Gelsenkirchen. 295 Tore schoss Klaus Fischer für den FC Schalke 04. Im Interview erinnert er sich an tolle Zeiten – und einen schmerzhaften Skandal.

Es ist noch gar nicht lange her, da bewies Klaus Fischer bei einer amüsanten Talk-Veranstaltung auf einer Matte, dass er den Fallrückzieher immer noch drauf hat. Keiner flog früher so schön durch die Luft wie er. Der erfolgreichste Torjäger der Schalker Vereinsgeschichte wird an diesem Freitag 70 Jahre alt.

Ihre Freunde aus der legendären Mannschaft der 70er-Jahre nennen Sie Walter.

Interview auf Schalke: Klaus Fischer mit den Redakteuren Manfred Hendriock (l.) und Peter Müller.
Interview auf Schalke: Klaus Fischer mit den Redakteuren Manfred Hendriock (l.) und Peter Müller.

Klaus Fischer: (lächelt) Ja. Das ist ganz einfach erklärt. In den 60er- und 70er-Jahren gab es den Langläufer Walter Demel, der für den SC Zwiesel startete. Und ich kam ja auch aus Zwiesel. Als ich 1970 von 1860 München nach Schalke gewechselt bin, hat mich da der Österreicher Hansi Pirkner sofort Walter genannt. Das dürfen heute nur die besten Freunde.

Fast 50 Jahre sind seitdem vergangen, und Sie leben als Bayer immer noch hier im Revier.

Klaus Fischer: Wahnsinn. 50 Jahre, wo sind die geblieben? Das hätte ich damals wirklich nicht gedacht. Ich habe während meiner Karriere in Zwiesel ein Haus gebaut und war mir sicher, dass ich mit meiner Familie nach meiner Karriere darin wohnen würde. Das Ruhrgebiet war ja damals noch anders als heute. Wenn man von Hagen aus hier hereinfuhr, roch man es schon. So ist es aber schon lange nicht mehr. Und als dann unser Sohn und unsere Tochter geboren wurden und später Enkelkinder dazukamen, sind wir hier geblieben. Außerdem ist Schalke mein Verein.

Ihre Mutter hatte Sie damals vor dem Wechsel nach Gelsenkirchen gewarnt.

Klaus Fischer: Ja, als ich den Vertrag unterschrieben habe, hat sie gesagt: Was willst du denn im Ruhrgebiet, da kannst du ja noch nicht mal ein weißes Hemd anziehen. Na ja, so ganz unrecht hatte sie nicht. (lacht)

Und als Sie zum ersten Mal nach Schalke fuhren, haben Sie es nicht gefunden.

Klaus Fischer: Stimmt. Ich sollte in Gelsenkirchen abfahren, bin aber daran vorbeigefahren und in Essen gelandet. Ich habe dann den Schatzmeister Aldenhoven angerufen, der musste mich lotsen. Ich dachte: Das fängt ja schon gut an.

Aber auf Schalke haben Sie schnell Anschluss gefunden.

Klaus Fischer: Ja, mit vielen Jungs von damals bin ich ja heute noch gut befreundet, das ist schon einmalig. Wir waren mehrere junge Spieler, die fast gleichzeitig nach Schalke kamen. Erwin und Helmut Kremers, Rolf Rüssmann, Jürgen Sobieray, Klaus Scheer – das passte einfach, auch von der Altersstruktur. Wir sind auch nach den Spielen oft zusammen ausgegangen. Als der Rolf vor zehn Jahren starb, hat das uns alle schwer getroffen. Er war mein bester Freund.

Sie haben ein paar spektakuläre Fallrückzieher-Tore geschossen. Aber es waren gar nicht so viele, wie die Leute heute glauben.

Klaus Fischer: Die Kinder in meiner Fußballschule sind meistens gut informiert, die wissen ja durch ihre Smartphones Bescheid. Aber wenn ich sie frage, wie viele Fallrückziehertore ich in der Bundesliga gemacht habe, sagen die einen 30, die anderen sogar 50. Wenn ich ihnen verrate, dass es nur eins war, sind die total enttäuscht. Aber ich sage ihnen dann immer: Es ist völlig egal, wie man die Tore macht. Da denke ich an Gerd Müller, der hat ja noch mehr Tore als ich geschossen. Und das aus allen möglichen Lagen.

