Kamen. . Mit den Testspielen gegen Schottland am Samstag in Essen und am Mittwoch gegen Kanada in Paderborn läutet Bundestrainerin Silvia Neid die heiße Phase der Vorbereitung auf die EM ein. Ein Interview mit der im Siegerland lebenden 49-Jährigen.
Frau Neid, nach den Absagen der erkrankten oder verletzten Verena Faißt, Viola Odebrecht, Alexandra Popp und Linda Bresonik droht mit Kim Kulig der nächste Ausfall. Werden Ihre Planungen dadurch immer weiter zurückgeworfen?
Silvia Neid: Ich habe schon vieles erlebt, so etwas aber noch nicht. Kims Knie ist dick geworden, es hält eine hohe Belastung nicht aus. Es kann sein, dass die EM gefährdet ist. Aber wir dürfen jetzt nicht jammern, sondern müssen die anderen Spielerinnen stärken. Wir versuchen, die Ausfälle bis zum EM-Auftakt auszugleichen. (lacht) Wenn das so weitergeht, muss Doris Fitschen (Teammanagerin, d. Red.) irgendwann ihre Schuhe mitbringen.
Sie müssen dennoch einigen Spielerinnen den Traum einer EM-Teilnahme nehmen. Ist dieses Nach-Hause-Schicken für Sie Routine oder immer noch das Grauen?
Neid: Irgendetwas dazwischen. Routine ist es nicht, weil es immer unangenehme Gespräche sind. Aber es graut mir davor auch nicht. Das ist mein Job. Man muss den Spielerinnen genau erklären, wieso und weshalb, dann ist die Entscheidung für sie immer noch schwer zu verstehen, aber die Einsicht kommt vielleicht schneller.
Ist Deutschland als Titelverteidiger der Gejagte bei der EM?
Neid: Ja! Grundsätzlich werden wir immer gejagt. Aber das ist doch schön, weil es zeigt, dass wir über Jahrzehnte großen Erfolg hatten. Wir zählen klar zum Favoritenkreis, wobei es auch noch einige andere gibt, die ich dazu zähle, wie beispielsweise Schweden oder Frankreich. Es ist die elfte Europameisterschaft und sieben Mal haben wir den Titel geholt. Alle Nationen möchten, dass wir es diesmal nicht schaffen – nur wir sehen das anders.
Nach dem Viertelfinal-Aus bei der Heim-WM 2011 und den verpassten Olympischen Spielen 2012 – wie groß ist der Druck, endlich wieder einen Titel holen zu müssen?
Neid: Ich verspüre keinen Druck, sondern nur Freude und Lust. Ich mag die Herausforderung vor diesem Turnier, weil wir eine ganz andere Mannschaft haben als 2009 bei der EM und 2011 bei der WM. Das ist das, was für mich im Vordergrund steht. Wir können nichts erzwingen, wir können uns nur gewissenhaft vorbereiten - das tun wir. Außerdem liebe ich es, Turniere zu spielen.
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Was ist das Besondere daran?
Neid: Dieses Analysieren, dieses Einstellen auf den nächsten Gegner, das Gespannt sein auf die Umsetzung. Die Freude, die Gefühle, die man bei Turnieren hat - das ist einfach schön und fast nicht zu erklären.
Muss der Titel her, damit das Interesse am Frauenfußball nicht weiter abnimmt?
Neid: Es ist ja nicht so, dass sich nach der WM niemand mehr für uns interessiert hätte. Ich bin mit dem Interesse an unserem Sport zufrieden. Wir dürfen uns nicht mit dem Männerfußball vergleichen, der überstrahlt alles. Aber im Vergleich zu anderen Sportarten stehen wir sehr gut da. Alle unsere Spiele zum Beispiel werden live vom Fernsehen übertragen, nicht nur bei Turnieren. Davon träumen andere Sportarten.
Neid spürt keine Amtsmüdigkeit
In der Vorberichterstattung ging es vor zwei Jahren häufig um Schminke, Frisuren und Mode. Rückt nun der Sport wieder mehr in den Fokus?
Neid: (lacht) Wir Frauen haben ein Problem: Wir müssen gut aussehen, das ist das Allerwichtigste. Und dann müssen wir auch noch gute Leistungen bringen. Immer.
Einige ältere Spielerinnen beendeten nach der WM ihre Karriere in der Nationalmannschaft. Gibt es bereits eine neue Führungsstruktur, oder möchten Sie lieber so genannte flache Hierarchien?
Neid: Das möchte ich nicht unbedingt. Aber ich möchte auch keine Spielerinnen, die sich alles herausnehmen. Eine Hierarchie ist grundsätzlich vorhanden, zumal du in einem Spiel auf Führungsspielerinnen angewiesen bist. Wir haben jedoch nicht so jemanden, bei dem man sagt: Das ist unser Ballack.
Oder die neue Birgit Prinz.
Neid: Das muss wachsen. Am Ende entscheidet auch die Leistung. Auch unsere jungen Spielerinnen können Führungsaufgaben übernehmen.
Stimmt es, dass Sie von den jungen Spielerinnen nicht mehr gesiezt werden wollen?
Neid: (schmunzelt) Alle sagen jetzt Silvia.
Sie sind seit Juli 2005 Bundestrainerin. Merken Sie dann und wann Amtsmüdigkeit?
Neid: Nie! Im Gegenteil: Ich habe mich so geärgert, dass wir nicht bei den Olympischen Spielen waren, weil ich es liebe, Turniere zu spielen.
Also sind die Olympischen Spiele 2016 in Rio ein Ziel für Sie?
Neid: Mein Vertrag geht ja bis 2016 - das könnte klappen. (lacht)
Bundestrainerin bis ins Rentenalter…
Neid:…mit 68 werde ich sicherlich nicht mehr auf der Bank sitzen, wie es Jupp Heynckes geschafft hat. Das wäre mir doch zu lang. Ich las in einem Hotel in Frankfurt mal folgenden Spruch: Man kann nur Feuer entfachen, wenn man selbst brennt. Das ist mein Motto. Manchmal explodiere ich wie ein Vulkan, manchmal lodere ich vor mich hin. Aber: Ich brenne immer noch!