Gelsenkirchen. Schalke hat das Beispiel des HSV vor Augen, der in der 2. Liga feststeckt. Klubs wie Kaiserslautern und 1860 München wurden sogar durchgereicht.
In den 1990er-Jahren und auch noch danach war die Reise nach Kaiserslautern immer ein Erlebnis. Allein schon die Fahrt „zum Betze nuff“, wie der Pfälzer sagt: Vorbei an Ordnern, die den Roten Teufel scheinbar schon in sich trugen. Man wusste vorher, dass es für Schalke hier nicht nur gegen eine wilde Mannschaft aus Kaiserslautern ging, sondern auch gegen die Fans und den Schiedsrichter. Jeder Schalker erinnert sich noch an die Hristov-Schwalbe aus der Saison 2000/2001: Ein Kerl wie ein Baum, der zu Boden sank wie vom Blitz getroffen, obwohl ihn Tomasz Waldoch gar nicht berührt hatte. Kaiserslautern und der Betzenberg: Das war immer grenzwertig. Aber es war Atmosphäre pur.
Das letzte Mal in Kaiserslautern war Schalke vor neun Jahren, am 18. März 2012: Lewis Holtby, Klaas-Jan Huntelaar, der große Senor Raúl und Jefferson Farfan erzielten die Tore zum 4:1-Sieg. Schalke qualifizierte sich danach für die Champions League, der 1. FC Kaiserslautern stieg ab. Und kam nie wieder.
An diesem Dienstag spielt Kaiserslautern in der 3. Liga bei 1860 München. Noch so ein gefallener Traditionsverein, der im Laufe der Jahre den Anschluss verpasst hat.
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Es gibt viele Beispiele von großen Vereinen, die irgendwann den Weg gegangen sind, den Schalke jetzt gehen muss: Raus aus der Bundesliga – und wie kommt man zurück? Geschafft haben es der VfB Stuttgart und der 1. FC Köln: Sie blieben nach ihren Abstiegen nie länger als zwei Jahre in der Zweiten Liga. Das anschaulichste – und aktuellste – Beispiel, wie es nicht geht, zeigt gerade der Hamburger SV. Der sechsmalige Deutsche Meister (zuletzt 1983) ist auf dem besten Weg zum Zweitliga-Triple: Dreimal hintereinander knapp am Aufstieg vorbei.
Auf den Spuren des HSV
Schalkes bislang letztes Punktspiel in Hamburg war am 7. April 2018: Der HSV gewann mit 3:2, stieg aber trotzdem am Ende der Saison als Tabellen-17. ab. Es war der Schlusspunkt eines Niedergangs, der sich schon Jahre vorher abgezeichnet hatte: 2014 (gegen Greuther Fürth) und 2015 (gegen Karlsruhe) rettete sich das Bundesliga-Gründungsmitglied erst in der Relegation vor seinem ersten Abstieg, 2018 lief die unselige Uhr im Volkspark dann endgültig ab. Gewertet wurde der Niedergang des HSV damals als Produkt von finanzieller und sportlicher Miss-wirtschaft: die personellen Fehlentscheidungen der Vereinsführung bei Spielern und Trainern wurden irgendwann so teuer, bis das letzte Geld verbraucht war.
Auf Schalke kommt einem das bekannt vor. Zwar wurde die Talfahrt hier durch die Corona-Krise rasant beschleunigt, aber abwärts war es schon in den Jahren davor gegangen: Die Vize-Meisterschaft 2018 war die Ausnahme einer Entwicklung, die sich mit Platz zehn (2017), Platz 14 (2019) und Platz zwölf (2020) abgezeichnet hatte. Schon in der Zeit von Manager Christian Heidel (2016 bis Februar 2019) fragte das Fachmagazin Kicker mit bemerkenswerter Weitsicht: Wird Schalke der neue HSV?
Nicht nur für ein Jahr auf Besuch
Nachdem sich diese düstere Prognose erfüllt hat, geht es für Schalke nun um eines: Es in der Zweiten Liga besser zu machen als viele andere Traditionsvereine zuvor, die hier tief gefallen sind. „Wir müssen sehen, dass wir aus den Fehlern, die andere Großvereine in der Zweiten Liga gemacht haben, lernen“, sagt Sportvorstand Peter Knäbel. Anschauungsunterricht findet er dabei nicht nur bei seinem Ex-Klub HSV, für den er von Oktober 2014 bis Mai 2016 als Direktor Profifußball gearbeitet hat – die Relegation 2015 inklusive. Für Knäbel beginnt die Einstellung schon im Kopf: „Man muss richtig Ja sagen zur Zweiten Liga und nicht nur: Nun ja, wir sind nur für ein Jahr auf Besuch.“
Beim letzten Abstieg 1988 hat Schalke drei Jahre gebraucht, um 1991 wieder nach oben zu kommen. Wie sich die Fußball-Welt in den 30 Jahren seitdem verändert hat, wird auch daran deutlich, wer 1991 Deutscher Meister war: Es war der 1. FC Kaiserslautern, der jetzt in der 3. Liga gegen den Abstieg kämpft.
Fischer fürchtet ein blaues Wunder
Dreimal sind die Pfälzer aus der Bundesliga abgestiegen (1996, 2006, 2012), zwischendurch waren sie sogar noch ein weiteres Mal Deutscher Meister (1998). Doch den dritten Abstieg konnte dieser Traditionsklub nicht mehr auffangen: Wie Mühlsteine zogen ihn finanzielle Altlasten (etwa aus dem Stadionumbau) weit nach unten. Bis 2017 fristete der FCK noch ein Dasein in der Zweiten Liga, seitdem reicht es nicht mal mehr dafür.
Und es muss nicht immer nur das Geld sein, das diesen Traditionsvereinen ausgeht – oft fehlt es einfach auch am Fußball-Verstand. 1860 München sank trotz Investor tief nach unten und bekrabbelt sich gerade wieder in der 3. Liga. Auch die Löwen spielten viele Jahre gegen Schalke in der Bundesliga (zuletzt von 1994 bis 2004), und sie waren sogar noch Deutscher Meister (1966), als Schalkes letzte Meisterschaft schon acht Jahre zurücklag.
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Das Trikot der Münchner Löwen getragen hat von 1968 bis 1970 auch Klaus Fischer, Schalkes Sturmlegende. Fischer, heute 71, leidet mit den Königsblauen und warnt vor der Zweiten Liga: „Da wird etwas auf uns zukommen, einige werden ihr blaues Wunder erleben.“ Viele Traditionsvereine sind dort gestrauchelt, Schalke will wieder aufstehen.
Aber vom direkten Wiederaufstieg mag selbst Sportchef Peter Knäbel jetzt noch nicht reden. Das einzige Versprechen, das er jetzt schon zur Zielsetzung für die neue Saison abgibt, ist: Schalke wird weiter ein Verein mit Ambitionen sein. Die Verpflichtung von Simon Terodde deutet darauf hin.