Gerd Müller stand Ihnen ja auch eine Zeit lang im Weg, er blockierte den Mittelstürmer-Posten in der Nationalmannschaft. Wie war Ihr Verhältnis?

Klaus Fischer: Gegen ihn konnte ich nichts machen, er hatte ja auch mit den Bayern alles gewonnen. Unser Verhältnis war ganz prima. Traurig, dass er heute so krank ist.

Hat es Sie als Bayer nie gereizt, für die Bayern zu spielen?

Klaus Fischer: Als ich zu München 60 ging, waren die Bayern noch nicht das, was sie später wurden. Und außerdem hatten sie Gerd Müller. Ich wollte ja spielen.

Gab es später mal ein Angebot, sein Nachfolger zu werden?

Klaus Fischer: Nein, ein Angebot gab es von Eintracht Braunschweig, als damals Mast mit Jägermeister groß einstieg. Ich habe beim Vorstand kurz nachgefragt. Die Antwort dauerte keine Sekunde. Sie war: nein.

Wir können es Ihnen leider nicht ersparen, auch über das dunkelste Kapitel Ihrer Laufbahn reden zu müssen. Wenn Sie die Zeit zurückdrehen und eines in Ihrem Leben ändern könnten - wäre es dann die Beteiligung am Bundesliga-Bestechungsskandal von 1971?

Ein Höhepunkt in der Karriere des Klaus Fischer: Sein Tor des Jahrhunderts, der Fallrückzieher 1977 im Länderspiel gegen die Schweiz.
Ein Höhepunkt in der Karriere des Klaus Fischer: Sein Tor des Jahrhunderts, der Fallrückzieher 1977 im Länderspiel gegen die Schweiz. © imago

Klaus Fischer: Ich frage mich heute noch: Wie kann man so blöd sein, wie wir damals waren? Es war ja nicht so, als hätten wir einen Haufen Geld erhalten. Wir hätten 2000 Mark Siegprämie gegen Bielefeld bekommen und haben das Spiel für 2300 Mark verkauft. (schlägt die Hände vors Gesicht) Ich weiß noch, wie Stan Libuda da saß und sagte: So etwas mache ich nicht. Aber die Erfahrenen haben das dann in die Hand genommen, weil sie einem ehemaligen Mitspieler helfen wollten (Anm. d. Red: Waldemar Slomiany war von Schalke nach Bielefeld gewechselt und hatte den Kontakt hergestellt, um mit einem gekauften 1:0-Sieg den Abstieg der Arminia zu verhindern).

Sie alle wurden lange gesperrt, Stan Libuda kam nie darüber hinweg. Sie hingegen sind nach der Begnadigung bis in die Nationalmannschaft durchgestartet. Wie haben Sie diese schwere Zeit überstanden?

Ein Tiefpunkt: Mit Anwalt Dr. Karl-Heinz Hütsch 1972 in einer Verhandlungspause zum DFB-Bundesligaskandal.
Ein Tiefpunkt: Mit Anwalt Dr. Karl-Heinz Hütsch 1972 in einer Verhandlungspause zum DFB-Bundesligaskandal.

Klaus Fischer: Ich habe eine Frau, die immer zu mir gehalten hat. Ich hatte Freundschaften, die noch enger wurden. Und ich hatte Ivica Horvat als Trainer, der gezielt weiter mit mir gearbeitet hat. Ich habe einfach weitertrainiert, und als ich zurückkam, haben wir in meinem ersten Spiel gegen Wuppertal 4:2 gewonnen – und ich habe drei Tore geschossen.

Die Schalker Fans trugen Ihnen den Skandal nie nach?

Klaus Fischer: Nein, überhaupt nicht.

In anderen Stadien wurde „FC Meineid“ gerufen.

Klaus Fischer: Aber bei uns im Parkstadion nie.

Ihre erste Weltmeisterschaft 1978 endete mit dem legendären 2:3 gegen Österreich. Wie war das damals für Sie?

Klaus Fischer: Wir sind als Titelverteidiger und Mitfavorit nach Argentinien geflogen, aber dort lief es nicht so gut. Nach dem Spiel gegen Österreich wurden wir als Versager hingestellt, das hat mich gestört. So schlimm war es nämlich auch nicht.

