Gelsenkirchen. Im großen Interview spricht Schalke-Kapitän Sead Kolasinac über den Abstiegskampf, seine Zukunft, die Kapitänsrolle, die Fans und viel mehr.

Wer die Profis des FC Schalke 04 dieser Tage beobachtet, bemerkt sofort: Sead Kolasinac geht voran – ob nun die Spieler zum Training oder zum Aufwärmen vor einem Spiel den Platz betreten. Für vorerst sechs Monate kehrte Kolasinac vom FC Arsenal auf Leihbasis zum Bundesliga-Schlusslicht zurück, bekam trotzdem die Kapitänsbinde: Er ist Schalkes Königstransfer. Vor dem Spiel bei Union Berlin (Samstag, 18.30 Uhr/Sky) spricht der 27-Jährige über den Abstiegskampf, seine Rückkehr und die Fans.

Herr Kolasinac, kein Verein ist ohne Fans in Stadien so erfolglos wie Schalke 04. Ist das Zufall?

Sead Kolasinac: Nein. Diese Kraft, die bei uns in der Arena entsteht, diese Leidenschaft der Fans kriegst du nicht in so vielen Stadien in der Bundesliga. Wenn das Dach geschlossen ist, hast du das Gefühl, das Stadion explodiert. Selbst beim Training haben uns immer Hunderte zugeschaut. Das ist nicht mehr da. Als ich vor meinem allerersten Heimspiel in der Arena aus dem Bus ausgestiegen bin, standen da Tausende von Leuten, die uns angepeitscht haben, bevor wir überhaupt in die Kabine gegangen sind. Die sind jetzt nicht da. Da fehlt etwas. Auch wenn es anderen Vereinen ähnlich geht: Für Schalke ist das schon ein Minuspunkt. Und trotzdem keine Ausrede für die derzeitige Situation.

Hunderte Fans beim Training – ist auch das so wichtig?

Kolasinac: Ja, du kriegst mit, was der Verein für die Leute bedeutet. Du siehst dieselben Gesichter, die da bei Wind und Wetter stehen und denkst: Wie sehr lieben die den Verein, dass die hier bei Regen und Schnee stehen? Das nimmst du als Spieler auf, das ist Motivation. Das fehlt momentan.

Haben Sie aktuell überhaupt Kontakt zu Fans?

Kolasinac: Ich habe ein paar Freunde, die Schalke-Fans sind. Sie glauben an den Klassenerhalt, sie sprechen mir Mut zu.

Schalke ist abgeschlagen Tabellenletzter, der Abstieg droht.

Kolasinac: Ich schaue nicht auf die Tabelle.

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Macht Ihnen Ihr Job aktuell überhaupt noch Spaß?

Kolasinac: Natürlich macht jedes Training Spaß. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir unseren Sport, den wir lieben, so ausleben dürfen – unser Hobby ist unser Beruf! Klar möchte man immer gewinnen und erfolgreich sein. Aber Rückschläge gehören zum Leben dazu.

Sie sind im Januar nach dreieinhalb Jahren beim FC Arsenal zurückgekehrt. Wie hat sich Schalke verändert?

Kolasinac: Verändert hat sich einiges. Damals hatten wir zum Beispiel nur zwei Trainingsplätze, jetzt sind es acht.

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Inwieweit hat der Sead Kolasinac von heute noch etwas mit dem von 2017 zu tun?

Kolasinac: Im Spiel und auch außerhalb des Platzes bin ich gereift und habe einen Riesensprung gemacht. Natürlich war ich 2017 traurig, den Verein, in dem ich meine Jugend verbracht habe und in dem ich das ganze Umfeld kannte, nach so vielen langen Jahren zu verlassen. Aber ich habe den Schritt nach London nie bereut.

Sie sind Anfang Januar sehr unvoreingenommen in eine massiv verunsicherte Mannschaft gekommen. Haben Sie diese Verunsicherung sofort gespürt?

Kolasinac: Ja, aber das gehört doch dazu, wenn man so viele Spiele nicht gewonnen hat. Wir reden sehr viel miteinander. Wir sagen uns dann, dass die lange Negativserie Vergangenheit ist, dass wir im Hier und Jetzt leben. Und so wollen wir bereit für das nächste Spiel sein.

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Wie würden Sie die Mannschaft beschreiben?

