. Peter Knäbel und ich haben schon vor Monaten gesagt, dass wir die Auflagen erfüllen werden, weil wir vorbereitet waren. Ich hatte oft den Eindruck, dass das nicht jeder geglaubt hat.
Ist es Ihnen als Finanzchefin egal, wenn ein Spieler verkauft wird, den man eigentlich ganz gut gebrauchen könnte, der als Typ zu Schalke passen würde – zum Beispiel Matthew Hoppe?
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Rühl-Hamers: Emotionen dürfen keine Rolle spielen in diesem Job. Dass man in sich ein Fan-Herz hat, das ist doch klar. Aber das muss man bei diesen Themen ausschalten. Gerade das Thema Transfers ist eine Abwägungssache. Wir haben ganz viele Ziele erreicht, darauf bin ich wirklich stolz und dem gesamten Team dankbar. Wir haben aber nicht die Höhe an Transfer-Erlösen erzielt, die wir uns vorgestellt hatten. Durch die Corona-Pandemie war es ein Stück weit erwartbar, dass die Transferperiode holprig werden kann.
Es geht vor allem um Ozan Kabak und Amine Harit?
Rühl-Hamers: Ja, bei diesen Spielern erwartet man eigentlich hohe Erlöse. Es ist für mich aber auch ein Erfolg, dass wir sie noch ausgeliehen haben. Wir sind nicht auf Angebote eingegangen, die weit weg vom Marktwert lagen und noch höhere Verluste bedeutet hätten. Unser großes Ziel war es, dass wir und auch die Fans zum Trainingsstart Mitte Juni eine Idee haben, wie die erste Elf aussehen könnte. Aus meiner Perspektive hat das ganz toll geklappt. Peter Knäbel und ich wollten den Fokus zudem nicht nur auf die aktuelle Saison richten, sondern auch auf die nächste und übernächste.
Wenn Sie jetzt schon an diese nächste Saison denken – planen Sie schon zweigleisig für die 1. und 2. Bundesliga?
Rühl-Hamers: Ja, wir planen natürlich in unterschiedlichen Szenarien.
Früher gab es auf Schalke keine langfristigen Planungen, sondern die Wetten auf die Zukunft. Daraus müsste der Verein gelernt haben…
Rühl-Hamers: Sie reflektieren auf das hohe Gehaltsniveau im Vertragsbestand. Wir dürfen dabei eines nicht aus den Augen lassen: Es ist viel einfacher, jemanden für die 2. Liga zu holen, dem man später womöglich ein Erstliga-Gehalt gibt, als andersherum.
Wie ist das gemeint?
Rühl-Hamers: Es ist nicht einfach, das Szenario 2. Liga vorauszudenken, wenn man nicht ein Klub ist, der sich sowieso dauerhaft in der unteren Tabellenregion bewegt. Der Unterschied im Gehaltsniveau zwischen einem Klub in der 2. Bundesliga und einem Erstligisten, der internationale Ambitionen hat, ist sehr hoch – beim Vertragsabschluss hätte man sich zwar auf ein reduziertes Gehalt für die 2. Liga einigen können. Dies wäre im Abstiegsfall jedoch noch immer viel zu hoch gewesen.
Können Sie verstehen, dass sich der eine oder andere gefragt hat, wie Schalke es schaffen kann, die Lücke bis zum 15. September zu schließen?
Rühl-Hamers: Wir können stolz darauf sein, dass wir für den Moment eine gewisse wirtschaftliche Stabilität erreicht haben. Ich sehe wieder Licht am Ende des Tunnels. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass alle Hausaufgaben für die kommenden Monate und Jahre geschafft sind. Wir brauchen mindestens zwei, drei Saisons, um diese Herkulesaufgabe abzuschließen. Ende Oktober, unter Berücksichtigung der Effekte aus dem Transferfenster, überprüft die DFL im zweiten Teil des Lizenzierungsverfahrens bei allen Klubs erneut die Liquidität für die laufende Spielzeit. Und im März 2022 beginnt das Lizenzierungsverfahren für die Saison 2022/23.
