Essen. Rot-Weiß-Essen-Boss Michael Welling spricht im Interview mit FUNKESport über die anstehende Rückrunde und das Verhältnis zum Stadtrivalen FC Kray.
- Welling bezeichnet "Hafenstraßenfußball" als Fehler.
- Freundschaftliches Verhältnis zum FC Kray ausbauen.
- Traum vom Aufstieg mit Eigengewächsen.
Das RWE-Trainingslager in Belek hat auf der Gewinnerseite zumindest einen hervorgebracht: Vereinsboss Michael Welling. Der konnte der Jugendabteilung immerhin 2100 Euro nach der Rückkehr übergeben. Der Preis dafür: Welling opferte seine Haarpracht und erschien zum Interview mit dieser Zeitung mit frischer „Kampffrisur“.
Michael Welling, wie war die Zeit im Trainingslager? Wie man hört und vor allem sieht, sollen einige ganz schön Federn gelassen haben?
Michael Welling: Ich zitiere da sehr gerne Euren Gastkolumnisten Happo: Das Fazit zu Belek sieht besser aus als meine Frisur.
Finde ich, ehrlich gesagt, auch, sie könnte noch, wenn es ganz schlecht läuft, zum sportlichen Sinnbild der RWE-Rückrunde werden.
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Welling: Wenn Sie solche Sprachbilder nutzen wollen, dann würde ich es eher so deuten, wir haben die Zöpfe der Hinrunde abgeschnitten und blicken jetzt positiv in die Zukunft. Aber ehrlicherweise sollte man da jetzt nicht zu viel reindeuten.
Welche Zöpfe sind denn gefallen?
Welling: Wir waren in der Hinrunde nicht erfolgreich, es war sportlich sehr enttäuschend, und wir sind weit hinter unseren Erwartungen zurück geblieben. Das wollen wir ändern.
Hypothetisch gefragt: Was hat das Trainingslager denn der Mannschaft gebracht?
Welling: Wir hatten hervorragende Trainingsbedingungen und haben eine Woche lang sehr intensiv miteinander auf und neben dem Platz verbracht. Dass kein Lagerkoller aufgekommen ist, zeigt, dass es in der Mannschaft stimmt. Die Neuen, Kai Druschky und Emre Yesilova sowie die A-Jugendlichen haben sich hervorragend präsentiert und waren sofort integriert.
Ganz ehrlich, bitte: Nach dem Umbruch im Sommer, hatten Sie sich die Hinrunde einfacher vorgestellt?
Welling: Ja und nein, wir haben damit gerechnet, dass es schwer werden wird, wir haben aber nicht damit gerechnet, dass es so schwer wird und wir die Ergebnisse nicht erzielen.
Zum Ende der Hinrunde hat Trainer Jan Siewert eine schonungslose Analyse angekündigt. Was hat diese ergeben und vor allem: Wer hat der Arbeit des sportlichen Duos Siewert/Winkler ein Zwischenzeugnis ausgestellt?
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Welling: Ich glaube, dass wir viele Probleme schon in der Hinrunde auf dem Platz erkennen konnten. Wir haben zu wenig Tore geschossen, auch, weil wir über die Außenpositionen teilweise zu ungefährlich waren, und weil uns vorne die Durchschlagskraft fehlte. Die Analyse hat auch ergeben, dass wir gar nicht so viele Chancen gegen uns zugelassen haben, dass aber die wenigen Chancen häufig direkt zu Toren führten. Dies gilt es abzustellen.
Und die Arbeit des Trainers/Managers war zufriedenstellend?
Welling: Irgendjemand sagte mal: Im Fußball gibt es nur Ex-Post-Beurteilungen. Stimmen die Ergebnisse, waren alle Schritte richtig, stimmen sie nicht, hat man viele Fehler gemacht. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort vermeintlich leicht. Für uns als Verantwortliche ist es aber wichtiger, nicht nur die Ergebnisse zu sehen, sondern die Arbeit und Leistung zu beurteilen. Noch ein Beispiel: Das Ergebnis unseres Pokalspiels gegen Düsseldorf war enttäuschend, aber die Leistung war hervorragend. Die Leistung gegen Dortmunds U23 war sehr gut, das Gegentor in der 93. Minute trübt die Beurteilung. Wir müssen die gesamte Komplexität betrachten, wohl wissend, dass es letztlich nicht ohne Ergebnisse geht.
Den Fans war allerdings Hafenstraßen-Fußball versprochen worden, unabhängig von den Ergebnissen: Wann hat man ihn außer im Pokal zu sehen bekommen?
