Gelsenkirchen. Jochen Schneiders Tage als Sportvorstand des FC Schalke 04 sind wahrscheinlich gezählt. Am Freitag stellte er sich aufgebrachten Fans.
Vor fast genau zwei Jahren übernahm Jochen Schneider das Amt des Sportvorstands beim Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 – ein Champions-League-Spiel bei Manchester City stand bevor. Nun steht der 50-Jährige vor dem Aus. Sollten die Königsblauen absteigen, tritt Schneider zurück, wie er selbst angekündigt hat. Doch auch im Falle des Klassenerhalts wird er wahrscheinlich gehen, wie diese Zeitung erfuhr.
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Teile des Aufsichtsrats sind gegen Schneider – und auch viele Fans und Mitglieder. Am Freitagabend gewannen die Proteste Schärfe, als mehrere Hundert Mitglieder der Ultras Gelsenkirchen (UGE) lautstark vor der Geschäftsstelle gegen Schneider protestierten und ein Plakat mit der Aufschrift „Egal ob Liga eins oder zwei, Jochen, Du bist nicht dabei“ aufhingen. Der Sportvorstand war während der Proteste in seinem Büro, ist dort allerdings nicht geblieben. Nach Informationen dieser Redaktion stellte er sich den aufgebrachten Anhängern und erklärte sich.
Eine Trennung schon vor Saisonende scheint dennoch nicht unwahrscheinlich, auch wenn der Aufsichtsrat noch zögert. Auf Anfrage dieser Zeitung äußerte sich Schalke nicht dazu. Rund um das Spiel bei Union Berlin (Samstag, 18.30 Uhr/Sky) will sich der Sportchef wohl nicht äußern.
Vorwürfe gegen Schalke-Vorstand Schneider sind zahlreich
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Die Vorwürfe gegen Schneider sind zahlreich. Zunächst geht es um einige sportliche Fehlentscheidungen in seiner Amtszeit – angefangen bei der Trainersuche. Schneider hielt, wie er selbst zugab, zu lang an Ex-Trainer David Wagner fest. Trotz zahlreicher Widerstände im Klub vertraute Schneider Wagner die Sommervorbereitung 2020 an. „Geduld und Schalke – das passt nicht. Geduld und Schneider – das passt“, hatte er häufig gesagt.
Nach zwei enttäuschenden Pleiten zum Saisonstart musste Wagner aber gehen. Doch auch bei Wagners Nachfolger hatte Schneider kein glückliches Händchen: Manuel Baum blieb nur knapp zwei Monate lang. Beide stehen noch bis Juni 2022 auf der Gehaltsliste – teure Fehler. Der dritte Trainer, den Schneider aussuchte, hatte ebenfalls noch keinen Erfolg. Der Rückstand zum rettenden Ufer hat sich unter Christian Gross sogar noch vergrößert. Nur wenige trauen Schneider zu, nach drei Fehlentscheidungen nun einen passenden Trainer für den nötigen Neuaufbau zu finden.
Schalke-Vorstand Schneider mit personellen Fehlentscheidungen
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Auch bei der Zusammensetzung des Spielerkaders traf er etliche Fehlentscheidungen, ein Kader, der 30 Liga-Spiele in Folge nicht gewann. Langfristige und teure Vertragsverlängerungen mit Guido Burgstaller, Bastian Oczipka und Benjamin Stambouli waren nicht nötig. Schneider verpasste es aber, zum Beispiel mit Daniel Caligiuri rechtzeitig zu verlängern oder die Lücke auf der rechten Abwehrseite zeitnah zu schließen. Etliche Zugänge schlugen nicht ein – nur einige Beispiele sind Markus Schubert, Jean-Clair Todibo, Michael Gregoritsch, Vedad Ibisevic und Kilian Ludewig. Zu oft griff Schneider zuletzt auf alte Kontakte aus seiner Zeit beim VfB Stuttgart zurück. Das war wenig kreativ. Für die kommende Saison – ob Schalke nun absteigt oder nicht – müsste Schneider 10 bis 15 neue Spieler holen.
