Warum RWE noch immer unter Lasten der Vergangenheit leidet
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Essen. Ex-Sportvorstand Uwe Harttgen belastet RWE noch immer. Dem Zuschauerschwund würde man am besten mit identitätsstiftenden Spielerfiguren begegnen.
Am Montag startete Rot-Weiss Essen in die Vorbereitung auf die Rückrunde. Entgegen der vergangenen Jahre begleiteten dies ein Dutzend Fans mit einer Gleichmütigkeit, um nicht zu sagen: Teilnahmslosigkeit, betrachten sie die Saison eh „als gelaufen”. Die Alt-Anhänger des Traditionsklubs sehen diesen schleichenden Prozess mit Sorge, der wann eigentlich genau begann? Ein Erklärungsversuch.
Die Altlast
Welche Hoffnungen waren mit der Verpflichtung eines Sportvorstandes namens Uwe Harttgen verbunden, eine neue Ära der Professionalität wurde gar ausgerufen. Mit der Erfahrung von heute weiß man: Es war der ganz große Griff ins Nichts. Der Verein wurde bis dahin sympathisch hemdsärmelig von Michael Welling (Vorstand), Waldemar Wrobel und Damian Jamro (Sport) geführt, die Vereinsverantwortlichen auf sprichwörtlicher Tuchfühlung mit den Fans vor den Stadiontoren am Bierstand.
Mit dem Sportvorstand setzte die Entfremdung ein, Entscheidungen fielen im „stillen Kämmerlein”. Vom anerkannten Anspruch, Talente aus der Region identitätsstiftend an den Verein zu binden, wich man ab. Eine U23 wurde für überflüssig erklärt. Am Ende standen sich beide Parteien (Fans/Sportvorstand) in völligem Unverständnis gegenüber. Die Ära Harttgen schwappt noch heute als Altlast in die Gegenwart: Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht steht noch in diesem Monat an. Der Verein bildet für den Negativausgang Rücklagen. Geld, das besser dem Spielerkader zugute käme.
Der Neue
Kein Wunder, dass Jan Siewert wie ein Messias empfangen wurde. Hätte er prophezeit, ab sofort den Verein übers Wasser zu führen, wären manche probeweise in die Berne gegangen. Stattdessen versprach er „die Hafenstraße zu rocken”, aber auch das war schon zu hoch gegriffen. Bestenfalls langsamen Walzer gab es bei den Heimspielen. Der junge Mann vom DFB, mit dem Kopf voller verrückter Ideen, meinte es zu revolutionär. Die eingespielte Achse Heimann - Zeiger - Baier - Platzek wurde flugs zerschlagen. Ohne Not, wie viele behaupten. Als zum Vorbereitungsspiel gegen die Auf-Asche-Elf ein noch nicht verpflichteter Probespieler (Rabihic) zum Kapitän bestimmt wurde, zog sich die erste Furche (Alte gegen Neue) durchs Team. Mit dem Ergebnis: Neue Hierarchien bilden sich nur mühsam bis gar nicht. Bei rot-weissen Rückständen sieht man viele Leidfiguren, aber keine Leitfigur auf dem Platz.
Störfälle
Zwei angefaulte Früchtchen gefährdeten die ganze Ernte. Kevin Behrens entlarvte die Worte des Sportlichen Leiters zu wirklich jedem Neuzugang , wonach alle „menschlich und charakterlich hervorragend zum Verein passen”, als leere Floskel.
Behrens mag ein Kampfsportler sein, nur hat er die falsche Sportart gewählt, als Teamplayer völlig ungeeignet. Dennoch: Die größte menschliche Enttäuschung ist Cebio Soukou. Alle, wirklich alle, hatten ihm nach seiner Dopingsperre, die mindestens aus naiven Gründen geschah und im Endeffekt die Katastrophen-Rückrunde einleitete, goldene Brücken gebaut und ihn in Watte gepackt (Verein, Fans, ja, auch wir Medien). Der Dank war eine halbjährige zur Schau getragene Unlust auf dem Spielfeld. Symptom: chronische Wechselgelüste. Man lernt im Fußball einfach nicht aus.
Kritikfähigkeit
Nach der völlig verkorksten Hinrunde versprach Trainer Siewert eine „schonungslose Analyse”. Alles gut und schön. Nur: Wer stellt denn der sportlichen Leitung das Zwischenzeugnis aus und schaut ihr prüfend auf die Finger? Wo ist die Kompetenz im Verein (Vorstand, Aufsichtsrat?), die den ausgegebenen sportlichen Weg kontrolliert? Die Fans sicherlich nicht, drastische Reaktionen wie ein erfolgter und nicht akzeptierbarer Kabinensturm setzen eher eine Spirale der Angst in Bewegung. Angst wirkt kaum leistungsfördernd.
Der Vertrag
Man gebe dem Trainer einen Dreijahres-Vertrag, dann wird Fan-Kritik gleich im Keime erstickt und er kann in Ruhe seine Ideen verwirklichen. Gut gemeint, hat im Fußball leider noch nie funktioniert, erst recht nicht bei RWE. Machen wir uns nichts vor, da hätte der Vertrag in der Winterpause noch um weitere zwei Jahre verlängert werden können: Liefert Jan Siewert im Frühjahr nicht in den ersten Spielen die entsprechenden Ergebnisse und verlässt die Abstiegszone, wird der Druck immens.
Das schwindende Zuschauerinteresse ist in vollem Gange und kann auch mit Dauerkarten nicht mehr schöngerechnet werden. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird der Verein zum Handeln gezwungen. Wer will sich denn hinterher tatsächlich nachsagen lassen, den Gang in die völlig bedeutungslose Fünftklassigkeit billigend in Kauf genommen zu haben?
Der Ausweg
Schwierig zu sagen. Aus der momentanen „Last an der Hafenstraße” muss wieder eine Lust erwachsen, ein bisschen mehr St. Pauli täte gut. Dafür müssen Fans, Vorstand und Mannschaft wirklich wieder zusammenrücken. Unflätige Gespräche am Zaun nach Spielschluss inklusive Bierduschen sind sicherlich das falsche Mittel. Feste, regelmäßige Gesprächsrunden zwischen Spielern und Fans sind ein wichtiger Anfang.
Und vielleicht ein wenig mehr Traute, das eine oder andere Talent aus der U19, aus dem hauseigenen Bundesligateam (welch ein Geschenk!) ins kalte Wasser zu werfen, die Kreditlinie für die Talente bei denen in der Kurve wäre ziemlich lang. Jedenfalls länger als bei so mancher Neuverpflichtung aus dem „fernen Osten“. Kurzum: Das Essener Fußballvolk lechzt nach einem neuen Timo Brauer. Nach einer identitätsstiftenden Spielerfigur. Womit sich der Kreis schließt und wir wieder bei den Altlasten wären.
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