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Welling: Vielleicht war die Nutzung des Begriffs ein Fehler, weil jeder seine eigenen Vorstellungen damit verbindet. Uns war es aber wichtig, mit dem Begriff zum Ausdruck zu bringen, dass wir eine eigene Spielidee verfolgen wollen. Das heißt, sowohl mit als auch gegen den Ball aktiv zu sein. Auch wenn das viele nicht hören wollen: Mein Zwischenfazit lautet zur Vorsaison, dass wir einen gewaltigen Schritt gemacht haben, dass wir aber natürlich uns hier weiter verbessern und verfestigen müssen. Daran wurde auch im Trainingslager gearbeitet.
Es gab in der Hinrunde ja auch diverse Störfälle, um nicht zu sagen „Pflegefälle”. Wenn Kevin Behrens dieser Tage der Thüringer Allgemeinen sagt, er habe sich in der Region nicht wohl gefühlt, können Sie als Zugereister erahnen, was er damit meinen könnte?
Welling: Es gibt sicherlich Regionen in Deutschland, die deutlich weniger herzlich sind als das Ruhrgebiet. Und wer mit der offenen herzlichen rotzigen Art im Pott nicht klar kommt, muss sich aus meiner Sicht eher selbst hinterfragen. Selbst wenn man sagen würde, das Ruhrgebiet sei nicht schön, hätte man nur auf den ersten sehr oberflächlichen Blick Recht.
Ein Aufstieg mit Essener Eigengewächsen wäre ein Traum
Trotz Behrens: War der Abgang von Soukou, der am Ende Szenen einer schlechten Ehe hatte, für Sie nicht noch enttäuschender?
Michael Welling: Zunächst: Ich mag Cebio Soukou sehr gern und schätze ihn als Menschen, er hat in seinem jungen Alter mit seinen Verletzungen, mit seinem Doping-Vergehen schon sehr viel durchgemacht. Ich persönlich glaube, dass es für seine Entwicklung besser gewesen wäre, sich in dieser Saison durch gute und konstante Leistungen bei Rot-Weiss Essen für höhere Aufgaben zu empfehlen. Cebio hat aber allein in den letzten 12 Monaten gefühlte sieben Berater. Ob da jeder immer im Sinne des Jungen agiert hat, wage ich zu bezweifeln. Ich wünsche ihm dennoch auf seinem weiteren Weg nur das Beste.
Die Fans hatten endgültig den Kaffee auf, als der Name Sercan Güvenisik fiel. Das war das Sahnehäubchen, oder?
Welling: Emotional sicherlich der Schlusspunkt.
Zurück in die Gegenwart: Nächste Woche findet vor dem Landgericht Essen die Verhandlung mit dem Ex-Sportvorstand Uwe Harttgen statt. Sind Sie froh, wenn Sie einen Haken unter die Sache setzen können?
Welling: Inhaltlich und emotional haben wir den Haken im April 2015 gesetzt, die sportlichen Konsequenzen werden noch länger dauern. Beim Landgericht geht’s um den juristischen Haken.
Finanziell wurden, wie es sich für gute Kaufleute gehört, bei RWE Rücklagen gebildet. Gesetzt den Fall, die Sache geht für den Verein positiv aus: Werden diese Gelder in die Kaderplanung im kommenden Sommer einfließen, den Etat sogar erhöhen?
Welling: Unabhängig vom Ausgang bereiten wir schon seit November die kommende Saison vor, wo wir nach heutigem Stand unsere Ansprüche etwas offensiver formulieren wollen. Aktuell heißt es aber erst mal von Spiel zu Spiel zu denken und die notwendigen Punkte zu sammeln.
Bevor ich es vergesse, Happo lässt anfragen, wer der neue Nachwuchsleiter wird und nach welchen Kriterien er ausgesucht wird.
Welling: Wer es wird, kann ich noch nicht sagen. Die formalen Kriterien Fußballlehrer werden vom DFB vorgegeben, für uns ist es wichtig, jemanden zu finden, der seine Qualifikation im Sinne unserer Philosophie und vor dem Hintergrund des ganz speziellen Umfeldes an der Seumannstraße umsetzen kann. Die Nachbesetzung dauert aber noch.
Wo wir schon bei der Jugend sind: Dass noch keiner der U19-Spieler den endgültigen Sprung ins Seniorenteam geschafft hat, liegt dies vielleicht auch daran, dass der erfolgreiche Bundesliga-Nachwuchs eher über den Teamgeist kommt und nicht über die individuellen Einzelkönner verfügt?
