Gelsenkirchen. Schalke-Vorstand Alexander Jobst spricht über Trennungen, Wendepunkte – und den Tag, als er 2019 ahnte: „Es geht um die Existenz des Vereins.“

Das Jahr 2019 war für Schalke 04: Anstrengend. Abstiegskampf, Existenzangst und Trennungen von Manager und Trainer im Frühjahr, Turbulenzen im Sommer. Jetzt spürt der Verein mit neuem Personal wieder festen Boden unter den Füßen. Schalke überwintert auf einem Europapokal-Platz. „Es wirkt stabil“, sagt Vorstand Alexander Jobst (46), der aber ganz bewusst noch vorsichtig bleiben will: „Ob wir auch tatsächlich stabil sind, zeigt sich erst, wenn wir auch mal eine schwierige sportliche Situation meistern.“

Jobst, der auf Schalke die Ressorts Marketing und Kommunikation verantwortet, spricht im WAZ-Interview auch darüber, wie Schalke 04 in diesem turbulenten Jahr wieder die Kurve bekommen hat: „Wenn mir jemand im Sommer gesagt hätte, wir haben zur Winterpause 30 Punkte, hätte ich ihn gefragt: Ist bei dir schon Weihnachten?“

Herr, Jobst, als wir uns im Sommer hier zum Interview trafen, sahen Sie „einen Schleier der Lethargie“ über Schalke liegen. Schimmert jetzt das echte Königsblau wieder durch?

Alexander Jobst Wenn wir zurückblicken, ist das Jahr für mich von drei Begriffen geprägt: Erst Sorge, dann Lethargie – aber jetzt auch wieder Freude. Das letztere überwiegt eindeutig. 2019 war von der Stimmungslage und den Aufgaben enorm herausfordernd, für mich persönlich sicherlich das intensivste Jahr, seit ich auf Schalke bin – und das sind jetzt fast acht Jahre. Aber nach dem Abstiegskampf im Frühjahr sehen wir jetzt eine Entwicklung, die uns optimistisch stimmt. Aufsichtsrat und Vorstand arbeiten auf Basis einer ganzheitlichen Strategie im Verein daran, dass Schalke die Kontinuität bekommt, nach der sich dieser Verein auch sehnt.

Gab es für Sie einen Wendepunkt, ein Ereignis, das wieder den Optimismus zurückbrachte?

Sportlich – und der Erfolg in meinem Verantwortungsbereich ist nie losgelöst vom sportlichen Erfolg – war unser 3:1-Sieg Ende September in Leipzig für mich ein Ereignis, bei dem ich gemerkt habe: Das, was wir im Sommer miteinander entwickelt haben, greift jetzt und funktioniert. Das war für mich persönlich der Spieltag, an dem ich gesagt habe: Wow – Schalke ist wieder da.

Schalke-Vorstand Jobst lobt Ex-Trainer Tedesco

Was war im Gegensatz dazu der Tiefpunkt des Jahres?

Das Spiel Anfang März zu Hause gegen Düsseldorf, dieses 0:4. Wie frustriert sich die Mannschaft da ergeben hat in der zweiten Halbzeit, wie Domenico Tedesco fast hilflos wirkte und wie die Stimmung in der Arena war: Das war der Tiefpunkt des Jahres 2019. Ich erinnere mich, wie Clemens Tönnies, Jochen Schneider, für den es übrigens sein erstes Spiel auf Schalke war, und ich nach dem Spiel in die Kabine gegangen sind, um Domenico Tedesco wiederaufzubauen. So etwas vergisst man nicht.

Schämt man sich nach so einem Spiel als Verantwortlicher für den Fußball?

Von Schämen kann keine Rede sein! Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt wussten wir, dass wir etwas verändern müssen und das Ruder in dieser personellen Konstellation nicht mehr herumreißen können. Und spätestens mit dem Heimspiel gegen Düsseldorf wussten wir auch: Es geht um die Existenz des Vereins.

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Alle drei sind Herzblut-Schalker. Wer anders hätte das in dieser existenziellen Situation des Vereins sofort getan? Ich weiß es nicht. Ihre Bereitschaft sofort einzuspringen, war beeindruckend. Und wie sie den Karren aus dem Dreck gezogen haben in der kurzen Zeit, dafür kann man einfach nur Danke sagen. Das wissen wir wertzuschätzen. Nicht ohne Grund sind alle drei nach wie vor mit Schalke 04 beschäftigt – in unterschiedlichen Funktionen.

