Gelsenkirchen.

Als Kind des Ruhrgebiets hat Rudi Assauer viel zu erzählen: Von der SpVgg Herten über Borussia Dortmund wurde der 63-Jährige "Mister Schalke 04". DerWesten sprach mit Assauer über Ruhrgebietssolidarität, Nachwuchsspieler und Grand Canaria.

DerWesten: Ist ein Fußballverein Dienstleister, Wirtschaftsunternehmen oder Sportverein?

Rudi Assauer: Die ganze Erste und Zweite Liga sind riesige Wirtschaftsunternehmen. Wenn du mit diesen Summen handelst, bist du ein sehr guter Mittelständler. Schalke 04 hat einen Etat von 120 bis 150 Millionen und Schalke hat in Gelsenkirchen wie kein zweites Unternehmen für Arbeitsplätze gesorgt. Wo soll das denn hergekommen sein? Der Name Schalke 04 ist ja direkt verwachsen mit Gelsenkirchen.

Wirtschaftsunternehmen benötigen Geld. Was halten Sie vom Comeback von Leo Kirch?

Das ist ein offener Wettbewerb. Die Liga sagt, sie hat alles durchgeprüft und die Bürgschaft sei in Ordnung. Gut, dann machen. Je mehr, umso besser. Desto größer sind die Möglichkeiten der Vereine, das Geld so anzulegen, dass man ne gute Truppe hat und darüber hinaus auch eine gescheite Infrastruktur. Normalerweise müsste sich Deutschland da angleichen an Klubs im Ausland, die in etwa auf der gleichen Linie liegen wie Schalke 04 oder die anderen der Liga. Real Madrid aber hat einen eigenen Sender. Die hauen die ganze Kohle da rein. Die kaufen sich nen großen Jet und fliegen durch die Gegend. Und wenn kein Geld mehr da ist, dann haben die einen Kreis von zehn Leuten, die sagen: „Kommt, nehmt das Geld, auf Wiedersehen.“ Das haben wir in Deutschland nicht, dieses Mäzenatentum. Wir haben keinen Steilmann mehr.

Wobei gerade Steilmann in Wattenscheid oder Jean Löhring bei Fortuna Köln zeigen, dass Mäzenatentum nicht förderlich sein muss, wenn ein ganzer Verein an einer Person hängt.

Man darf aber nicht vergessen, was Klaus Steilmann aus diesem Verein gemacht hat. Das hat der ganz alleine gemacht. Ich finde es mehr als traurig, was die da aus ihm gemacht haben. Das ist nicht nur strittig, da muss man wirklich drüber nachdenken.

Das klingt nach der viel beschworenen Ruhrpottsolidarität.

Klar. Ohne jetzt die anderen Landstriche in Deutschland wegzudenken, je mehr Vereine in der Liga aus dem Westen kommen, desto schöner ist es doch. Desto mehr Lokalkämpfe gibt es. Etwas Schöneres gibt es doch gar nicht. Wir haben jetzt Dortmund, Duisburg, Schalke, Bochum. Rot-Weiss Essen ist prädestiniert dafür. Das ist die sechstgrößte Stadt in Deutschland. Früher Rot-Weiß Oberhausen und Wuppertal SV. Eine Liga, in der sechs oder acht Vereine aus dem Ruhrgebiet kommen, wäre doch klasse. Da haste die Hütten immer voll.

Von Seiten der Fans werden die kleineren Reviervereine oft belächelt. Dortmunder und Schalker sagen, Spiele gegen Bochum oder Duisburg seien keine Derbys.

Ja. Aber die Bochumer oder Duisburger freuen sich doch auf gut Deutsch gesagt „nen Pinn innen Arsch", dass sie Dortmund und Schalke haben. Duisburg kriegt einmal in der Saison die Hütte voll – wenn der FC Schalke kommt. Dortmund und Schalke haben natürlich eine andere Historie als Bochum und Duisburg, die Spiele sind schon etwas anderes. Es ist zehn Jahre her, da hat Franz Beckenbauer gesagt, das Herz des Fußballs schlägt im Ruhrgebiet. Ich frage mich auch immer, warum so ein Verein wie Essen nicht hochkommt. Mit dem Fanpotential. Die gehen immer rauf und runter. Das wird irgendwann langweilig.

Schwierig ist es, die Position zwischen Dortmund und Schalke zu finden. Bochum und Essen haben ja quasi kein Umland. Die Fans kommen zu 90 Prozent aus der Stadt und einigen wenigen angrenzenden Orten.

Das ist natürlich ein Problem. Die heutige Jugend neigt aber dazu, schnell jemanden zu glorifizieren. Das macht sie natürlich nur, wenn Erfolg da ist. Bochum müsste zwei, drei, vier Jahre erfolgreich spielen. Du musst Erfolg haben, damit die Leute in der Schule stolz erzählen können, dass sie Bochumer sind. Du brauchst Anerkennung.

Müssen die kleinen Vereine dann auch andere Wege gehen, wie etwa Bochum mit seinem Leitbild?

Ja, oder in Duisburg... Walter Hellmich macht da gute Arbeit. Er sollte sich nur weniger um den Sport kümmern. Aber auch da entsteht etwas. Wenn ich überlege, was die Duiburger früher für Einnahmen hatten, da haste dich kaputtgelacht. Heute können die zumindest im unteren Mittelfeld der Tabelle mithalten.

Wenn Walter Hellmich sich weniger um den Sport kümmern soll, wäre das doch ein Job für Sie...