Da tauchen dann auch Kabak und Harit wieder auf.
Rühl-Hamers: Ja, denn die DFL weiß ja nicht, was mit ihnen passiert. Die DFL sagt am 15. März 2022, wenn wir die Unterlagen abgeben müssen: Die Spieler sind ab 1. Juli wieder auf eurem Gehaltszettel. Die haben einen Vertrag. Deshalb nehmen wir die in unsere Liquiditätsberechnung mit auf. Und es ist jetzt schon klar: Auch für die kommenden Saison erwarten wir Stand heute eine Auflage im Lizenzierungsverfahren.
Können Sie genau beziffern, auf welche Summe der Personal-Etat gesunken ist?
Rühl-Hamers: Ich kann verstehen, dass Sie Zahlen hören wollen. Aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit würde ich ungern konkrete Zahlen nennen. In den vergangenen Jahren lag der Personal-Aufwand der ersten sechs Teams der 2. Bundesliga laut DFL-Wirtschaftsreport bei etwa 20 Millionen Euro. Perspektivisch ist der Aufstieg das Ziel, deshalb wollen wir ein wettbewerbsfähiges Budget zur Verfügung stellen.
Mehr Fans im Stadion würden höhere Einnahmen bedeuten. Schmerzt es sehr, dass die Zuschauerzahl bei 25.000 gedeckelt ist?
Rühl-Hamers: Es tut auf zwei Ebenen weh. Auch wenn man im Stadion ist und denkt: Was können 25.000 doch für einen Lärm machen, fehlt einem die Wucht, die die Fans haben, wenn das Stadion ganz voll ist. Finanziell schreiben wir positive Zahlen, wenn 25.000 drin sind. Aber wir nehmen bei weitem nicht so viel ein wie bei einem vollen Stadion. Wir in Deutschland sind sehr restriktiv, es gibt aktuell nur zwei weitere Länder in Europa ohne Vollauslastung. Wir halten uns an die von der Politik herausgegebenen Verordnungen, haben eine gute Zusammenarbeit mit Ordnungs- und Gesundheitsamt, aus meiner Sicht kann man nun über den nächsten Schritt nachdenken.
Es gibt Stimmen, die sagen: Lasst uns 2G zum Maßstab nehmen und das Stadion füllen. Wie stehen Sie dazu?
Rühl-Hamers: Die Verordnungslage lässt das von Ihnen skizzierte Szenario nicht zu, deshalb ist es müßig, sich eigene Modelle auszudenken.
In diesem Jahr mussten Sie eine Unternehmensanleihe in Höhe von etwa 16 Millionen Euro zurückzahlen und haben dies mit einer neuen Anleihe teilweise refinanziert. 2023 werden 34,107 Millionen Euro einer weiteren Anleihe fällig. Bereitet Ihnen das Bauchschmerzen?
Rühl-Hamers: Das sind alles Herausforderungen, die auf den ersten Blick für jemanden, der nicht im Detail im Thema ist, groß sind. Das ist aber nichts, was mich beunruhigt – dieses Thema fällt ja nicht vom Himmel. Die anstehenden Herausforderungen sind in Summe sehr komplex und hängen von noch vielen unsicheren Parametern ab, die in Zukunft passieren könnten – wie zum Beispiel Transfer-Erlöse für Kabak und Harit. Wir bereiten uns auf mehrere Szenarien vor.
Mit der Änderung an der Spitze des Aufsichtsrats hat es eine kleine Änderung in der Strategie zu einer möglichen Änderung der Rechtsform gegeben. Spüren Sie das auch?
Rühl-Hamers: Das Thema steht aktuell nicht auf der Agenda.
Könnte es ein Thema werden, sobald ein dritter Vorstand da ist?
Rühl-Hamers: Das kann ich Stand heute nicht abschätzen.
Ist es nötig, dass ein dritter Vorstand sogar Vorstandsvorsitzender wird, wie es der Aufsichtsrat plant?
Rühl-Hamers: Die Besetzung von Vorständen ist Sache des Aufsichtsrats. Ich bin mir sicher, dass am Ende Entscheidungen getroffen werden, die die bestmöglichen für Schalke sind. Wir werden damit ganz professionell und konstruktiv umgehen.