Vor Domenico Tedesco ging bereits Christian Heidel. Er scheiterte auf Schalke krachend.

Ich muss Ihnen in der Aussage „krachend gescheitert“ widersprechen. Rückblickend betrachtet, ist Christian Heidels Führungsphilosophie auf Schalke nicht aufgegangen. Er hat über 25 Jahre den Verein FSV Mainz 05 in seiner Führungsphilosophie sehr erfolgreich geführt, das hat bei einem großen Verein wie Schalke 04 nicht funktioniert – zumindest nicht auf Dauer. Das hat er ja auch selbst erkannt. Es war ja in der Tat so, dass Christian Heidel von sich ausgesagt hat, er möchte nicht mehr weitermachen.

Jobst: „Das hat etwas mit Identifikation zu tun“

Die Trennung von Heidel ist sehr nüchtern vollzogen worden – die Trennung von Tedesco war sehr emotional. Täuscht der Eindruck?

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Der Eindruck täuscht nicht, weil es etwas mit Identifikation zu tun hat. Christian Heidel hat sich sicherlich mit Schalke 04 identifiziert, aber in der Art, wie es Tedesco getan hat, wie er sich diesem Verein mit Haut und Haaren verschrieben hat, ist er in den Köpfen und in den Herzen vieler Schalker sehr viel intensiver hängengeblieben. Deswegen hat die Trennung von Domenico auch weh getan. Dennoch sollten man diese Zeit auch mal richtig einordnen: Mit Christian Heidel sind wir Vizemeister geworden und er war es, der Domenico Tedesco zu Schalke 04 geholt hat.

Für den sportlichen Neuanfang stehen jetzt Jochen Schneider als Sportvorstand und David Wagner als Trainer.

Absolut. Ich freue mich sehr, dass sie auf Schalke angekommen sind. In dieser Konstellation wirkt das nach sechs Monaten sehr stabil. Ich sage bewusst, es wirkt stabil. Es wird auch Rückschläge geben, das müssen wir immer wissen. Die Zusammenarbeit der letzten Monate zeigt in jedem Fall, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.

Drei Männer für Schalke. Die Vorstandsmitglieder (von links) Alexander Jobst, Peter Peters und Jochen Schneider.
Drei Männer für Schalke. Die Vorstandsmitglieder (von links) Alexander Jobst, Peter Peters und Jochen Schneider. © firo Sportphoto | firo Sportphoto/Fabian Simons

Jochen Schneider ist Ihr dritter Sportvorstandskollege in den acht Jahren auf Schalke nach Horst Heldt und Christian Heidel. Wofür steht Schneider?

Für Weitsicht, strukturelles und aufgeräumtes Arbeiten. Jeder Sportvorstand, mit dem ich gearbeitet habe, hatte seine Stärken und unterschiedliche Herangehensweisen. Jochen Schneider tut dem Verein mit seiner strategischen Sichtweise unheimlich gut. Er hat im sportlichen Bereich Strukturen geschaffen, die in anderen Geschäftsbereichen des FC Schalke 04 schon selbstverständlich waren. Im Kerngeschäft Sport hatten wir aber enormen Nachhol- und Optimierungsbedarf.

Sie meinen die Ebene unterhalb des Vorstandes, wo es jetzt auch im Sport Strukturen gibt wie vorher bei der Organisation, bei den Finanzen oder in der Vermarktung?

Es geht um das Team hinter dem Vorstand im sportlichen Bereich: Sei es das Trainerteam, das Scouting oder das Betreuerteam mit allen Facetten. Diese Notwendigkeit der Strukturen im sportlichen Bereich hat Jochen Schneider sofort erkannt, angepackt und umgesetzt. Das trägt dazu bei, dass wir hoffentlich Stabilität und Kontinuität erreichen.

Was zeichnet David Wagner aus?