Was aber auch zur Wahrheit gehört: Für seinen schwierigen Start konnte er wenig. Von seinen Vorgängern hatte er einen wenig ausbalancierten Kader übernommen, und so viel Geld wie Vorgänger Christian Heidel stand ihm nie zur Verfügung. Auch die finanziellen Sorgen durch die Corona-Pandemie hatte nicht Schneider zu verantworten.
Schalke: Klare Worte des Sportvorstands werden vermisst
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Und es gibt noch einen dritten Vorwurf gegen Schneider – und das ist seine Außendarstellung. Dass Schneider kein Lautsprecher ist, war bereits bei Amtsantritt bekannt. Seine Vorgänger Heidel und Horst Heldt hatten gern und viel geredet. Zu Beginn war Schneiders Ruhe wohltuend, doch je stärker Schalke in die Krise geriet, desto mehr vermissten Fans und Mitglieder klare Worte ihres Sportvorstandes. Richtig deutlich wurde er nur ganz selten – zum ersten Mal, als er im März 2020 Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp verteidigte und bei Protesten mit Spielabbruch drohte. Das war der erste Bruch mit vielen Schalke-Fans, die in der Vergangenheit nie mit Anti-Hopp-Transparenten aufgefallen waren.
Doch nicht nur das: Als Schneider im Juli 2020 „Transparenz“ versprach, machte er nicht deutlich genug, was er darunter versteht. Die Fans jedenfalls hatten eine andere Vorstellung des Begriffs und waren oft enttäuscht, wenn Schneider auf konkrete Antworten mit dem Satz „Dazu sage ich nichts, das hilft Schalke nicht“ reagierte. Tiefpunkt seiner Außendarstellung war die Teilnahme an der Veranstaltung #mitGEredet, als er Fans nicht genau erklären konnte, warum die Bekanntgabe der neuen Chefin der Medienabteilung, Daniela Ulbing, verspätet erfolgte. „Da bin ich ein Stück weit überfragt“, sagte Schneider – der auch „Vorstand Kommunikation“ ist. Schalke braucht in der Krise und bei einem möglichen Abstieg Aufbruchstimmung, auch rhetorisch. Dass sich Schneider diesbezüglich erheblich weiterentwickelt, ist schwer vorstellbar.
Schneider würde ohne Abfindung gehen
Sollte sich der Aufsichtsrat von Schneider trennen wollen, würde dieser ohne Abfindung gehen. Das hat er mehrmals angekündigt. Einen freiwilligen Rückzug hat Schneider stets mit dem Satz „Ich renne nicht davon“ ausgeschlossen. Zuletzt hatte Schalke gemeinsam mit Schneider einen Sportdirektor gesucht – Top-Kandidat für diese Position war Ben Manga, zurzeit Chefscout von Eintracht Frankfurt. Ob es dabei bleibt, wenn Schneider geht, ist noch offen.
Wer aber könnte auf Schneider folgen? Eine kurzfristige Lösung wäre eine Beförderung von Peter Knäbel, den Chef der Knappenschmiede. Knäbel kennt Schalke seit Jahren und hatte zuvor beim Hamburger SV bereits sportlich das Sagen bei einem Traditionsklub. Was gegen Knäbel spricht: Seine Zeit beim HSV war nicht sehr erfolgreich und er hatte mit Schneider eng kooperiert. Die Beiden ticken ähnlich. Auch Teammanager Sascha Riether gilt nicht als Alternative für den Posten des Sportvorstands – er hat keine Erfahrung und noch kein großes Netzwerk.
Keinen Kontakt gibt es nach unseren Informationen zu Erik Stoffelshaus. Der langjährige Schalker, einst Jugendtrainer und dann Assistent von Andreas Müller, arbeitete zuletzt für Lokomotive Moskau und wäre sicher nicht abgeneigt, seinem Stammverein zu helfen. Stoffelshaus würde aber nur als Sportvorstand kommen, nicht als zweiter Mann.