Im Januar 2020 hat der ehemalige Marketingvorstand Alexander Jobst dieser Zeitung noch gesagt: „Schalke ist in seiner Organisation und Gesamtstruktur als europäischer Klub aufgestellt.“ Wie ist das ein Jahr und acht Monate später?
Rühl-Hamers: Natürlich ist Schalke in den Strukturen nach vielen Jahren im internationalen Geschäft so aufgestellt, wie das Alexander Jobst beschrieben hat. Aber in diesem Moment sind wir Zweitligist. Von den internationalen Plätzen in die Zweitliga-Welt – das ist ein großer Unterschied. Das merkt man, wenn man in die kleineren Stadien fährt, mit anderen Geschäftsführern spricht. Die sind ganz anders aufgestellt.
Drohen deshalb auch beim Personal, das nicht Fußball spielt, harte Einschnitte?
Rühl-Hamers: Wenn wir über mehrere Jahre nicht in der ersten Liga spielen, muss man Strukturen schaffen, dass die Ausgaben entsprechend der Einnahmen aufgestellt sind. Dazu gehört viel: Kosten-, Personal-, Organisationsstruktur. Die Herausforderung dabei ist, nicht zu wissen, wie viele Jahre man 2. Liga spielt und wann gegebenenfalls wieder erstklassig. Man will auch nicht alles einreißen, was man sich über Jahre aufgebaut hat.
Ist die Personalfrage denn akut, oder kann sie später akut werden?
Rühl-Hamers: Akut nicht. Das sind aber Gedanken, mit denen wir uns grundsätzlich beschäftigen müssen. Da will ich niemandem etwas vormachen. Wir dürfen die Augen davor nicht verschließen und müssen auf alles vorbereitet sein. Natürlich kriegen wir Fragen gestellt, was passiert, wenn man zwei oder gar fünf Jahre 2. Liga spielt.
Schalke übernimmt zum Beispiel das Catering des Stadions und die Vermarktung noch selbst. Ist daran gedacht, dies extern zu vergeben?
Rühl-Hamers: Wir müssen klar überprüfen, ob unsere strategische Überlegung, alles Rechte selbst umzusetzen, noch passt oder nicht. Man muss sich unter anderem die Frage stellen, ob es vielleicht Sinn ergibt, dass ein Externer übernimmt, damit man sich selbst aufs Kerngeschäft fokussieren kann. Man muss sich aber auch fragen, was man in diesem Fall aufgibt.
Sie haben mal gesagt, dass Sie lernen müssen, Fußballspiele zu genießen und erst dann an Zahlen zu denken. Klappt das mittlerweile?
Rühl-Hamers: Ich kann mich noch an meine ersten Spiele erinnern – ab September 2009 war ich externe Beraterin, ab April 2010 fest angestellt. Es gab ein Pokalspiel gegen Bayern München. Arjen Robben traf und ich dachte: Ausgeschieden, wieder ein paar Millionen Euro weniger. Das hat sich dann etwas gelegt – bis die Abstiegssaison begann. Seit Dezember 2020 bin ich von den Zahlen her aber schon voll im Zweitliga-Modus. Auch wenn man immer noch auf den Klassenerhalt hofft und mitzittert, ist im Kopf ein Schalter umgelegt, da guckt man die Spiele anders.
Aber als Simon Terodde in der 90. Minute gegen Düsseldorf traf – da wären Sie auch am liebsten auf den Jubelhaufen gesprungen?
Rühl-Hamers: (lacht) Ich schaue die Spiele definitiv emotionaler als Peter Knäbel. Der hat anscheinend mehr Übung als ich, sich in verantwortlicher Position zurückzuhalten. Nach dem letzten Heimspiel kam eine Vierergruppe junger Erwachsener auf mich zu und hat um ein Selfie gebeten. Die haben gesagt: Wir haben uns so gefreut, wie Sie sich beim 3:1 gefreut haben. Das fand ich ganz cool.