Vier Jahre später standen Sie in Spanien gegen Italien im WM-Finale – unter anderem durch einen Ihrer berühmten Fallrückzieher, diesmal im Halbfinale gegen Frankreich. War es die Krönung Ihrer Laufbahn, Vize-Weltmeister geworden zu sein?

Klaus Fischer: Die größte Leistung war, dass ich dort überhaupt spielen konnte. Ich hatte ja 1980 einen Schienbeinbruch erlitten, der mich die Teilnahme an der EM gekostet hat, nachdem ich in der Qualifikation die meisten Tore aller Nationen geschossen hatte. Ich konnte zehn Monate nicht spielen, lag im Krankenhaus, hatte keine Muskulatur mehr. Aber ich hatte dieses große Ziel, auf die WM 1982 hinzuarbeiten. Horst Hrubesch hatte im EM-Finale zwei Tore gemacht und war dadurch im Vorteil. Es war toll, dass ich doch noch in diese Mannschaft gekommen bin.

Zwischen der EM 1980 und der WM 1982 lag Schalkes erster Abstieg. Sie verkündeten Ihren Wechsel zum 1. FC Köln – und wurden von den Fans beschimpft.

Klaus Fischer: Ja, das war heftig. Ich hatte vorher gesagt: Wenn wir absteigen, bin ich weg. Ich wollte ja unbedingt zur WM. Unser Trainer war damals Fahrudin Jusufi, mit dem Mann konnten wir den Abstieg einfach nicht verhindern. Ich glaube sogar, dass der Verein auch aus finanziellen Gründen damals absteigen wollte, um alles neu aufzubauen. Aber das funktioniert nicht so einfach. Wer einmal absteigt, wird schnell zur Fahrstuhlmannschaft. So war es auf Schalke fast ein Jahrzehnt lang. Und schauen Sie sich mal Köln oder Nürnberg an, da ist es heute noch so.

Nach Ihrer Zeit in Köln haben Sie noch beim VfL Bochum gespielt. Wie sind Sie denn danach wieder Schalker geworden?

Klaus Fischer: Eigentlich bin ich es ja immer geblieben. Als wir einmal mit Bochum hier gespielt haben, haben die Schalker Fans meinen Namen gerufen. Da dachte ich: Wo bist du denn hier? Als Helmut Kremers dann Manager wurde, hat er mich zurückgeholt – als Co-Trainer bei den Profis und Trainer bei den Amateuren.

Sie waren Anfang der Neunziger auch zweimal Interimstrainer.

Klaus Fischer: Ja, nachdem Peter Neururer und Aleks Ristic entlassen wurden. Nach Ristic hatte ich schon einen Vertrag als Profitrainer unterschrieben. Dann hörte ich: Udo Lattek wird Schalke-Trainer. Das konnte ich gar nicht glauben. Als Präsident Günter Eichberg mich dann anrief, sagte ich: Ich weiß schon Bescheid. Lattek wollte mich als Co-Trainer haben, das wollte ich nicht. Ich hatte mit Ristic schlechte Erfahrungen gemacht. Dann habe ich lieber die Amateure trainiert.

Die 70 – bedeutet Ihnen diese Zahl etwas? Werden Sie nachdenklich an diesem Tag?

Klaus Fischer: Sagen wir es so: Ich kann mich nicht beklagen, bis jetzt war es eine wunderbare Zeit. Ich bin gesund, in der Familie ist alles in Ordnung, und ich denke nicht jeden Tag daran, dass ich irgendwann sterben werde. Meinen Geburtstag feiere ich schön mit meiner Familie in meiner Heimat im Bayerischen Wald.

So ganz gesund sind Sie ja in diesem Jahr nicht geblieben. Nach einem Spiel mit der Schalker Traditionself mussten Sie an der Schulter operiert werden.

Klaus Fischer: Normalerweise habe ich überhaupt kein Problem, da noch mitzuspielen. Aber der Torwart des Gegners war ein Japaner, der kam wie ein Kamikazeflieger auf mich zu. (lacht) Beim Sturz riss dann in der Schulter eine Sehne.

War es das also etwa auch mit den Fallrückziehern? Ist die Karriere beendet?

Klaus Fischer: Gute Frage. (lächelt) Ich weiß es noch nicht.