Nein, nein, nein (lacht). Wir sind seit Jahren befreundet. Er hatte ja einen Großteil der Arbeiten an der Arena getragen und ist führend im Stadionbau.

Noch einmal zur Ruhrgebietssolidarität: Nach der verpassten Meisterschaft 2007 wurde aus dem Schalker Lager sehr laut nach Ruhrgebietssolidarität gerufen. Gibt es die überhaupt?

Wo wollen Sie die Solidarität anbinden? An den Vorstand? Mir ist es lieber, eine Mannschaft aus dem Westen wird Meister als eine aus dem Süden. Ich kann damit leben. Das wertet den Fußball im Revier auf. Auch wenn ich zu 100 Prozent Schalker bin, ist es mir doch lieber, wenn der BVB Meister wird als eine Mannschaft von außerhalb. Das muss man anerkennen. Da bin ich stolz.

Die Fans sehen das anders. Die Dortmunder schickten ein Flugzeug mit dem Transparent „Ein Leben lang, keine Schale in der Hand“ nach Gelsenkirchen.

Ja, blöd war es, als sich das nach der letzten Saison so hochgeschaukelt hat. Ich fand das so abartig. Das war unnütz wie ein Kropf. Statt Gelassenheit zu zeigen, haben die Schalker Offiziellen überreagiert. Die hätten noch hundert Flugzeuge schicken können. Da muss ich gelassen sein. Im Nachhinein hätte man viel früher die heiße Luft da rausnehmen müssen. Es gab ja schon Anzeichen, dass das Ding explodiert. Wir haben zehn Jahre lang mit dem BVB daran gearbeitet, dass die Fans sich nicht jedes Mal an die Köppe gehen. Das hat zehn Jahre funktioniert. Als wir den UEFA-Cup gewonnen haben und der BVB eine Woche später die Champions League, da habe ich mich gefreut. Unter Fans ist das was anderes. Aber unter den Verantwortlichen finde ich es nicht gut, wenn man sich für den Gegner des Rivalen freut. Ich jubele doch nicht, wenn Juventus gegen Dortmund ein Tor schießt. Da muss ich über den Tellerrand gucken können. Oben in der Führung muss man sich einig sein. Es hat lange kein Schäferhund mehr einem Spieler in den Arsch gebissen und auf der anderen Seite sind lange keine Löwen mehr auf die Laufbahn geführt worden. Die Leute, die in den Vereinen so reagieren kommen nicht aus dem Sport. Die wissen nicht, dass es Sieg und Niederlage gibt. Die haben keine Lockerheit, sind verbissen, verbiestert. Du kannst so viel Geld haben und wirst trotzdem nie Deutscher Meister.

Würde der 100-prozentige Schalker Rudi Assauer denn einem Revierrivalen helfen?

Helfen ja. Aber nicht dort arbeiten. Ich helfe ja jetzt auch in beratender Funktion dem Wuppertaler SV, weil ich mit dem Friedhelm Runge befreundet bin. Der steckt da wahnsinnig viel Geld in der Verein. Na gut, der hat Spaß daran. Dann sage ich immer, lass ihm doch das Räppelchen (lacht).

Sie widmen sich lieber Ihrer Schauspiel-Karriere....

Das war auch so eine einmalige Sache (lacht). Ich mag den Kerl, der dieses Theater betreibt. Dem habe ich geholfen, dass er seine Hütte voll kriegt. Ich war vor ein paar Wochen da und habe mir „Dinner for One“ auf Ruhrgebiet-Platt angesehen. Weltklasse! Ich habe mir das zweimal an einem Abend angesehen und Tränen gelacht.

Was machen Sie denn als Fußballmanager im „Unruhestand“?

Unruhestand? Ich würde gerne versuchen, jungen Spielern zu helfen. 70 Prozent der heutigen Spielerberater sind Verbrecher. Sehr dubiose Typen. Die denken nur daran, wie sie aus einem jungen Spieler viel Geld rausholen können. Da müsste man mal einen Pflock einschlagen.

Was würden Sie jungen Spielern sagen?

Ganz einfach, man muss offen ansprechen: „Junge, du kannst gut Fußball spielen, aber weiter als Zweite Liga kommst du nicht. Wir können dich da und da hinbringen. Aber in die Erste Liga wirst du’s nicht schaffen.“ Die Berater sagen dem Nachwuchs: „In drei Jahren bist du Nationalspieler.“ Nach der Wiedervereinigung haben die Berater den Spielern empfohlen, im Osten zu investieren. Das ist alles in die Hose gegangen. Das Geld ist weg.

Dann kann man von Ihnen demnächst also wieder im „Kicker“ lesen und nicht nur in der „Gala“?

Nein. Das kannst du auch im Stillen machen. Du musst den Jungs nur die Wahrheit sagen und erklären, wie das Leben funktioniert. Du musst einem Spieler sagen können: nach ganz oben, das wird nix. Ich würde zum Beispiel am liebsten den Manuel Neuer anrufen, dass er zu mir nach Hause kommt und ich ihm sagen kann, dass er sich jetzt nicht unter Druck setzen darf. Der war so verbiestert. Der hat so einen Ehrgeiz und müsste aber viel lockerer sein. Und jetzt kriegt er auch noch auf die Glocke. Aber er hat Grips in der Birne und ist nicht abgehoben.

Jedenfalls werden Sie nicht wie andere Schalker nach Gran Canaria ziehen?

Nee, mich kriegen se hier nicht mehr weg. Ich bleibe im Westen.

Herr Assauer, vielen Dank für das Gespräch.

Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews mit Rudi Assauer.