Essen. Rassistische Rufe gegen Spieler und Beleidigungen: Was muss bei RWE passieren? Fanforscher Gunter A. Pilz erklärt, wie der Verein reagieren muss.
Widerliche Szenen im Gästeblock: In Bocholt haben Fans von Rot-Weiss Essen einen eigenen Spieler rassistisch beleidigt. Der Verein reagierte mit einem Statement und distanzierte sich vom Vorfall. Doch reicht das? Justus Heinisch sprach mit dem renommierten Sportsoziologen und Fanforscher Gunter A. Pilz.
Herr Pilz, am vergangenen Dienstag gab es seitens Fans von Rot-Weiss Essen rassistische Beleidigungen gegen die eigene Mannschaft. Wie ordnen Sie diesen Eklat ein?
Pilz: Es wird immer solche Dinge geben, die entscheidende Frage ist, wie man darauf reagiert. Wenn man geschlossen und gemeinsam handelt, hat man die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Wir beobachten allerdings leider seit einem halben bis dreiviertel Jahr eine massive Zunahme der rassistischen, rechtsextremen und gewaltbereiten Aktionen im Stadion. Rechtsextreme versuchen, die Mehrheit im Block wiederzuholen.
Rot-Weiss Essen: Positivbeispiel Werder Bremen
RWE veröffentlichte ein Statement und distanzierte sich klar von den „rassistischen Idioten“. Gleichzeitig forderte der Verein andere Fans auf, sich an den Ordnungsdienst zu wenden, wenn man Personen höre, die rechte Parolen brüllen…
Es ist die richtige Botschaft, ihnen deutlich zu machen, dass das, was sie rufen, in der Gesellschaft und auf dem Sportplatz nichts zu suchen hat. Aber für mich ist der einzig richtige Weg, den Rot-Weiss Essen gehen kann, folgender: Man nimmt diesen Anlass, setzt sich mit der Fanszene, dem Fanprojekt und dem Fanbeauftragten zusammen und fragt: Wollt ihr das? Wenn nicht: Was können wir gemeinsam tun, damit das nicht mehr vorkommt? Auch der Verein muss sich selbstkritisch fragen, ob in ihm struktureller Rassismus herrscht. Dann muss man zusammen Regeln und Maßnahmen entwickeln und die Nöte und Ängste ernst nehmen. Ein Positivbeispiel gab es vor ein paar Jahren bei Werder Bremen: Knapp 50 rechte Hooligans fielen mit rechten Parolen auf. Die Kurve rief ‚Nazis raus‘, bis die Hooligans das Stadion verlassen haben. Als Gruppe ist man stark.
Brennpunkte bei Rot-Weiss Essen:
- RWE-Trainer Dabrowski über Ennali und Fan-Beleidigungen.
- RWE-Trainer Dabrowski zu „Trainer raus“-Rufen.
- Kommentar: Echte RWE-Fans müssen ein Zeichen setzen.
Und was können Fans tun, die solche Vorfälle mitbekommen, aber Angst haben, die Personen zu melden, weil sie befürchten, bedroht zu werden?
Ich nehme die eigene Sicherheit natürlich ernst, sie steht an erster Stelle, aber zum Teil sind das vorgeschobene Argumente. Die Rechten drohen und man ist gut beraten, nicht als Einzelner aktiv zu werden, sondern als Gruppe. Die Gefährdung ist nicht gegeben, wenn eine Gruppe geschlossen handelt. Das muss aber eingespielt sein, deshalb ist es wichtig, sich gerade nach so einem Vorfall zusammenzusetzen.
Was passiert, wenn man nichts tut?
Ein leidtragender Verein ergreift eigentlich seit Jahren hervorragende und vorbildliche Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus: Borussia Dortmund. Die sind aber massiv getroffen und resignieren schon fast, dass Rechtsextreme im Block tun und machen können, was sie wollen. Dort sind 100 Rechtsradikale und 10.000 einzelne Fans haben Angst, allein etwas zu tun. Man darf aber nicht den Kopf in den Sand stecken. Ansonsten gibt man den Rechten das Feld völlig frei. Deshalb ist es wichtig, sich zusammenzutun.
Auch interessant
Was kann ein Verein machen, wenn rechte Personen oder Gruppen sich so radikalisiert haben, dass sie nicht gesprächsbereit sind?
Dann dürfen die nicht mehr ins Stadion. Es ist ein Straftatbestand, wenn jemand rassistisch beleidigt. Dann muss der Verein mit dem Staatsschutz, der Verwaltung und der Polizei klare Regeln aufstellen. In solchen Fällen muss es ein Stadionverbot für die Personen geben. Entscheidend ist, dass wir aktiv werden und dass wir erkennen, dass es alle angeht. Jeder Einzelne, der Verein und der Verfassungsschutz sind gefordert. Und auch die Mannschaft ist gefragt.
Inwiefern?
Es kann nicht sein, dass ein betroffener Spieler in der Kabine sitzt und weint – und keiner seiner Mannschaftskollegen stellt sich vor die Kurve und sagt: ‚Wir wollen das nicht.‘ Man muss die Betroffenen in Schutz nehmen und kann ihnen beispielsweise die Möglichkeit geben, aus der Betroffenenperspektive heraus zu sprechen. So kann man Fans dafür sensibilisieren, sich zu fragen, was sie selbst dagegen getan haben – und was man dagegen tut. Auch das ist mit diesem Begriff Alltagsrassismus gemeint: Man sieht es und unternimmt nichts. Es ist daher wichtig, klar Position zu beziehen.