Welling: Ich glaube, dass eine Rot-Weiss- Mannschaft immer über den Teamgeist und die Einstellung sich definieren muss. Das schließt aber nicht aus, dass sich einzelne Spieler individuell entwickeln. Mit Nico Lucas hat bereits einer unserer U19-Spieler einen Anschlussvertrag, wir sind hoffnungsfroh, dass dem Kader der neuen Saison weitere angehören werden. Wie sie sich dann entwickeln, hängt auch sehr stark von ihnen selbst und ihrer Lernbereitschaft ab.
Die Fans in der Westkurve warten sehnlichst auf einen neuen Timo Brauer.
Welling: Ein Essener, der in der Jugend von Schalke 04 ausgebildet wurde? Ich kann die Sehnsucht nach Essenern im Team verstehen. Nach Identifikationsfiguren wie Erwin Koen – der aber eben nicht aus Essen kam – solche Spieler müssen sich entwickeln. Ich glaube, wenn die Fans wählen müssten, wäre sicherlich ein Aufstieg ohne Essener Jungs schöner als ein weiteres Verbleiben in der Regionalliga nur mit Eigengewächsen. Aber wir träumen natürlich davon, das zu kombinieren.
Mit dem FC Kray freundschaftlich verbunden
Ihr Kollege Günther Oberholz hat neulich die Tür ganz weit aufgemacht und angeboten, im Falle eines Krayer Abstiegs noch enger mit RWE kooperieren zu wollen. Was halten Sie davon und wie könnte dies aussehen?
Michael Welling: Auch aus Eigeninteresse würde ich mir zunächst wünschen, dass wir auch in der nächsten Saison zwei Regionalliga-Duelle gegen Kray im Stadion Essen erleben dürfen. Und ich wünsche den Krayern, dass sie mit uns in der Liga bleiben. Wir haben auch beim Wechsel von Yesilova in den Gesprächen mit dem FC Kray eine sehr freundschaftliche Atmosphäre gehabt und werden gemeinsam überlegen, welche Formen der Zusammenarbeit es geben kann.
Jetzt noch einige persönliche Fragen: Als die kritische Phase begann, haben Sie den Begriff der Tiefenentspannung geprägt. Ganz ehrlich, war dies auch der Versuch, das Wolfsrudel der Kritiker auf ihre Fährte zu locken?
Welling: Es ist mir auf jeden Fall lieber, wenn ich kritisiert werde, als wenn man mit Jan Siewert und Andi Winkler zwei Personen in den Fokus rückt, die aktuell erst sechs Monate die Verantwortung tragen. Zugleich: Ich bin insofern entspannt, dass ich weiterhin überzeugt bin, dass beide mit uns unsere Ziele erreichen. Enttäuscht von der Tabellensituation bin ich aber dennoch.
Nach einer Phase der Selbstkasteiung, bedingt durch die Inthronisierung eines Sportvorstands, sind Ihre Worte nun wieder auf allen Kanälen zu finden, und das, wenn nötig, rund um die Uhr. Beschäftigen Sie eigentlich einen Schreibpool?
Welling: Nein. Wir haben uns als RWE auf die Fahne geschrieben ansprechbar und kommunikativ zu sein. als Verantwortlicher muss ich gerade in Phasen des Misserfolgs Präsenz zeigen. Das ist meine ureigenste Aufgabe und mein Selbstverständnis, wenngleich meine Frau hin und wieder mir die Gelbe Karte zeigt.
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Teilweise waren doch gereizte Reaktionen dabei, wenn es in den Foren mal wieder abging. Da wirkten Sie alles andere als tiefenentspannt.
Welling: Unentspannt werde ich dann, wenn es ungerecht wird. Unentspannt werde ich dann, wenn es boshaft und verleumderisch wird. Es ist erschreckend, wie sehr sich manche Dinge komplett ohne Fakten in den sozialen Medien verselbständigen. Ehrlicherweise macht es mir Spaß, da auch mal dazwischen zu hauen.
Betrüblich sind aber doch eher die Fans, die sich momentan in gewisser Gleichgültigkeit abwenden. Wenn bei Ihrem Facebook-Aufruf, Fragen zu stellen, eine lautet, warum das Nutella-Brötchen immer auf die Innenseite fällt, sagt das doch eigentlich viel aus, oder?
Welling: Traurig ist in der Tat, wenn Fans gleichgültig werden. Diese werden wir sicherlich nur mit sportlichem Erfolg erreichen. Die Nutella-Brötchenfrage hingegen zeigt doch eher, dass auch einige Fans durchaus ironiebegabt sind. Entsprechend hab ich geantwortet – und wer will, kann die Antwort auch als Gleichnis lesen.