Kolasinac: Wir haben sehr liebe und gute Jungs in der Mannschaft, die mich sehr gut aufgenommen haben. Ich bin sehr glücklich hier.

Nicht nur Sie sind im Winter gekommen, auch drei weitere Spieler. Und meist hieß es, auch Sie hätten eine Rolle gespielt. Als wären Sie ein zusätzlicher Kaderplaner…

Kolasinac: Nein, ich bin schon Spieler. (lacht) Aber natürlich gab es Spieler, die sich bei mir gemeldet haben, weil wir uns gut kennen.

Nun ist sogar Nabil Bentaleb zurück im Training – auch auf Empfehlung der Mannschaft. Er war aber fünfmal suspendiert. Kann das gut gehen?

Kolasinac: Ich kenne Nabil schon lange, habe 2016/17 eine ganze Saison mit ihm zusammengespielt. Wir alle wissen, dass er große fußballerische Qualitäten hat. Er kann der Mannschaft in der jetzigen Situation helfen. Ich bin froh darüber, dass er wieder da ist.

Klaas-Jan Huntelaar, ein weiterer Zugang, kann wegen einer Verletzung aktuell nicht spielen.

Kolasinac: Nein, aber allein seine Anwesenheit in der Kabine unter der Woche und vor den Spielen ist enorm wichtig. Bei jedem einzelnen, mit dem er sich unterhält, sieht man das.

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Wie verstehen Sie sich mit Trainer Christian Gross?

Kolasinac: Ich persönlich und auch die Mannschaft allgemein haben ein sehr enges Verhältnis zum Trainer. Er redet sehr viel mit uns, spricht Dinge klar an, hilft uns. Es wurde ja geschrieben, wir hätten kein gutes Verhältnis. Das stimmt nicht.

Gross hat Ihnen direkt die Kapitänsbinde gegeben, obwohl Sie erst im Winter gekommen sind. Wie wichtig ist Ihnen das?

Kolasinac: Ich kann mich an ein Zitat von Huub Stevens erinnern, der gesagt hat, dass wir nicht einen, sondern elf Kapitäne auf dem Platz brauchen. Egal, wer die Binde trägt: Wichtig ist, dass wir alle auf dem Platz Verantwortung übernehmen.

Sie haben Omar Mascarell abgelöst. Wie ist Ihr Verhältnis?

Kolasinac: Wir sind komplett klar miteinander, verstehen uns sehr gut, reden auch viel außerhalb des Platzes. Omar ist ein total wichtiger Spieler für die Mannschaft.

Sie haben Bastian Oczipka verdrängt, der in den vergangenen Jahren ein Dauerbrenner war und fast jedes Spiel von Beginn an absolviert hat.

Kolasinac: So etwas ist im Fußball ganz normal.

23. April 2017: Sead Kolasinac (l.) und Klaas-Jan Huntelaar jubeln gemeinsam für Schalke im Spiel gegen Leipzig. Drei Jahre später sind sie auf Schalke vereint.
23. April 2017: Sead Kolasinac (l.) und Klaas-Jan Huntelaar jubeln gemeinsam für Schalke im Spiel gegen Leipzig. Drei Jahre später sind sie auf Schalke vereint. © dpa

Gibt es dicke Luft?

Kolasinac: Nein. Wir reden trotzdem viel miteinander, wir diskutieren auch über manche Spielszenen. Dann frage ich ihn, wer er sich in einigen Situationen verhalten hätte.

Hand aufs Herz: Glauben Sie noch an den Klassenerhalt?

Kolasinac: Zu 100 Prozent! Es sind noch ein paar Spiele zu spielen, und es ist rechnerisch noch möglich.

Ihr Leihvertrag gilt bis Saisonende. Würden Sie mit Schalke in die 2. Bundesliga gehen?

Kolasinac: Wir dürfen jetzt nicht an die neue Saison denken. Das wäre in unserer Situation fatal. Erst einmal ist für mich nur das Spiel am Samstag wichtig. Wir haben alle das Ziel Klassenerhalt, das wir gemeinsam und entschieden verfolgen.

Viele Verträge enden, in welcher Liga Schalke spielt, ist auch noch unklar. Gibt es bei keinem Schalke-Spieler so etwas wie Zukunftsangst?

Kolasinac: Keiner beschäftigt sich mit anderen Dingen außer mit Schalke 04. Wir sollten uns alle nicht damit auseinandersetzen, was über den Sommer hinaus ist.