Kommunikation, Empathie, Identifikation mit dem Verein, den er aus seiner Vergangenheit kennt. Und er hat das große Ganze im Blick, weil er zuvor einen kleinen Verein wie Huddersfield ganzheitlich gemanagt, geführt und verstanden hat. Er weiß somit, wie wichtig auch andere Geschäftsbereiche in einem Verein einzuordnen sind und welche Aufgaben die Mannschaft dafür zu erfüllen hat. Für David ist es selbstverständlich, dass Sponsorentermine, Autogrammstunden und internationale Reisen zum Fußballgeschäft dazugehören. Es macht Spaß. Aber auch hier gilt: Ob wir auch tatsächlich stabil sind, zeigt sich erst, wenn wir auch mal eine schwierige sportliche Situation meistern.

Schalke-Vorstand Jobst: „Ich freue mich, dass Tönnies’ Rückkehr so geräuschlos verlaufen ist“

Wenn wir auf das Jahr zurückblicken, müssen wir noch über das reden, was Schalke im Sommer durchgerüttelt hat. Ist die Geschichte um Clemens Tönnies aufgearbeitet?

Darüber ist so viel gesprochen und geschrieben worden, dass ich jetzt eigentlich nur noch eines dazu sagen möchte: Ich freue mich persönlich, dass seine Rückkehr so geräuschlos verlaufen ist. Die überwiegende Mehrheit der Schalker weiß genau, wie wichtig Clemens Tönnies für diesen Verein ist. Deshalb hatte man auch die nötige Sensibilität, um das Thema jetzt so zu beenden.

Der Sieg in Leipzig war für Sie der Wendepunkt. Gab es darüber hinaus einen schönsten Moment des Jahres für Sie?

Ein besonderer Moment war sicher zuletzt das Heimspiel gegen Frankfurt, weil so ein Sieg in Unterzahl eine Signalwirkung für die Mannschaft und für das Umfeld hatte: Das war Kampf und Leidenschaft und es war atmosphärisch einer der Höhepunkte des Jahres. Unsere Mannschaft ist, das kann ich sagen, nicht nur auf dem Platz wieder eine Mannschaft, sondern auch neben dem Platz. Wenn mir jemand im Sommer gesagt hätte, wir haben zur Winterpause 30 Punkte, hätte ich ihn gefragt: Ist bei dir schon Weihnachten?

Auf Schalke: Alexander Jobst (links) und WAZ-Redakteur Manfred Hendriock.
Auf Schalke: Alexander Jobst (links) und WAZ-Redakteur Manfred Hendriock. © SK | Foto

Bei unserem Interview im Sommer haben Sie auch gewarnt: Der Verein muss aufpassen, dass der Zug nicht ohne ihn abfährt. Anschluss gefunden hat Schalke nun aber wieder?

Auch das ist für mich zu früh, zu beurteilen. Wir müssen nach wie vor sehr wachsam sein und richtige Entscheidungen treffen, weil wir in unserer Vereinsstruktur darauf angewiesen sind, sportlich erfolgreich zu sein – sonst funktioniert das Konstrukt des eingetragenen Vereins aufgrund der veränderten Wettbewerbssituation auf Dauer nicht mehr. Ich bin zuversichtlich, dass wir sportlich mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, den Anschluss nicht verpassen. Allerdings sind wir in den letzten drei Jahren zweimal ohne internationales Geschäft geblieben, und das ist nach wie vor sehr sorgsam zu betrachten. Der Schleier der Lethargie ist aber sicher verschwunden: Wir sehen wieder Freude an Schalke und eine Art Fußball, mit der sich die Fans identifizieren – es macht wieder Spaß, ins Stadion zu gehen. Und das spüre ich auch in meinem Verantwortungsbereich sofort.

Konkret?

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Wir hatten in diesem Jahr ein herausragendes Weihnachtsgeschäft. Ein Beispiel: Am sogenannten Black Friday haben wir im letzten Jahr ca. 700.000 Euro Umsatz gemacht – in diesem Jahr waren es 1,2 Millionen Euro. Man sieht den Ausschlag sofort. Auch unsere zahlreichen Sponsoren sind zufrieden, sie haben auch einen Anspruch, denn wir haben nach wie vor nicht nur finanziell ein sehr hohes Vermarktungsniveau. Daran möchte sich der Verein auch weiter orientieren. Ein großer Dank an Fans, Mitglieder und Sponsoren für die Treue und Loyalität in dieser sehr, sehr schwierigen Phase des Klubs. Auch das zeichnet Schalke aus, dass man in so einer Zeit das Vertrauen weiterhin spürt.