Gelsenkirchen. Schalke 04 trifft die Corona-Krise hart. Im Interview äußert sich Trainer David Wagner unter anderem zur aktuellen Lage und der Trainingsarbeit.
Seit sechs Wochen arbeitet David Wagner (48) in der Ungewissheit. Seit dem 1:1 gegen 1899 Hoffenheim am 7. März hat Schalke 04 wegen der Corona-Krise kein Bundesligaspiel mehr absolviert – und noch ist offen, wann die Liga weitergeht. Im Interview äußert sich der Trainer über Schalke, das aktuelle etwas andere Training – und seinen Umgang mit Corona.
Welche Nachrichten schauen Sie momentan zuerst?
David Wagner: Alles, was Fußball und Sport betrifft, steht hinten an. Zuerst sind es die Nachrichten zum Thema Corona, welche Maßnahmen in Deutschland ergriffen werden, wie die Infektionszahlen aktuell sind, was insbesondere in England und den USA passiert. Wir haben zudem Spieler und Mitarbeiter unterschiedlichster Nationalitäten, da informiert man sich über die aktuelle Lage in ihren Heimatländern. Und danach kommt dann erst, was die Corona-Krise bei uns im Fußball und im Sport für Veränderungen mit sich bringt.
Schalke-Trainer David Wagner: Es ist eine Herausforderung
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Wie nehmen Sie den Profifußball aktuell wahr?
Wagner: Jürgen Klopp hat gesagt, dass Fußball die unwichtigste Sache im Moment ist - aber von den unwichtigsten Sachen die wichtigste. So nehme ich das wahr.
Sie haben in der aktuellen Saison immer von Widerständen gesprochen, die ihre Mannschaft zu überwinden hatte. Ist diese Situation auch ein Widerstand – oder ist das das falsche Wort?
Wagner: Es ist deutlich mehr als ein Widerstand. Es ist eine Herausforderung, vor der unsere Gesellschaft steht. Sich einer Herausforderung zu stellen, ist erst einmal eine Vorstellung, die mir gefällt. Wenn du aber nicht weißt, womit du es zu tun hast, ist es schon schwierig. Und das macht die Herausforderung, der wir uns aktuell stellen müssen, umso größer.
Viele sorgen sich um Schalke - spüren Sie diese Sorgen?
Wagner: Ja. Wir haben Mitarbeiter, mit denen ich mich unterhalte, die ich täglich treffe. Dass sie momentan nicht freudestrahlend übers Gelände laufen und der eine oder andere seine Sorgen kundtut, ist total berechtigt. Ich kenne unsere Zahlen, wenn auch nicht im Detail, und verstehe die Sorge, die vom Vorstand geäußert wird. Das Wort Herausforderung ist auch da das richtige. Da stehen alle vor einer extrem großen Herausforderung. Aber ich habe absolutes Vertrauen, dass der Vorstand die richtigen Entscheidungen trifft. Auch hier besteht das Problem der vielen Unbekannten. Es gibt keinen Zeitpunkt X, von dem man ausgehen, mit dem man kalkulieren kann. Ich bin bestimmt kein Mathematiker, aber ich weiß: Je mehr Variablen in einer Rechnung sind, desto schwieriger ist es, das Ergebnis zu ermitteln.
Fühlen Sie sich durch die aktuelle sportliche Situation als Trainer unter höheren Erfolgsdruck gesetzt?
Wagner: In dieser Situation ist sportlicher Erfolg umso wichtiger, aber deswegen kriegst du ihn nicht schneller, nur weil er wichtiger ist. Wir wissen alle, dass sportlicher Erfolg mit Geld und Qualität zu tun hat, aber auch mit Zusammenhalt und viel Arbeit. Für uns ändert sich deshalb nichts: Wir versuchen, das bestmögliche aus dieser Saison herauszuholen, die bestmöglichen Resultate mit der bestmöglichen Leistung zu erzielen.
Jetzt ist eigentlich die Zeit der Kaderplanung für die kommende Saison. Kann man überhaupt an die Zukunft denken?
Wagner: Michael Reschke, Jochen Schneider und ich sind permanent im Austausch, in dieser Phase aber nicht mehr oder weniger als sonst. Wie ich es sagte: Durch die vielen Variablen lässt sich die aktuelle Situation schwer einschätzen, auch was den Transfermarkt betrifft. Jetzt ist Geduld gefragt und, sich auf das zu fokussieren, was man beeinflussen kann. Und das ist, mit unserer Gruppe weiterhin konzentriert und hart zu arbeiten.
Fühlt sich diese Arbeit mit der Gruppe an wie eine Sommervorbereitung ohne Trainingslager?
Wagner: Was die fehlenden Wettkämpfe betrifft: mit Sicherheit. Auf der anderen Seite ist es aber nicht so. Denn etwas Entscheidendes fehlt: In der Sommervorbereitung kennst du den Moment, auf den du hinarbeitest. Das hast du jetzt nicht. Wir können die Phase super dafür nutzen, den Kader im athletischen Bereich auf das bestmögliche Niveau zu bringen und die angeschlagenen Spieler möglichst nah an die Gruppe heranzuführen. Jeder weiß, dass wir bis zum vorläufigen Abbruch der Saison die Mannschaft waren, welche mit Verletzungen die größten Schwierigkeiten hatte.
