Ottawa. . Die Linksverteidigerin der deutschen Nationalmannschaft spricht vor dem WM-Achtelfinale gegen Schweden über Titelchancen, ihren Job bei der Polizei und das Turmspringen bei Stefan Raab.

Tabea Kemme ist in der Frauen-Nationalmannschaft überraschend als linke Verteidigerin in die Stammelf gerückt. Ein Gespräch mit der 23-Jährigen über Grenzerfahrungen – in anderen Sportarten und in ihrer Ausbildung zur Polizei-Kommissarin.

Tabea Kemme, Sie sind vermutlich sportlich die vielseitigste deutsche Fußball-Nationalspielerin. Ist ein Sprung von einem Hochhaus beim Bungeejumping, eine Tour Wakeboarden oder eine Grätsche auf Kunstrasen gefährlicher?

Tabea Kemme: Da würde ich echt sagen: die Grätsche auf dem Kunstrasen.

Warum?

Kemme: In diesem Fall bin ich immer von einem Gegner beeinflusst.

Und was macht am meisten Spaß?

Kemme: Ich habe mich definitiv für den Fußball entschieden – wenn ich daran keinen Spaß hätte, könnte ich das auf diesem Niveau und mit diesem Zeitaufwand gar nicht aushalten. Aber ich brauche auch die Abwechslung anderer Sportarten.

Sie machen ja auch Reiten, Triathlon, Leichtathletik und Volleyball.

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Kemme: Ich würde mich da wirklich als Multifunktionstalent beschreiben. Es fing bei mir ja auch so an, dass mir meine Eltern erst mit neun Jahren erlaubt haben, in den Fußballverein zu gehen. Sie wollten, dass ich mich noch nicht speziell auf eine Sportart festlege. Und jetzt ist eben Sport allgemein mein Ding.

Sie wollten sich sogar für ein Turmspringen mit Stefan Raab bewerben?

Kemme: Ja, aber dummerweise war da gerade ein Auswärtsspiel mit Potsdam und dann ging das nicht. Ich liebe einfach Herausforderungen. Wenn man mir diesen Spaß nehmen würde, dann könnte ich mich auch nicht im Fußball ausleben.

In Kanada kann man im Fernsehen rund um die Uhr Sport sehen. Was war denn da ihr Favorit neben der Frauen-WM?

Kemme: Wir haben fast alle NBA-Finals geschaut. Die Basketballspiele waren wirklich toll, vor allem Stephen Curry. Den fand ich auch sympathischer als LeBron James.

Neben dem Fußball gibt es noch etwas Zeitraubendes in ihrem Leben. Sie machen parallel eine Ausbildung zur Kommissarin.

Kemme: Letztlich ist es ein duales Studium an der Fachhochschule der Polizei. Gerade absolviere ich mein sechsmonatiges Praktikum als Streifenpolizistin. Im September gehe ich wieder an die Universität und nächstes Jahr habe ich ein halbjähriges Praktikum bei der Kriminalpolizei.

Wie bekommt man das als Nationalspielerin alles unter einer Hut?

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Kemme: Man benötigt schon ein gutes Zeitmanagement, denn 20, 30 Stunden die Woche muss ich dafür einplanen. Ich mache oft die „Mutti-Schicht“ von 8 bis 16 Uhr und fahre dann zum Training, das bei Turbine Potsdam um 17.30 Uhr beginnt.

Und Nachtschichten?

Kemme: Habe ich auch hinter mir. Aber nur an spielfreien Wochenenden, denn das wird sonst doch zu hart (lacht). Deswegen ist die WM für mich fast ein Luxus, weil ich nicht noch nebenbei arbeiten muss.

Sie sehen im Alltag also die Schattenseiten unserer Gesellschaft?

Kemme: Definitiv. Wenn der Notruf in der Wache eingeht, musste ich ja mit raus. Da waren Fälle dabei, die hätten grenzwertig enden können. Einmal war ein Mann dabei, der an Schizophrenie litt; dann muss man sich schon fragen, wie man kommunikativ an ihn herankommt.

Besteht nach der WM nicht die Gefahr, dass jemand bei der Festnahme sagt: Hey, sind Sie nicht diejenige, die in der Frauen-Nationalmannschaft spielt?

Kemme: Das ist bereits bei zwei, drei Verkehrsunfällen in Potsdam vorgekommen. Dadurch war die Gesprächsatmosphäre gleich viel besser, muss ich sagen.

Ein Nationalspieler bei den Männern würde über solch eine Doppelbelastung den Kopf schütteln.

Kemme: Ich hatte das Thema gerade mit Nadine Angerer am Mittagstisch: Man vergleicht uns jetzt wieder oft mit den Männern, aber das ist falsch. Wir müssen uns mit anderen Sportarten von Frauen vergleichen, und ich kenne selbst viele, die müssen sogar noch bezahlen, um Wettkämpfe zu bestreiten. Uns geht es doch richtig gut. Aber klar mache ich die Ausbildung bei der Polizei ja auch, um nach der Karriere etwas zu haben, denn vom Fußball kann ich nicht alleine leben.

Ihre WM-Nominierung stand auf der Kippe. Sind Sie überrascht, jetzt Stammspielerin zu sein?

Kemme: Total überrascht. Ich habe ja monatelang gezittert, überhaupt dabei zu sein.

Kann man jetzt im Achtelfinale gegen Schweden auf Knopfdruck den Kampfmodus anschalten?

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Kemme: Ich finde das geil! Jetzt kommen die 50:50-Spiele, in denen es um alles geht. So ein K.o.-Spiel löst eine ganz andere Spannung in einem aus. Da kommt’s drauf an.

Beim heutigen Spiel könnten acht Millionen Zuschauer am Fernseher sitzen. Einige Spielerinnen schminken sich immer. Machen Sie das auch, um gut rüberzukommen?

Kemme: Ich nehme nur ein bisschen wasserdichte Wimperntusche, die drei Tage hält. Das ist das Einzige.

Ihr Glamourfaktor ist also . . .

Kemme: . . . meine Natürlichkeit!