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Sie haben es angesprochen: Viele verletzte Spieler sind zurück. Ist Schalke so etwas wie ein „Gewinner“ dieser Pause?
Wagner: Ich bezweifele, dass das Wort Gewinner in einer solchen Situation angebracht ist. Ich würde einfach sagen: nein. Obwohl wir mehr Langzeitverletzte hatten als andere, geht es allen Mannschaften so. Jeder arbeitet momentan daran, seine Angeschlagenen wieder näher an die Mannschaft heranzuführen.
"Das Salz in der Suppe sind Zweikämpfe"
Die Mannschaften dürfen nur in Kleingruppen und mit Mindestabstand trainieren. Wie geht überhaupt ein Fußballtraining ohne Zweikämpfe?
Wagner: (lacht) Mit Ball.
Aber Zweikämpfe sind doch das A und O...
Wagner: Das sind die Herausforderungen, von denen ich gesprochen habe. Wir haben ein super Trainerteam. Alle bringen ganz viele, richtig gute Ideen ein. Du kannst trainieren, Räume zu verteidigen, Linien zu verteidigen, wenn du keinen Mann verteidigen kannst. Du kannst Pass- und Abschlussfolgen, athletische Elemente reinbringen und du kannst in Gruppen arbeiten - Mittelfeld, Angriff, Sturm, Flügelspieler. Das Salz in der Suppe sind aber Zweikämpfe, und die führen wir seit drei Wochen nicht. Aber auch das wird irgendwann wieder kommen.
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Muss ein Mannschaftstraining möglich gewesen sein, bevor die Saison weitergeht – sollte sie weitergehen?
Wagner: Wir sollten extrem vorsichtig sein, Forderungen zu stellen. Wenn uns einer sagt: Ihr habt nur eine Woche Mannschaftstraining, bis es wieder losgeht, dann haben wir das klaglos zu akzeptieren. Mit allen Risiken, die das für das Spiel, und natürlich für die Spieler, mit sich bringt. Wir möchten so schnell wie möglich unter allen Sicherheitsaspekten wieder Fußball spielen dürfen, weil alle Vereine die Einnahmen brauchen, auch wenn das ohne Zuschauer sein wird.
Wie bereiten Sie die Mannschaft auf Geisterspiele vor?
Wagner: Natürlich werden wir in der Arena trainieren. Aber am Ende geht es darum, wie jeder einzelne sich fokussieren kann. Ich glaube, dass das für die Spieler nicht so schwierig sein wird, unabhängig davon, ob draußen 60.000 oder mehr auf den Tribünen sind und für einen Geräuschpegel sorgen oder nicht. Als wir alle angefangen haben, Fußball zu spielen, egal ob auf der Straße oder dem Dorfplatz, da haben auch nicht 60.000 zugeschaut. Wir haben es gespielt, weil wir gewinnen wollten - und so werden wir es angehen.
Jeder kriegt momentan seine eigene Kabine, es gibt kein gemeinsames Mittagessen, sie trainieren auf drei Plätzen. Wie ist es, kein Gemeinschaftsgefühl entwickeln zu können?
Wagner: Es ist sicher anders, aber ich finde, wie haben da ganz gute Lösungsmöglichkeiten gefunden, wie die Jungs interagieren können - wenn auch über Distanz. Neben dem Cybertraining, bei dem die Mannschaft via Bildschirm miteinander verbunden ist, sehen sie sich aus der Ferne auch beim Training. Die Trainingszeiten sind gestaffelt und die Plätze so angeordnet, dass man von weitem auch mal zuschauen oder etwas rüber rufen kann. Die Sprüche, die man sonst in der Kabine mitbekommt, bleiben also nicht aus. Das Miteinander ist ein anderes, aber der Austausch ist da.
Die Spieler kommunzieren immerhin mehr bei Instagram als sonst…
Wagner: (lacht) Ich bin weder bei Instagram noch bei Facebook. An die Sozialen Netzwerke gehe ich nicht dran.
Kapitän Omar Mascarell ist besonders wichtig für das Innenleben der Mannschaft. Seine Verletzung sollte eigentlich das Saison-Aus bedeuten, nun kann er vielleicht wieder spielen. Wie erleben Sie ihn?
Wagner: Mit einem Lächeln im Gesicht. Abgesehen davon, was die Ärzte sagen, sein eigenes Gefühl ist sehr gut, viel besser als ursprünglich für diesen Zeitpunkt prognostiziert. Es geht darum, ihn weiter sehr zielorientiert, aber auch mit dem nötigen Maß aufzubauen. Es ist schon möglich, dass er in der zweiten Mai-Hälfte ins Mannschaftstraining einsteigen könnte, wenn es weiter so positiv läuft. Ozan Kabak ist ihm sogar die eine oder andere Woche voraus. Das sind die nächsten zwei Langzeitverletzten, die zurückkommen.
Vermissen Sie die Bundesliga?
Wagner: Klar vermisse ich sie. Aber Bundesliga und Fußball ist unwichtig, es geht nicht darum, was ich vermisse. Es ist richtig und in Ordnung, dass es momentan nicht stattfindet. Mir geht es nicht anders als einem Frisör oder einem anderen Arbeitnehmer, der seinem Beruf nicht so nachgehen kann wie er es möchte. Wir haben wahnsinnig gute, schlaue Leute in der DFL und der Politik, denen ich vertraue, dass sie zum richtigen Moment die Entscheidung treffen, dass wir wieder spielen.